Ausbeutung von Zuwanderern: Harte Hand gegen „Problemvermieter“
Neukölln will ein härteres Vorgehen gegen Vermieter von Schrottwohnungen. Andere Bezirke zögern, weil sie mehr Obdachlose befürchten.
Die Bezirksbürgermeisterin von Neukölln, Franziska Giffey (SPD), fordert ein härteres Vorgehen gegen Vermieter, die ihre Häuser überbelegen und verkommen lassen. „Der Senat muss sich um strengere Regeln kümmern, damit solche unlauteren Vermietermethoden bestraft werden können“, sagte Giffey der taz. Der Sprecher der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung (Senstadt) erwiderte, die Bezirke hätten genügend gesetzliche Instrumente gegen Eigentümer von „Problemimmobilien“ zur Hand. „Das ist eine Frage der Durchsetzung und des Personals“, so Martin Pallgen.
Öffentliche Aufmerksamkeit erhielt das Thema kürzlich durch einen Vermieter in der Schöneberger Grunewaldstraße, der in seinem Hinterhaus zeitweise bis zu 200 Menschen unter miserablen Verhältnissen wohnen ließ, darunter viele Rumänen und Bulgaren, die häufig der diskriminierten Minderheit der Roma angehören. Auch anderswo gehört die Ausnutzung von Menschen, die auf dem Wohnungsmarkt keine Bleibe finden, zum „Geschäftsmodell“. Mietverträge gibt es selten, dafür hohe bis horrende Mieten, teilweise für Bruchbuden ohne Warmwasser oder Heizung, dafür aber mit Schimmel und/oder Ungeziefer.
Als „Gegenleistung“ tolerieren manche Vermieter, wenn acht oder zehn Menschen in zwei Zimmern leben, andere vermieten gleich pro Person. In Neukölln gebe es Fälle, so Giffey, wo „in 3-Zimmer-Wohnungen 20 Matratzen liegen, die je 200 Euro pro Monat kosten“. Oft resultieren aus solchen Wohnverhältnissen Konflikte mit der Nachbarschaft, die sich durch „Vermüllung“ und bis spätabends auf der Straße aufhaltende Menschen gestört fühlen.
Senstadt macht derzeit eine Abfrage bei den Bezirken, um sich einen Überblick über das Phänomen zu verschaffen. Für Neukölln hat Bürgermeisterin Giffey vorige Woche eine Liste mit 48 Immobilien zurückgeschickt, von denen sieben als „insgesamt“ und 41 als „teilweise problematisch“ eingestuft werden. Damit liegt die Zahl der „Problemimmobilien“ allein in diesem Bezirk höher, als Senstadt für das gesamte Stadtgebiet vermutet. In der Antwort auf eine kleine Anfrage der Linkspartei erklärte Staatssekretär Engelbert Lütke Daldrup Mitte August, schätzungsweise gebe es berlinweit 6 bis 15 „Gebäude, die komplett von wohnungsaufsichtlichen Problemen und/oder Überbelegung betroffen sind“, sowie rund 20 bis 30 teilweise betroffene Häuser.
Nicht alle Bezirke sind gleichermaßen betroffen. In Friedrichshain-Kreuzberg gebe es derzeit keinen einzigen bekannten Fall, heißt es aus dem Büro von Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne). In Tempelhof-Schöneberg kennt Sozialstadträtin Sybill Klotz (Grüne) neben der Grunewaldstraße noch eine weiter „Problemimmobilie“ – dort seien die Zustände aber bei weitem nicht so schlimm. Auch in Lichtenberg wusste Immobilienstadtrat Andreas Prüfer (Linkspartei) nur von einem Fall.
In Mitte wiederum, wo ebenfalls einige solcher Häuser bekannt sind, sperrt sich Bezirksbürgermeister Christian Hanke (SPD) gegen die Abfrage von Senstadt. „Wir haben kein Interesse an einer Liste, die mit Adressen veröffentlicht wird“, sagte er der taz. Die Häuser seien dem Bezirksamt aber bekannt, „wir gehen da mit der Bauaufsicht ran“.
Angst der Mieter
Alles in allem stehen die Bezirke solchen Vermietungspraktiken jedoch recht hilflos gegenüber. Nach Beanstandungen durch Bau- oder Gesundheitsämter würden die Eigner zwar meist kurzfristig Abhilfe schaffen – doch schon bald sei alles wie zuvor, so Giffey.
Auch eine Aufklärung der Mieter über ihre Rechte bringt offenbar nicht allzu viel. „Viele haben Angst“, weiß die Bezirksbürgermeisterin – vor dem Verlust der Wohnung, zum Teil aber auch vor gewalttätigen „Hausmeistern“. Giffey fordert daher nun „ein einheitliches, abgestimmtes und konsequentes Vorgehen in ganz Berlin unter voller Ausnutzung der gesetzlichen Regelungen“.
So weit ist man in anderen Bezirken – noch – nicht. Zwar könne man mit der Bauaufsicht kommen und räumen, aber dann würden die Menschen obdachlos, befürchtet Prüfer aus Lichtenberg. Auch Hanke in Mitte gibt zu bedenken, dass es schon jetzt schwer sei für den Bezirk, die vielen Obdachlosen unterzubringen. „Rechtsstaatlich gesehen hat Giffey recht, aber solange wir keine Wohnalternativen haben, müssen wir unsere Schritte in jedem Fall abwägen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl