„Aus Mangel an Beweisen“ bei Apple TV: Gyllenhaal ist reich und traurig
In der Serie „Aus Mangel an Beweisen“ wird die Chance auf ein zeitgemäßes Remake des 90er-Jahre-Klassikers vertan – und zwar massiv.
Die Grundprämisse des Romans „Aus Mangel an Beweisen“ von Scott Turow ist so generisch, dass ein Remake der gleichnamigen Verfilmung mit Harrison Ford von 1990 unausweichlich war.
Privat und beruflich gut etablierter Ehemann der oberen Mittelschicht betrügt Ehefrau, Geliebte stirbt, Mann gerät unter Verdacht. In der nun auf Apple TV+ erscheinenden achtteiligen Neuverfilmung hätte es viele Chancen auf zeitgemäße Darstellungsweisen und originelle Uminterpretationen gegeben, die meisten davon bleiben ungenutzt. Darauf, dass Rusty, besagter gut situierter Ehemann, nun mit Jake Gyllenhaal besetzt wurde, hat man sich offensichtlich genüsslich ausgeruht.
Was die Zuschauerschaft vor allem sieht, sind Nahaufnahmen vom schönen Gyllenhaal – wie er sich mit edel beringter Hand ins vor Sorgen zerfurchte Gesicht greift, wie er tiefsinnig und reumütig seiner Frau in die Haare fasst, reich und traurig. Auch männliche Attraktivität kann zum Fetisch der Kamera werden. Dass er dabei seines eigenen Unglückes Schmied ist, wird erzähllogisch nicht aufgefangen. Kinder und Ehefrau tänzeln um seine fragile Männlichkeit herum und wollen seine Stimmung nicht noch verschlechtern – die Gefahr ist gering, Gyllenhaals Mimik verändert sich ohnehin kaum.
Am schwersten aber wiegt die Mär der sich immerzu kümmernden Frau, die in einer bodenlos rückschrittlichen Interpretation der weiblichen Figuren vorgebetet wird. Sahen wir vor 34 Jahren eine scharfzüngige, lustige Ehefrau, die ihrem Mann intellektuell nicht nur gewachsen, sondern überlegen ist, wird 2024 Barbara (Ruth Negga) zur devoten, weinerlichen Partnerin. Der Versuch, Female Rage zeitgemäß zu thematisieren, wird in Therapiestunden ausgelagert, in denen sie sich sagen lässt, irgendwann platze sie bestimmt vor Wut.
Im Male Gaze des Gegenübers
Bis dahin aber ist sie die für ihre Selbstlosigkeit zu bewundernde Frau des Golden Boy, die sich auf infantilisierende Weise den Egologiken ihres Mannes unterwirft. Weibliche Wut gab es 1990 zur Genüge, eigeninitiiert und selbstbestimmt, originell und gewitzt. In der jetzigen Verfilmung fehlt sie völlig. Gleiches gilt für Carolyn, die ermordete Affäre. Vor drei Jahrzehnten wurde eine Frau mit eigener Lust entworfen, die das Liebesverhältnis initiiert und gleichzeitig nicht von ihrer Rolle als Geliebte dominiert wird. Die heutige Carolyn (Renate Reinsve) verbleibt in Rustys Perspektive, im Male Gaze des Gegenübers. Ihr passiert die Affäre, so wie ihr der Mord passiert.
Die Zuschauerschaft sieht Rusty romantische Gefühle entwickeln, als er Carolyn dabei zuschaut, wie sie mit einem Kind spricht. War die Parallelszene 1990 noch eine, die den Mut und unbestechlichen Gerechtigkeitssinn einer jungen Staatsanwältin demonstriert, die ein misshandeltes Kind um jeden Preis aus seiner Situation befreien möchte, wird 2024 eine Szene daraus, die Mütterlichkeit und Weichheit zum Grund für Amors Pfeil werden lässt. Der offensichtlichste Versuch der Modernisierung, die endlosen und eher pseudoexpliziten Sexszenen zwischen Rusty und Carolyn, erliegt dem größten Missverständnis: mehr Sex, mehr Emanzipation. Das Gegenteil ist der Fall. Carolyn wird fast nur im Bett gezeigt, mit geröteten Wangen und ungescheiteltem Haar, und bleibt so trotz aller Andeutungen auf ihre selbstbestimmte, fordernde Sexualität – ein Objekt.
Geschlechterklischees des häuslichen, sinnlichen Reagierens auf der einen und weltlichen, mächtigen Agierens auf der anderen Seite durchziehen diese Neuverfilmung, die bedauerlicherweise zeigt: Jake Gyllenhaal und viel nackte Haut allein besitzen noch kein Innovationspotenzial.
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