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Auftakt zum 1. Mai in BerlinKlassenkampf ohne Klasse​

Da war schon mal mehr los im Wedding: Lediglich 700 Menschen demonstrieren am Samstag gegen den Kapitalismus. ​

Klare Ansage aus dem roten Wedding bei der Demo am Samstag Foto: dpa

Berlin taz | „Was macht dem Vermieter Dampf? Klassenkampf, Klassenkampf!“, intoniert der Moderator auf dem Lautsprecherwagen. Doch vor der antikapitalistischen Demonstration, die am Samstagnachmittag durch den Wedding zieht, muss kein Vermieter Angst haben: Nur gut 700 Menschen demonstrieren gemütlich und laut Polizei „störungsfrei“ vom Jobcenter Wedding zur Brunnenstraße.

Der Protest findet unter dem Motto „Von der Krise zur Enteignung! Die Reichen müssen zahlen!“ statt. Das Motto ist dasselbe wie im vergangenen Jahr, denn „der Kapitalismus ist dauerhaft in der Krise“, wie der Moderator betont: „Dieses System ist nicht reformierbar.“

„Wie viele Pflegekräfte und Erzieher*innen, die in den vergangenen Jahren um Verbesserungen ihrer miserablen Arbeitsbedingungen kämpften, hätte man von 100 Milliarden gerecht entlohnen können?“, fragt die Initiative „Hände weg vom Wedding“ in ihrem Aufruf mit Bezug auf den Betrag, den die Bundesregierung in die Bundeswehr investieren will. „Wie viele Coronatote wären noch am Leben, hätte man das Geld für ein menschenwürdiges Gesundheitssystem ausgegeben? Wie viel bezahlbarer Wohnraum hätte mit diesem Geld neu gebaut und instandgesetzt werden können?“

Die Antwort sei Klassenkampf: Die kapitalistische Produktionsweise könne die ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Krisen nicht lösen, sondern sei deren Ursache, heißt es im Aufruf weiter. „Für eine Gesellschaft des Friedens, der Sicherheit und der Gerechtigkeit müssen wir den Kapitalismus überwinden. Wir können uns dabei nicht auf Parteien, Wahlen und Parlamente verlassen. Wir müssen selbst aktiv werden.“

Die meisten Redebeiträge richten sich an die Arbeiter*innenklasse, doch diese ist gar nicht zu der Demo gekommen, sondern macht Fotos am Straßenrand.

Till Seiler von der Initiative „Hände weg vom Wedding“ erläutert: „Wir erleben tagtäglich, dass alles teurer wird, die Löhne und Arbeitsbedingungen immer schlechter werden, dass mittlerweile Kriege ausbrechen. Deswegen sagen wir: Wir müssen von der Krise zur Enteignung, für eine sozialistische Perspektive und eine soziale Krisenlösung.“

Die Initiative hat sich vor zehn Jahren gegründet, um sich gegen Gentrifizierung und soziale Missstände im Stadtteil zu organisierten. „Daraus hat sich eine eigenständige Organisation entwickelt“, so Seiler, „die mittlerweile in vielen Kampffeldern arbeitet: Arbeitskämpfe, Mietenkämpfe, Feminismus und Antifaschismus. Dadurch sind die Themen und auch der Charakter der Demo vielfältiger geworden.“

Auf der Demo am Samstag im Wedding Foto: dpa

Das Themenspektrum ist tatsächlich breit: für das Recht auf eine lebenswerte Stadt, für den Erhalt der für Obdachlose besetzten Häuser in der Habersaathstraße („der Abriss ist noch nicht vom Tisch“, so eine Sprecherin) über Feminismus („Feminismus ist Klassenkampf!“) bis hin zur Forderung nach einer Enteignung von Rüstungskonzernen.

Auch die Krankenhausbewegung ist vor Ort

Ein Sprecher der Krankenhausbewegung beklagt, dass die Beschäftigten der Tochterfirmen von Vivantes und der Charité zumeist noch immer niedrigere Löhne erhielten oder länger arbeiten müssten. Eine Vertreterin der Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ bezeichnet die neu aufgestellte Ex­per­t*in­nen­kom­mis­si­on als Hinhaltetaktik: „Sie wird den Volksentscheid nicht umsetzen“, beklagt sie und lädt zu einer „Enteignungskonferenz“ Ende Mai ein.

Auf die zahlreichen Krisen und Probleme kennt auch der Moderator nur eine Antwort: Klassenkampf. Dementsprechend ist der Charakter der Demo: Rote Fahnen und Grüppchen mit Namen wie „revolutionär-kommunistische Manifest-Gruppe“ dominieren den Demozug, dazu läuft politisch korrekter Hiphop.

