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Aus für Kiezblock-ProjektGeldfluss abgeklemmt, Partner düpiert

CDU-Verkehrssenatorin Ute Bonde lässt ein Kiezblock-Modellprojekt in Mitte vor die Wand fahren. Die Reaktionen: Fassungslosigkeit und Ärger.

Im Kiezblock Auguststraße in Mitte entschied ein Gericht zuletzt: Die Poller dürfen bleiben Foto: IMAGO / Jürgen Ritter

Berlin taz | Die am Donnerstag bekanntgegebene Entscheidung der Senatsverkehrsverwaltung, das Projekt „Kiezblocks für Mitte“ zu stoppen, bringt nicht nur Mobilitäts-AktivistInnen in Wallung: Auch in der CDU-SPD-Koalition gibt es gehörigen Ärger. Nachdem schon der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Tino Schopf, deutliche Kritik an dem Vorgehen geäußert hatte, sprach auch die Sprecherin für Umwelt und Klimaschutz, Linda Vierecke, gegenüber der taz von einem „Frontalangriff auf die Verkehrswende“.

„Wir wurden als Koalitonspartner nicht gefragt, was leider ein gängiges Vorgehen ist“, so Vierecke über die Entscheidung von Senatorin Ute Bonde (CDU). „Ich denke, ich kann auch für den Rest der Fraktion sprechen, wenn ich sage, dass wir über das Prozedere verwundert sind und den Beschluss in der Sache überhaupt nicht teilen.“ Man müsse Kiezblöcke nicht lieben, so Vierecke, aber es gebe nun einmal Gründe dafür, dass diese eingerichtet würden: „Die kommen ja nicht aus dem Nichts.“ In der kommenden Woche werde die SPD das Thema in die Koalitionsrunde tragen, auch im Mobilitäsausschuss des Abgeordnetenhauses werde man darüber zu sprechen haben.

Bonde hatte am Donnerstag dem Bezirksamt Mitte mitgeteilt, dass das mit Mitteln des Senats durchgeführte Kiezblock-Modellprojekt „mit sofortiger Wirkung zu beenden“ sei. Die Planungen seien einzustellen, eine weitere Finanzierung werde es nicht geben. Dies stelle „zugleich eine grundsätzliche Entscheidung für zukünftige Projekte dieser Art im gesamten Stadtgebiet dar“. Ein Kiezblock hält durch Maßnahmen wie Einbahnstraßenregelungen und Poller den Durchgangsverkehr aus einem Viertel heraus, ohne AutofahrerInnen die Zufahrt grundsätzlich zu untersagen. Rund ein Dutzend gibt es in Berlin bereits.

Bondes Sprecherin Petra Nelken betonte auf Nachfrage der taz, dass kein Kiezblock zurückgebaut werden müsse. Es handele sich lediglich um das Aus für dieses im Bereich Fußverkehr geförderte Modellprojekt. „Jetzt ist der Punkt erreicht, wo unsere Fachleute sagen, ihr beachtet die entscheidenden Themen nicht: Wo geht denn der verdrängte Verkehr hin? Drängt er auf eine Hauptstraße und behindert dort vielleicht eine Buslinie? Was ist im Notfall mit Krankenwagen und Löschfahrzeugen?“, begründete die Sprecherin die Entscheidung.

Liest man die Projektbeschreibung auf der vom Bezirksamt Mitte betriebenen Website, klingt es nicht unbedingt, als habe man sich über solche Fragen keine Gedanken gemacht. Über Beteiligungsformate, aber auch Verkehrszählungen sollten aus insgesamt 28 Kiezen 12 destilliert werden, in denen – nach einer weiteren Beteiligungsrunde, unter anderem mit „Kiezspaziergängen“ – ein Kiezblock zu planen und bis Frühjahr 2026 umzusetzen wäre. Vom Arkonaplatz über die Lehrter Straße bis zum Soldiner Kiez ist (bzw. war) alles dabei. Auch die Beteiligung von Feuerwehr, Polizei und BSR ist laut Bezirksamt gewährleistet.

Poller als Stein des Anstoßes

„Da gehen die Meinungen auseinander“, sagt Nelken. Fakt ist: Die Frage, ob einzelne Poller in einem Notfall das rechtzeitige Eintreffen von Einsatzkräften verhindern, schlägt medial immer wieder hohe Wellen. Als die B.Z. nach der Einrichtung des Kiezblocks rund um den Neuköllner Richardplatz bei einem „Ortstermin“ beobachtete, wie ein Feuerwehrmann mit einem umklappbaren Poller kämpfte, thematisierte die AfD dies prompt im Verkehrsausschuss. Polizeipräsidentin Barbara Slowik Meisel sagte dort, es „gehe nicht“, dass bezirkliches Handeln „unter Umständen das Leben von Menschen gefährde“.

Während der grüne Verkehrsstadrat von Mitte, Christopher Schriner, schon am Donnerstag mitteilte, dass es „eine wohlwollende Würdigung“ wäre, die Begründungen der Senatsverwaltung „als sachfremd zu bezeichnen“, und auf bereits bestehende „verbindliche Finanzierungszusagen“ pochte, verwies die Sprecherin von Changing Cities, Ragnhild Sørensen, darauf, dass die Bezirke nun auf sich alleine gestellt seien. Das größte Problem dabei sei das Abklemmen der Fördermittel, das freilich schon früher begonnen habe.

Per Anweisung der Landesebene verhindern ließen sich einzelne Projekte aber nicht: „Wenn eine BVV beschließt, einen Kiezblock einzurichten und das aus eigenen Mitteln zu finanzieren, kann der Senat im Prinzip nichts machen. Darauf hat er keinen Zugriff.“ Unklar ist, ob man das im Haus von Ute Bonde genauso sieht: Ihre Sprecherin hatte gegenüber dem Tagesspiegel angedeutet, dass trotz fehlender Zuständigkeit für das Nebenstraßennetz die in der Senatsverwaltung angesiedelte Verkehrslenkung Bezirksprojekte verhindern könne, wenn diese negative Auswirkungen auf das Hauptstraßennetz hätten.

Für die verkehrspolitischen SprecherInnen der Grünenfraktion, Antje Kapek und Oda Hassepaß, zeigt die CDU „wieder einmal, dass sie an einem sicheren und zukunftsfähigen Verkehrssystem in Berlin kein Interesse hat“. Und Roland Stimpel vom Fußverkehrsverein FUSS bezeichnet Senatorin Bonde als „Gefährderin der gehenden Mehrheit“ – die zudem nichts gegen Falschparker und E-Scooter tue, Tempo 50 wieder einführe und längst versprochene Zebrastreifen nicht anlegen lasse.

Kommt der nächste Volksentscheid?

Bei so viel Aufruhr in der Mobilitätswende-Szene fragt sich eigentlich nur: Steht Berlin demnächst vor einer Neuauflage des Fahrradvolksentscheids, um die faktische Aushöhlung des vor zehn Jahren erkämpften Mobilitätsgesetzes zu stoppen? Ragnhild Sørensen von Changing Cities winkt ab – vorläufig: „Auch wenn das immer im Hinterkopf mitschwingt, haben wir die Pläne für einen neuen Volksentscheid noch nicht konkretisiert.“ Es gebe aber jetzt viel zu tun: „Unsere Ehrenamtlichen sind gerade auf 180, die organisieren Demos, da kommt jetzt eine ganze Welle. Aber sonst müssen wir einen kühlen Kopf bewahren und schauen, wie das weitergeht.“

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