Ausstand der IG Metall: Streikgeld gibt es online
24 Stunden lang hat die IG Metall 80 Betriebe mit knapp 70.000 Beschäftigten bestreikt – zum Beispiel den Lastwagenhersteller MAN in München.
Eine Kundgebung der Gewerkschaft hat hier am frühen Morgen den Auftakt gemacht; drei Tage lang wird jetzt gestreikt, mal hier, mal dort. Rund 3.000 Beschäftigte sind gekommen, auch aus vielen anderen Münchner Betrieben. Erst am Wochenende will man sich wieder an den Verhandlungstisch setzen. Bundesweit stand nach Angaben der IG Metall die Produktion in 80 Betrieben mit rund 68.000 Beschäftigten still.
Gut 10.000 der deutschlandweit knapp vier Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie arbeiten in dem Münchner MAN-Werk. Jetzt, am Nachmittag, stehen Dutzende vor dem Stammwerk im Norden Münchens, man kommt, man geht. Die Stimmung ist ausgelassen. Die IG Metall hat Foodtrucks auffahren lassen, ein Zelt aufgebaut. Hier können sich die Streikenden Coupons geben lassen, mit denen sie dann das Streikgeld beantragen können. Online.
Auf dem Gehsteig raucht man Wasserpfeife. Bunte Papierschnitzel sind über den Boden verstreut. Nur ein Kampf wird lautstark ausgetragen – der der Musikverantwortlichen. Drinnen im Zelt: Lynyrd Skynyrd. Draußen: Bob Marley. Ansonsten gilt: „Miteinander für morgen.“ Der Slogan steht überall, selbst auf dem Halstuch von Martin Kimmich, dem Zweiten Bevollmächtigten der IG Metall München.
Lohnausgleich lehnen die Arbeitgeber strikt ab
Bei dem anderen Kampf, dem mit den Arbeitgebern, geht es um Geld, zum ersten Mal seit Jahren aber auch um Arbeitszeit. Die Gewerkschaft fordert zum einen 6 Prozent mehr Lohn für zwölf Monate Laufzeit, zum anderen das Recht für jeden Beschäftigten, seine Arbeitszeit von 35 auf 28 Stunden pro Woche zu verkürzen. Bestimmte Personengruppen sollen dafür einen teilweisen Lohnausgleich bekommen – etwa, wer Angehörige pflegt oder sich um Kinder kümmert.
Die Arbeitgeber lehnen den Lohnausgleich strikt ab. Als Lohnerhöhung haben sie den Beschäftigten fast 7 Prozent angeboten – allerdings auf eine Laufzeit von 27 Monaten gestreckt.
Martin Kimmich, IG Metall München
Mit den 24-Stunden-Warnstreiks probt die IG Metall ein neues Streikkonzept. Warnstreiks dauern in der Regel nur wenige Stunden, haben meist mehr symbolische Wirkung. Die Arbeitgeber reichten am Mittwoch vor mehreren Arbeitsgerichten Klagen gegen die neuen Streiks ein. Wegen der erwarteten Produktionsausfälle drohten sie außerdem mit Schadenersatzforderungen.
Die beiden Arbeiter Huber und Stangl heißen weder Huber noch Stangl, ihre wirklichen Namen möchten sie nicht in der Zeitung lesen. Und überhaupt: So ganz überzeugt sind sie von der Aktion hier nicht. Warum sie streiken? „Mei, wir sind gezwungen worden.“ Viele der Kollegen fänden die Forderungen eigentlich überzogen, glauben die beiden. Das mit den 28 Stunden sei ja als Forderung schon in Ordnung, aber bitte ohne Lohnausgleich. Wie solle ein kleiner mittelständischer Betrieb das denn verkraften?
Flexibilität muss für beide Seiten gelten
Mangelnden Rückhalt in der MAN-Belegschaft vermag Gewerkschaftsfunktionär Kimmich dagegen nicht zu erkennen. Er zückt sein Smartphone, zeigt ein Bild. Zwei Papierstapel auf einem Tisch sind darauf zu sehen. Der eine gefühlt dreißig Mal so hoch wie der andere. Es sind die Ja- und die Neinstimmen der Mitarbeiter, die befragt worden waren, ob sie diesen Streik wollen. Zahlen gibt die Gewerkschaft nicht heraus, aber das Bild scheint eindeutig.
Die Arbeitgeber gingen sehr ideologisch in den Tarifstreit, sagt der Gewerkschafter. „Da ist auf der einen Seite der pure Geiz der Arbeitgeber, auf der anderen Seite aber auch die mangelnde Bereitschaft, sich mit dem Bedürfnis der Beschäftigten nach einer flexibleren Arbeitszeitgestaltung auseinanderzusetzen.“ Und genau das forderten sie umgekehrt doch von ihren Arbeitern, etwa wenn Kurzarbeit nötig sei. „Da machen ja auch alle mit.“
Jetzt werde die „Nadelstichpolitik“ fortgesetzt. Die gewöhnlichen Warnstreiks hätten die Arbeitgeber ja offensichtlich nicht sehr beeindruckt. „Das ist jetzt schon eine andere Kategorie: Das tut ihnen weh. Das holen die nie wieder auf.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Die Wahrheit
Der erste Schnee
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Jeder fünfte Schüler psychisch belastet
Wo bleibt der Krisengipfel?