Ausschreitungen in Chemnitz: Auch Juden angegriffen
Ein Klassikkonzert, Protest und Gegenprotest prägten den Freitag in Chemnitz. Die Generalstaatsanwaltschaft in Dresden widerspricht indes dem Verfassungsschutz.
Unter dem Motto „Wir bleiben – antifaschistisch aktiv!“ demonstrierten nach Polizeiangaben rund 1.000 Menschen gegen den rechten Aufzug. Das bundesweite Bündnis „Aufstehen gegen Rassismus“ sowie die Initiative „Chemnitz Nazifrei“ hatten dazu aufgerufen und erklärt, es sei unerträglich, dass Stadt und Polizei die rechtsgerichtete Demonstration erneut genehmigt hätten.
„Von dieser Gruppe geht eine Gefahr für Leib und Leben von allen aus, die im Fokus der rassistischen Hetze stehen“, sagte Gabriele Engelhardt von der Chemnitzer Regionalgruppe des Bündnisses. „Pro Chemnitz“, AfD und dem fremdenfeindlichen Dresdner „Pegida“-Bündnis gehe es nicht um den getöteten Daniel H., „sondern um den Aufbau einer faschistischen Massenbewegung“, erklärten die Veranstalter.
Parallel dazu haben nach Veranstalterangaben rund 5.000 Zuhörer mit einem Klassikkonzert auf dem Chemnitzer Theatervorplatz ein Zeichen gegen Hass und Intoleranz gesetzt. Das Open-Air-Konzert war von den Chemnitzer Theatern in Reaktion auf die Ausschreitungen der vergangenen Tage organisiert worden. Es stand unter dem Motto „Gemeinsam stärker – Kultur für Offenheit und Vielfalt“. Mit der Aufführung von Ludwig van Beethovens neunter Symphonie wollten die Veranstalter nach eigenen Angaben „den Tendenzen zu Fremdenfeindlichkeit, Hetze und Gewalt konsequent entgegentreten“.
Am Freitagabend waren in Chemnitz insgesamt 1.300 Sicherheitskräfte im Einsatz. Unterstützt wurden die sächsischen Beamten von Kollegen aus Thüringen, Berlin, Bayern, Hessen, Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen und der Bundespolizei. Die Demonstrationen und Kundgebungen seien störungsfrei verlaufen, erklärte die Polizei. Es habe allerdings sechs Anzeigen wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz wie etwa das Vermummungsverbot oder das Mitbringen verbotener Gegenstände gegeben.
Koscheres Restaurant angegriffen
Bei den gewalttätigen Auseinandersetzungen in Chemnitz vor zwei Wochen ist einem Zeitungsbericht zufolge auch ein jüdisches Restaurant von Neonazis angegriffen worden. Wie die Welt am Sonntag berichtet, könnte es sich um einer der schlimmsten antisemitischen Attacken der vergangenen Jahre handeln. Demnach soll am Abend des 27. August das koschere Restaurant „Schalom“ gegen 21.40 Uhr von etwa einem Dutzend Neonazis angegriffen worden sein.
Die vermummten, in schwarz gekleideten Täter riefen dem Zeitungsbericht zufolge „Hau ab aus Deutschland, Du Judensau“ und bewarfen das Lokal mit Steinen, Flaschen und einem abgesägten Stahlrohr. Der Eigentümer Uwe Dziuballa sei während des Angriffs von einem Stein an der rechten Schulter verletzt worden, eine Fensterscheibe sei zu Bruch gegangen und die Fassade beschädigt worden.
Das sächsische Landeskriminalamt habe gegenüber der Zeitung eine entsprechende Anzeige des Wirts bestätigt, heißt es in dem Bericht. Der sächsische Staatsschutz und das polizeiliche Terrorismus- und Extremismus- Abwehrzentrum seien mit dem Fall befasst. Die Ermittlungen dauerten allerdings noch an.
Der Beauftragte gegen Antisemitismus der Bundesregierung, Felix Klein, zeigte sich angesichts des Angriffs auf das jüdische Restaurant in Chemnitz besorgt. „Sollten die Berichte zutreffen, haben wir es mit dem Überfall auf das jüdische Restaurant in Chemnitz mit einer neuen Qualität antisemitischer Straftaten zu tun. Hier werden die schlimmsten Erinnerungen an die dreißiger Jahre wachgerufen“, sagte Klein der Zeitung. Er forderte die sächsische Polizei und Staatsanwaltschaft auf, nun unverzüglich und umfassend zu ermitteln und mit aller Härte gegen die mutmaßlichen Täter vorzugehen.
Generalstaatsanwaltschaft widerspricht Maaßen
In der Diskussion um ein Video aus Chemnitz hat die Generalstaatsanwaltschaft in Dresden Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen widersprochen. Es gebe keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass das Video ein Fake sein könne, sagte Oberstaatsanwalt Wolfgang Klein. Daher werde es für Ermittlungen genutzt. Maaßen hatte zuvor die Echtheit des Films bezweifelt. Das Video zeigt, wie Menschen aus einer rechten Demonstration heraus auf einen Migranten losgehen.
Maaßen hatte am Freitag im Zusammenhang mit den Übergriffen rechter und rechtsextremer Demonstranten außerdem davon gesprochen, dass dem Verfassungsschutz „keine belastbaren Informationen“ darüber vorlägen, dass es in Chemnitz „Hetzjagden“ gegeben habe. Es gebe vielmehr „gute Gründe“ dafür, dass es sich um eine „gezielte Falschinformation“ handele“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“
Bequem gemacht im Pseudoliberalismus