Aufrüstung für den Krieg: Einer muss die Sprengköpfe zählen

Militärische Gewalt geht nicht davon weg, dass sich niemand dafür interessiert. Wir sollten wissen wollen, was gerade passiert.

Luftaufnahme eines F-35 Kampfjet

Ein F-35 Kampfjet der U.S. Air Force über dem Militärflugplatz Ramstein Foto: Imago

Dem Sprecher des Deutschlandfunks fiel das Sprechen plötzlich schwer. Es war einer der Profi-Vorleser. Diesen Leuten bereiten sonst nicht einmal die Namen kroatischer Gebirgsdörfer oder isländischer Vulkane Probleme.

Am Dienstagmorgen geriet der Sprecher bei der „Presseschau“ jedoch ins Schlingern. Die „schlechte Sicht aus dem Cockpit des Tarnkappenbombers“ ging ihm leidlich über die Zunge. Bei dem „Passivradar der deutschen Spezialistenfirma Hensoldt“ hörte man das Stirnrunzeln schon mit. Ab dann konnte der Mann sich nur noch von Silbe zu Silbe hangeln: „Das russische S-400-Luft…abwehrsystem kann die … Stealth-…Jets sehr wohl vom Himmel holen.“ Erkennbar verstand er nicht, was er da las – und seinem morgendlichen Deutschlandfunk-Publikum ging es ebenso.

Es ist Krieg, Deutschland rüstet auf, so viel ist klar. Was aber die Details angeht, wissen wir gar nicht, was wir da hören, und mein Verdacht ist: Die meisten von denen, die davon sprechen, wissen das auch nicht. Vermutlich wusste es selbst der Autor des Kommentars aus der „Presseschau“ nicht. Der Weg von Olaf Scholz’ Ankündigung eines 100-Milliarden-Sondervermögens für die Bundeswehr bis zur Entscheidung für den F-35-Tarnkappenbomber war zu kurz, als dass die Nichtfachöffentlichkeit sich ein Bild davon hätte machen können, ob das Ding sein Geld wert ist.

Wobei die Fachöffentlichkeit immerhin schon ein paar Jahre darüber nachdenkt, welche Flugzeuge die altersschwachen Tornados beerben sollen. Mit etwas gutem Willen – und wenn man die VerteidigungspolitikerInnen alle mitzählt – kann man also unterstellen, dass es zum Kauf des F-35 eine Art demokratischer Urteilsbildung gegeben hat. Von der Hyperschallwaffenabwehr, die mindestens so teuer ist und ebenfalls auf der Wunschliste der Bundeswehr steht, lässt sich das nicht behaupten. Und diese Wunschliste enthält noch mehr Gerät, das Fragen aufwirft.

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Viele haben sich darüber lustig gemacht, wie viele Leute mit der Pandemie zu Hobbyvirologinnen und Freizeitepidemiologen wurden. Doch dieselben Fortbildungsfans werden jetzt gebraucht: Es gibt neues politisch relevantes Wissen zu erwerben, und zwar pronto.

Die Aufstockung des Wehretats ist schwindelerregend – man möchte es einfach nicht allein den Bundestagsausschüssen überlassen, das ganze Geld auszuschütten. Wir sollten wissen wollen, was da für Waffen entwickelt und bestellt werden. Es müssen sich genügend Leute mit Flugbahnen und Sprengkräften befassen. Es muss jemand geben, der wieder (die Älteren unter uns wissen, warum da „wieder“ steht) Atomsprengköpfe zählt.

Das ist zutiefst deprimierend und klingt wie die Aufforderung, Lateinvokabeln zu lernen. Hier ein schneller Gruß an die Friedens- und Konfliktforschungsinstitute: Macht gern mehr Pressearbeit! Sind Sie eigentlich alle schon auf Twitter?

Nein, wir brauchen jetzt keine militärische Früherziehung, und sollte jemand demnächst das Schulfach Waffenkunde fordern, wäre ich dagegen. Aber es sieht so aus, als wenn militärische Gewalt nicht davon wegginge, dass sich niemand dafür interessiert. Der Kontinent ist eben nicht allein davon friedlicher geworden, dass sich keiner mehr Krieg vorstellen konnte.

Und wenn das so ist, will ich der „Presseschau“ im Radio morgens wenigstens folgen können.

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Chefredakteurin der taz seit Sommer 2020 - zusammen mit Barbara Junge in einer Doppelspitze. Von 2014 bis 2020 beim Deutschlandfunk in Köln als Politikredakteurin in der Abteilung "Hintergrund". Davor von 1999 bis 2014 in der taz als Chefin vom Dienst, Sozialredakteurin, Parlamentskorrespondentin, Inlandsressortleiterin. Zwischendurch (2010/2011) auch ein Jahr Politikchefin bei der Wochenzeitung „der Freitag“.

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