Ausstellung „The Thing is“ in Osnabrück: Aufmarsch der Kompostwürmer
Das European Media Art Festival beschäftigt sich in der Ausstellung „The Thing is“ mit den Verbindungen zwischen den Menschen und der Welt der Dinge.
„The Table, that eats itself“! Was für ein Titel für ein Kunstwerk. Und tatsächlich wird geliefert, was versprochen wird: Die „lebendige Skulptur“ der Künstlerin Valentine Karga besteht aus einem Tisch aus organischem Material, das sich langsam in Kompost zersetzen wird. Mit diesem Werk wird originell und augenscheinlich das Thema „The Thing is“ des diesjährigen European Media Art Festival in Osnabrück auf den Punkt gebracht.
Das European Media Art Festival ist am Sonntag zwar zu Ende gegangen, doch sein Kernstück ist seit vielen Jahren die Ausstellung in der Kunsthalle, die in einer ehemaligen Klosterkirche des Dominikanerordens beheimatet ist. Die diesjährige Ausstellung kann noch bis zum 29. Mai besucht werden, und bis dahin wird sich der Tisch wohl auch schon sichtbar kannibalistisch dezimiert haben.
Denn trotz des spektakulären Titels wirkt „Der Tisch, der sich selber aufisst“ in der Ausstellung dann doch eher enttäuschend. Es wird Monate dauern, bis der Verdauungsprozess vollendet ist. Es passiert also kaum etwas, das ein Publikum mit den eigenen Augen sehen kann. Eine Langzeit-Zeitrafferaufnahme wäre später das passende Medium, um diesen Prozess zu dokumentieren.
Immerhin gab es am Donnerstag ein Ritual, in dem die Künstlerin Valentine Karga (per Laptop aus Hamburg) feierlich die Selbstvertilgung in Gang setzte, indem sie durch ein Loch Kompostwürmer in den Tisch schütten ließ. Ihr Werk bietet eine utopische Lösung für ein Dilemma unserer Zivilisation: Wir produzieren immer mehr Dinge, die immer schneller obsolet werden und dann den Planeten immer mehr vermüllen. Möbel, Kleidungstücke oder technische Geräte, die sich selber auflösen, nachdem sie nicht mehr gebraucht werden, wären da eine ökologisch sinnvolle Lösung.
Wie ein Haufen Kartoffeln
Irritierend fremd wirkt das Kunstwerk „Synthetic Seduktion“ der dänischen Künstlerinnen Stine Deja und Marte Munk. Auf zwei großen Videobildschirmen werden dort digital erzeugte Körper gezeigt, die mit ihren Brauntönen und pulsierenden fleischlichen Formen sehr lebendig wirken, wenn sie sich in endlosen Zyklen umeinander schlingen.
Körper mit dem gleichen Design liegen unter der Installation und diese Skulptur wiederum wirkt, nun ja, ein wenig wie ein Haufen Kartoffeln. Als dritten Teil gibt es dazu eine Art Lehrvideo, durch das künstliche Intelligenzen in mehreren Lektionen lernen sollen, menschlicher zu wirken. So werden etwa zwei mechanische Greifarme gezeigt, die an einem Strand versonnen auf das Meer hinauszuschauen scheinen, sich dann einander zuwenden und ihre Metallfinger ineinander verschränken.
In der Mulitmedia-Installation „Zen for Hoejabi“ nutzt die albanische Künstlerin Anna Ehrenstein konsequent neue digitale Medien, um so den Begriff der Authentizität zu untersuchen. Ihre Videoarbeiten lässt sie als Loops auf zwei Smartphones abspielen, ihr Selbstporträt besteht aus zwei 3D-gedruckten Büsten und auf Lentikulardrucken zeigt sie gefälschte Waren aus der Modebranche.
Eine Reihe von anderen Werken in der Ausstellung sind dagegen eher inhaltlich als stilistisch überzeugend. So gibt es etwa einige im Grunde konventionelle Videos, die als Installationen präsentiert werden. „Forrest Law“ von Ursula Biemann und Paulo Tavares könnte zum Beispiel auch in ähnlicher Form als Dokumentation im Fernsehen laufen. Und dennoch passt die Arbeit perfekt in die Ausstellung, denn hier wird davon erzählt, wie die indigenen Bewohner des Regenwalds von Ecuador vor einigen Jahren vor Gericht zogen, um die Rechte des Waldes einzufordern. Tatsächlich wurde dort die Natur als Rechtsperson anerkannt und multinationalen Konzernen verboten, in dieser Region Mineralien abzubauen.
Die Ausstellung „The Thing is“ ist noch bis zum 29. Mai in der Kunsthalle Osnabrück geöffnet.
Mit den Mitteln des animierten Erklärfilms für Kinder präsentiert der Konzeptkünstler Leon Kahane schließlich in „Jerrycans to Can Jerry“ eine komische und informative Geschichtsstunde. Als eher grob ausgeführte Animation tritt dort der „Wehrmachts-Einheitskanister“ als ein britischer Opa im Ohrensessel und rauchender Pfeife in der Hand auf, um die Geschichte dieses deutschen Kriegsprodukts zu erzählen.
Ursprünglich von sowjetischen Kriegsgefangenen gebaut, war der Kanister auch 20 Jahre nach dem Krieg noch ein Erfolgsartikel der Firma Brose in Coburg. Heute sind die Kanister in der Prepper-Szene wieder sehr beliebt, weil in ihnen gut Wasser und Benzin für die Zeiten nach dem Untergang gehortet werden können. Exemplarisch wird hier am Beispiel eines Dings von Ingenieurskunst, Kriegstechnologie, Kriegsverbrechen und der heutigen Schwurbler-Szene erzählt. That’s what the thing is.
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