Ausbeutung von Erntehelfer*innen: Gericht als letzter Ausweg
Georgische Saisonarbeitskräfte sind in Deutschland um ihren Lohn betrogen worden. Jetzt klagen sie – in Deutschland, aber auch in der Heimat.
Sie ist Rechtsanwältin beim Georgischen Gewerkschaftsbund (GTUC) in der Hauptstadt Tiflis. „Deutsche Hofbesitzer verstoßen gegen Gesetze und gehen unwürdig mit den georgischen Arbeitnehmer*innen um“, sagt sie im Gespräch mit der taz. Doch der GTUC will jetzt die georgische Regierung vor Gericht bringen. Denn es war die georgische Staatsagentur für Arbeitsförderung, die die Arbeitsverträge abgeschlossen hat, das heißt, diese Behörde kümmert sich um die Arbeitsverträge.
Tamila Gabaidze vertritt derzeit 21 Saisonarbeiter*innen in Tiflis vor Gericht. Das Ziel ist, dass ihre Mandant*innen den Lohn erhalten, der ihnen vertraglich zugesichert worden ist. Dabei geht es in jedem einzelnen Fall immerhin um knapp über 1.000 Euro. Diese Differenz müsse dann gegebenenfalls der georgische Staat bezahlen, findet Gabaidze.
Zu dem Fall hat sich mittlerweile auch die georgische Staatsagentur für Arbeitsförderung geäußert. „Skrupellose deutsche Arbeitgeber sollten zur Rechenschaft gezogen werden. Unsere Agentur ist zusammen mit der georgischen Botschaft im Einsatz. Wir hoffen, dass die georgischen Saisonarbeiter*innen entschädigt werden“, sagte Nino Veltauiri, Direktorin der Staatlichen Agentur für Arbeitsförderung im Interview mit dem Georgischen Öffentlichen Rundfunk.
Einjähriges Pilotprogramm
Seit dem 15. Februar 2021 erlaubt Deutschland georgischen Staatsbürger*innen, einer legalen Beschäftigung in der Landwirtschaft nachzugehen. Dabei handelt es sich um ein temporäres Saisonprogramm, das maximal 90 Tage dauert. Damit ist Georgien das erste Land, mit dem Deutschland ein Drittstaatenabkommen geschlossen hat. Das Pilotprogamm ist zunächst einmal auf ein Jahr angelegt.
In vielen Arbeitsverträgen wird ein Mindestlohn von 9,35 Euro genannt. Das entspricht nicht dem gesetzlichen Mindestlohn. Allein das ist schon ein Verstoß gegen deutsches Recht, weil der gesetzliche Mindestlohn zum 1. Juli 2021 auf 9,60 Euro erhöht wurde. Die Betroffenen werden jedoch nach Gewicht bezahlt: Drei Euro erhalten sie für fünf Kilogramm. Viele schaffen maximal zehn Kilogramm in einer Stunde, das entspricht einem Stundenlohn von sechs Euro.
In ihrer Kampagne für die bevorstehende Bundestagswahl am 26. September 2021 versucht die SPD mit der Forderung nach einer Erhöhung des Mindestlohns bei den Wähler*innen zu punkten. Der SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz verspricht sogar 12 Euro Mindestlohn.
Und was hält Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) davon? Was beabsichtigt sein Ministerium in diesem Fall zu unternehmen? Die von der taz geschilderten Beschwerden von georgischen Saisonarbeitskräften findet das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) „bedauerlich“. Die operative Umsetzung der Vermittlungsabsprache obliege jedoch der Bundesagentur für Arbeit (BA).
Kein Einfluss auf Arbeitsverträge
Aus welchem Grund ist der Abschluss solcher Verträge zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt noch möglich, wo doch ein Mindestlohn von 9,60 Euro gelten sollte? In einer Stellungnahme der Bundesagentur für Arbeit gegenüber der taz heißt es: „Möglicherweise haben Arbeitgeber hier versehentlich Zahlen aus Vorjahresverträgen übernommen“. Allerdings habe die BA keinen Einfluss auf die anschließend zwischen Arbeitgeber und Saisonkraft ausgehandelten Arbeitsverträge, die der Vertragsfreiheit unterlägen.
Das heißt, es ist nicht ausgeschlossen, dass bei anderen Hunderttausenden Saisonarbeiter*innen ähnliche Probleme auftauchen könnten.
Als Reaktion auf einen Bericht der taz über den Umgang mit georgischen Erntehelfer*innen in Friedrichshafen besuchten lokale Hilfsorganisationen das Erdbeerfeld. Margarete Brugger, Beraterin von der Organisation „mira – Mit Recht bei der Arbeit“ berichtet gegenüber der taz: „Niemand hatte einen Arbeitsvertrag auf Papier. Die Arbeitsverträge wurden von dem Hofbesitzer eingesammelt. Gleich nachdem Erntehelfer*innen angekommen waren, hat er die Arbeitsverträge wieder an sich genommen. Zudem haben die Saisonarbeitenden die Arbeitsverträge erst beim Abflug aus Georgien bekommen. Sie waren auf Deutsch oder Englisch. Viele haben überhaupt nicht verstanden, was für einen Arbeitsvertrag sie hatten“.
Überdies hat der Bundestag für die Ausweitung der sozialversicherungsfreien Beschäftigung für Saisonkräfte auf 102 Tage gestimmt. „Das sind dieselben Erntehelfer*innen, die z.B. die Bundesagentur für Arbeit mit Euren Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung für die Landwirte aus Georgien anwirbt. Das ist nichts anderes als staatlich subventioniertes Lohndumping auf Kosten der Beitragszahler“, kommentiert die Organisation Arbeitsunrecht Deutschland auf Facebook.
Fuß und Rippen verletzt
Brugger und ihre Kolleg*innen konnten den 20 Georgier*innen helfen: Weil sie mit den Arbeitsbedingungen auf dem Erdbeerhof bei der „Klink Verwaltungs- & Vertriebs GmbH“ am Bodensee unzufrieden waren, wechselten sie zu einem anderen Hof in Niedersachsen. Drei weitere Arbeitskräfte wurden direkt nach Georgien zurückgeflogen. Sie seien krank. Einer habe sich den Fuß, der andere an den Rippen verletzt, berichtet Margarete Brugger.
Der Hofbesitzer Walter Klink weist alle Vorwürfe zurück. „Die Georgier*innen wurden bezahlt und sind schon längst weg. Es ist die Organisation mira, die Lügnereien verbreitet“, sagt er der taz. Gedanken über die Lohnklage, die mache er sich gar nicht.
Einige der Erntehelfer*innen hätten das Arbeitsgericht Friedrichshafen ersucht, für sie eine Lohnklage einzureichen. Das Arbeitsgericht Ulm, die Kammer in Ravensburg, hat die Lohnklage der georgischen Saisonarbeitenden angenommen. Es wird einen Termin für eine Güteverhandlung geben. Der werde voraussichtlich Online stattfinden, erzählt Brugger.
Dafür hatten die Georgier*innen Vollmachten unterschreiben lassen und ein Schreiben an die Rechtsantragsstelle in Friedrichshafen geschickt. „Das Gesetz ist auf Seite der Saisonarbeitenden“, sagt sie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?