Ausbildungsplätze für Geflüchtete: Wer Angst hat, kann nicht lernen
Laut Integrationsgesetz dürfen auch abgelehnte Asylbewerber eine Ausbildung machen. In der Praxis scheitert das oft an der Auslegung.
Der junge Afghane bekam Angst und reiste Richtung Frankreich. Er wurde an der Grenze kontrolliert, kam in Deutschland in Haft, dann in die Psychiatrie. Er wurde zur Abschiebung auf einen Flieger nach Kabul gebucht, was das Bundesverfassungsgericht stoppte. Jetzt sitzt der Mann, der zuvor Arbeit und eigene Wohnung hatte, depressiv in einem Flüchtlingsheim in der Nähe seines früheren Arbeitgebers im Allgäu. Arbeiten darf er nicht mehr.
Der junge Mann ist ein Beispiel dafür, wie die Willkür einer Ausländerbehörde Menschenleben beschädigen kann, übrigens auf Kosten der Allgemeinheit. Dabei sollte das Integrationsgesetz, seit August 2016 in Kraft, Ausbildung und Beschäftigung gerade für Geflüchtete mit Duldung erleichtern.
Das Integrationsgesetz gesteht Flüchtlingen, die im Asylverfahren nicht anerkannt wurden, aber eine Duldung haben und einen Ausbildungsplatz finden, für drei Jahre einen sicheren Aufenthaltsstatus zu. Nach der Ausbildung können sie als Beschäftigte mindestens zwei Jahre bleiben. Das Problem: Es gibt einen Ermessensspielraum der Ausländerbehörden, die regional unterschiedlich agieren.
In Bayern beispielsweise verweigerten die Ausländerbehörden in der Regel die Ausbildungserlaubnis, wenn das Asylverfahren noch laufe, berichtet Dünnwald. Werde der Flüchtling abgelehnt und erhalte nur eine Duldung, gebe es erst recht keine Ausbildungserlaubnis mehr. Ein Erlass des bayerischen Ministeriums aus dem September 2016 betont, dass „aufenthaltsbeendende Maßnahmen“ bei Geduldeten Vorrang haben müssten vor einer Ausbildung. Dieser Erlass wurde allerdings mit Folgeschreiben etwas abgemildert. Und einige örtliche Ausländerbehörden sind liberaler.
„Man braucht eine funktionierende Zusammenarbeit zwischen den örtlichen Unternehmen, der Berufsschule und den Behörden“, sagt Werner Nagler, Koordinator am Berufsschulzentrum Schwandorf in Bayern. Die Schule hat eine „Metallklasse“ mit 15 Flüchtlingen, darin auch Afghanen mit Duldung. Sie gehen beim ortsansässigen Maschinenbauunternehmen Horsch in die Lehre und wohnen in einem Haus zusammen. Es klappt gut. Das örtliche Bauhandwerk habe Interesse an ähnlichen Ausbildungsgängen angemeldet, sagt Nagler.
8 von 30 bekommen einem Ausbildungsvertrag
Funktionierende Projekte vor Ort können die Rettung sein für Geflüchtete mit Duldung. Aber die Duldung hängt dann auch am Ausbildungsplatz. Im hessischen Waldeck-Frankenberg koordiniert Friedrich Schüttler bei der Innung für das Bauhandwerk ein Projekt mit Geflüchteten. Von 30 Leuten in der Vorqualifikation schafften es acht zu einem Ausbildungsvertrag. Man dürfe die Menschen nicht zu früh von der Vorqualifikation in die Ausbildung bringen, weil sie ohne ausreichende Deutschkenntnisse dann die Berufsschule nicht schafften, warnt Schüttler. Wer die Ausbildung abbricht, hat ein halbes Jahr Zeit, sich eine neue Lehrstelle zu suchen. Sonst erlischt die Duldung.
Leichter ist es, wenn ein Flüchtling auch für die Dauer einer berufsvorbereitenden Maßnahme eine Duldung bekommt. Das ist etwa in Hamburg der Fall. Dort werden Vorqualifikationen mitgezählt, sagt Gesine Keßler-Mohr von der Handwerkskammer Hamburg. Geflüchtete können hier außerdem auch dann schon eine Ausbildungserlaubnis bekommen, wenn das Asylverfahren noch läuft.
Bei abgelehnten Asylsuchenden mit Ausreisepflicht gilt eine Lehrstelle als fast einziger Weg, doch eine dauerhafte Bleibeperspektive zu bekommen. Doch das Hü und Hott der Politik schafft Unruhe. Die Bilder von Abschiebungen nach Kabul ängstigen Tausende afghanischer Flüchtlinge, die derzeit an schulischen oder berufsvorbereitenden Maßnahmen teilnehmen. Werner Nagler stellt fest: „Ein Mensch, der Angst hat, kann nicht lernen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren