Ausschreitungen bei Eintracht Frankfurt: „Die Polizei hat gelogen“
Einsätze wie in Frankfurt seien Teil einer neuen Polizeistrategie vor der EM, fürchten Fanvertreter. Die Polizeigewerkschaft rüstet auch verbal auf.
Die Reaktionen geben Eintracht Frankfurt recht. „Für solche Statements liebe ich den Verein“, feiert ein Frankfurter Fußballfan bei X die Stellungnahme des Vereins zu den gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Ultras der Eintracht und der Polizei am letzten Wochenende.
Über 100 Verletzte auf beiden Seiten soll es geben, die Schuld dafür schieben sich Fans und Polizei gegenseitig zu. Der Verein schafft mit seiner Stellungnahme nun etwas Differenzierung. Nach den ersten Untersuchungen der Eintracht sollen „kleinere Gruppen“ von Frankfurt-Fans, die sich durch Wegschubsen des Ordnungsdiensts Zugang zum Fanblock verschaffen wollten, Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung gewesen sein.
Die Polizei wurde laut Verein zur Hilfe gerufen, nachdem rund 20 Personen einen Sicherheitsmitarbeiter von Eintracht Frankfurt mit Schlägen angegriffen haben sollen: Das habe die gesamte Ereigniskette erst in Gang gesetzt und sei „nicht hinnehmbar“, heißt es in der Stellungnahme. Auch die fünfzehn „zunächst unbehelmten“ Polizisten seien aus verschiedenen Richtungen attackiert worden.
Die Fanhilfe von Eintracht Frankfurt hatte unmittelbar nach den Vorfällen allein die Beamten für die Gewalt verantwortlich gemacht und ihnen vorgeworfen, die Eskalation heraufbeschworen zu haben. Dem widerspricht die Eintracht nun recht deutlich. „Das ärgert uns“, sagt Ina Kobuschinski von der Eintracht-Fanhilfe gegenüber der taz. „Der Verein weiß, dass die Polizei gelogen hat.“
Verein irritiert über Risikospiel
Die Pflicht zur Aufarbeitung umfasse auch den Polizeieinsatz, schreibt der Verein, dessen Vorstand Philipp Reschke eine sorgfältige Auswertung der „Erkenntnisse und Augenzeugenberichte“ verspricht. Etwas irritiert wirkt der Verein ob der angeblichen Einschätzung der Polizei, das Spiel zu einem sogenannten Risikospiel mit erhöhtem Sicherheitsvorkommen zu erklären. Dies sei „zu keinem Zeitpunkt im Vorfeld kommuniziert“ worden, heißt es in dem Statement.
Während die Eintracht darum bemüht scheint, vor dem Europapokal-Heimspiel gegen Paok Saloniki am Donnerstag die Spannung etwas herauszunehmen, rüsten Polizeivertreter verbal weiter auf. Nachdem die Polizeigewerkschaft aus Hessen vom Staat bereits das konsequente Aussprechen und Durchsetzen von Stadionverboten forderte, meldete sich nun Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, zu Wort: „Auffällige Fußballchaoten müssen mit Präventivhaft rechnen“, so Wendt gegenüber Ippen Media mit Blick auf die Europameisterschaft im nächsten Jahr.
Das dürfte die Sorge von Fanvertreterinnen wie Linda Röttig vom Dachverband der Fanhilfen weiter nähren, die auf taz-Anfrage sechzehn polizeiliche Einsätze bei Fußballspielen allein in dieser Saison zählt, „bei denen es zu völlig inakzeptablen Übergriffen gegen Fans kam oder bei denen massiv in die Grundrechte der Zuschauer eingegriffen wurde“.
Diese Häufung zeige, dass die Polizei die Einsätze vor der EM „anders“ angehe, die öffentlichen Äußerungen seien zudem „gewalttätig“, so Röttig: „Dies sind düstere Aussichten für alle Fußballfans.“ Vom Dachverband kommt zudem die Forderung, ein Pfefferspay-Verbot bei Polizeieinsätzen im Fußballstadion zu erwägen, weil der Einsatz zu zahlreichen Verletzten geführt habe, auch von Beamten. Dass diese von der Polizei anschließend als Opfer von Fangewalt geführt wurden, bezeichnet Röttig als „absoluten Hohn“.
Dass sich Vereine wie die Eintracht inzwischen verstärkt um eine eigene Aufarbeitung von Polizeigewalt bemühen und diese Aufgabe nicht mehr allein der Staatsgewalt überlassen, sieht Röttig grundsätzlich positiv, „jedoch kommen sie dabei selbstverständlich an Grenzen“, so die Rechtsanwältin. „Um polizeiliches Fehlverhalten umfassend aufzuklären, braucht es überall unabhängige Ermittlungsstellen mit starken Durchgriffsrechten.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe