piwik no script img

Ausrufung des GesundheitsnotstandsKlimakrise macht krank

Nick Reimer
Kommentar von Nick Reimer

Die WHO sollte die Klima- und Naturkrise nach Auffassung von Wis­sen­schaf­te­r:in­nen zum Gesundheitsnotstand erklären. Daraus sollte noch mehr folgen.

Abkühlung während der Hitzewelle im Sommer 2019 Foto: ProShots/imago

J edes Jahr werden in Deutschland Milliardensummen in die Verkehrssicherheit investiert. Dabei gibt es bereits jetzt wesentlich mehr Menschen in diesem Land, die an Hitze sterben als auf bundesdeutschen Straßen: Nach Erhebung des Robert-Koch-Institutes waren es in diesem Jahr 3.200 Hitzetote. Einen Hitzenotfallplan, geschweige denn Milliardeninvestitionen in Kühlräume für vulnerable Bevölkerungsgruppen, gibt es dagegen nicht.

Vielleicht, weil das Bewusstsein dafür fehlt? Der Klimawandel wird auch unser Gesundheitssystem vor völlig neue Herausforderungen stellen. Mit den gestiegenen Temperaturen sind beispielsweise auch in Deutschland Überträger gefährlicher Krankheiten heimisch geworden, beispielsweise die Asiatische Tigermücke, die Malaria oder das Dengue-Virus überträgt. Zecken, die „Frühsommer-Meningoenzephalitis“ übertragen, breiten sich immer mehr nach Norden aus: Vor dieser Krankheit, die Entzündungen im Gehirn, der Hirnhaut oder des Rückenmarks erzeugt, wird mittlerweile im Emsland gewarnt.

Mehr als 200 renommierte Fachmagazine haben nun einen Aufruf gestartet: Die Weltgesundheitsorganisation WHO solle angesichts des Klimawandels und des Artensterbens den globalen Gesundheitsnotstand ausrufen. Das ist löblich, denn es zeigt ein Bewusstsein, das noch viel zu wenig ausgeprägt ist: Es gibt keinen einzigen Lebensbereich, der von den Folgen der Umweltkrise verschont bleiben wird, auch keinen geografischen. Allerdings zeigt dieser Aufruf auch eine gewisse Hilflosigkeit: Selbst wenn die WHO tatsächlich einen Gesundheitsnotstand ausrufen würde – die Folgen wären rein symbolischer Natur. Solange Staaten fossile Rohstoffe ausbeuten, solange die Staatengemeinschaft Konzernen erlaubt, dies zu tun, solange wir Konsumenten nach Heizgas, Diesel, Nutella lechzen, so lange wird der Planet nicht gesunden.

Es fehlt nicht an Aufrufen. Auch nicht an Notständen. Städte wie Konstanz, Kiel, Münster, Saarbrücken oder Leverkusen haben den kommunalen Klimanotstand ausgerufen, was faktisch folgenlos blieb. Es fehlt auch nicht an Lösungsmöglichkeiten: Beispielsweise könnte Deutschland seine Emissionen durch ein Tempolimit auf 120 Stundenkilometer um 5,8 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente kürzen. Das ist mehr als dreimal so viel wie der Staat Malawi insgesamt erzeugt – und dort leben 20 Millionen Menschen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Nick Reimer
Seit 1998 bei der taz (mit Unterbrechungen), zunächst als Korrespondent in Dresden, dann als Wirtschaftsredakteur mit Schwerpunkt Energie, Klima und Landwirtschaft, heute Autor im Zukunftsressort.
Mehr zum Thema

0 Kommentare