Die meisten der zahlreichen Redebeiträge richten sich an die „Arbeiter*innenklasse“, doch diese ist gar nicht zu der Demo gekommen, sondern macht Fotos am Straßenrand. Eigentlich wurden 2.000 Teil­neh­me­r*in­nen erwartet, die in früheren Jahren auch gekommen waren.

„Wir legen unseren Schwerpunkt eigentlich auf die Kämpfe im Alltag mit unseren Nach­ba­r*in­nen und Kolleg*innen“, räumt Seiler ein. Man habe sich vernetzt und sei in Betrieben und Mietshäusern organisiert. Man müsse sich mit einer klassenkämpferischen Perspektive organisieren, wenn man seine Forderungen durchsetzen wolle, findet Seiler; der Ruf nach Klassenkampf sei „unfassbar aktuell“. Kurz darauf erschallt vom Lautsprecherwagen der 50 Jahre alte Klassiker von Ton Steine Scherben: „Die letzte Schlacht gewinnen wir“.

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6 Kommentare

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  • ....die „Arbeiter*innenklasse“, doch diese ist gar nicht zu der Demo gekommen, sondern macht Fotos am Straßenrand. ....



    50 Jahre- ALTE- Klassiker von Ton Steine Scherben: „Die letzte Schlacht gewinnen wir“...



    Fasst alles irgendwie gut zusammen.



    Für @KUGELBLITZ- zum Grinsen!



    Andere, z.G., vergangene Zeit!



    Frieden, Freundschaft, Solidarität NVA Singegruppe Oktoberklub



    www.youtube.com/watch?v=6NFcamI3FUc

    • @Ringelnatz1:

      Mal sehen, wann die ersten "Protestveranstaltungen" privatrechtlich organisiert werden und die Teilnehmer dann brav Eintritt zahlen.

  • "Wir müssen von der Krise zur Enteignung, für eine sozialistische Perspektive und eine soziale Krisenlösung"

    Auch dann wird immer noch zu wenig Wohnraum in Berlin vorhanden sein. Auch dann wird es immer noch eine Politik des Zupflastern geben. Auch dann wird Berlin noch weiter wachsen. Da hat auch die jetzige linke Baupolitik mit ihrem vollständigen planerischen Zugriff auf die Raumordnung, Bauleitpläne kein Stoppschild gesetzt.

    Linke Politik im Senat, auch "revolutionäre" linke Politik in der Opposition kommt immer noch nicht aus der NIMBY-Sichtweise heraus, die nicht weiter denkt als der Schornstein des nächsten besetzten Hauses. Sie gibt den negativen Prozessen mit ihrer Flächenplanung das Futter, das die Probleme erzeugt.

    Wohnungsnot in den Metropolen muss großräumig und in Prozessen gedacht werden, muss planerisch mehrere Bundesländer umfassen. Die Binnen-Migration in die Metropolen muss aufgehalten, ja sogar umgekehrt werden. Städte in ländlichen Räumen ( de.wikipedia.org/wiki/Ländlicher_Raum ) müssen dafür gefördert werden.

  • Schweren Herzens hab ich mich bewusst dagegen entschieden die Demo zu besuchen. War diese immer eine kraftvolle Kiezdemo, bei der es möglich war mit Umstehenden ins Gespräch zu kommen, ist diese leider zu einer hochnotpeinlichen Parteiveranstaltung mutiert. Hände Weg vom Wedding hat sich - so meine Wahrnehmung - spätestens mit der Gründung eines obskuren Nordberliner Kommibündnis aus ernstahfter und mühseliger Basisorganisierung verabschiedet.



    Die Anzahl der Teilnehmer*innen die bereit sind, unter Sdaj Fahnen und Parolen aus der Mottenkiste durch die Nachbarschaft zu spazieren spricht für sich und den absehbaren Erfolg dieses Unterfangens.



    In diesem Sinne дружба!

  • Ich würde sagen eine typische "Vorzeigedemo" die nur dazu dient, zu zeigen dass es ein Demonstationsrecht gibt.



    Der Rest des Volks: Betäubt, eingelullt und kuschelig in der vermeintlichen Komfortzone.

    • @Bolzkopf:

      Dieses Jahr fällt der 1.5. ja auf einen Vormontag. Da muss man sich noch schnell erholen, denn morgen gehts ja "wieder los" und die heilige "Arbeit" ruft..