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Aufnahme von GeflüchtetenInnenminister blockiert Länder

Bundesinnenminister Horst Seehofer bleibt „kaltherzig“ und untersagt nach Berlin auch Thüringen, Geflüchtete einzufliegen. Das Land prüft eine Klage.

Seehofer untersagt auch Thüringen, Geflüchtete aufzunehmen Foto: Bernd von Jutrzcenka/dpa

Berlin taz | Wenn der Berliner Senat am Dienstagvormittag seine Sitzung beginnt, werden ihn Sprechchöre des Bündnisses Seebrücke begleiten. Die Aktivist*innen haben um 9 Uhr zur Kundgebung auf dem Vorplatz des Roten Rathauses aufgerufen. Ihre Forderung: Die Landesregierung darf sich humanitäre Hilfe von der Bundesregierung nicht einfach so verbieten lassen.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte erst Berlin und am Freitag auch Thüringen untersagt, Sonderkontingente Geflüchteter aus Griechenland aufzunehmen. Die beiden Länder wollten 300 beziehungsweise 500 Menschen aus überfüllten Lagern aufnehmen.

Die Möglichkeit von landeseigenen Aufnahmeprogrammen ist im Aufenthaltsgesetz vorgesehen. Dort heißt es allerdings auch, es bedürfe zur „Wahrung der Bundeseinheitlichkeit“ des „Einvernehmens“ mit dem Bundesinnenministerium. Genau das aber verweigert Seehofer derzeit. Stattdessen will er auf eine europäische Lösung warten. „Für nationale Alleingänge stehe ich nicht zur Verfügung“, erklärte er.

Alexandra Nehmer vom Bündnis Seebrücke hält diese Begründung für eine Farce. „Seehofer weiß genau, dass auf europäischer Ebene keine angemessene Hilfe für Geflüchtete in Sicht ist“, sagt sie. Stattdessen nutze er das Gesetz nun, um den Ländern bereits beschlossene Hilfe zu verbieten und damit seine Abschottungspolitik fortzusetzen. Sie fordert die Bundesländer Thüringen und Berlin dazu auf, notfalls zu klagen.

Ein politisches Signal

Günter Burkhardt kennt die Situation der Geflüchteten in Griechenland. Der Geschäftsführer von Pro Asyl ist gerade selbst auf Lesbos und nennt die Entscheidung Seehofers „kaltherzig“. Im Lager Moria, wo derzeit um die 14.000 Menschen ausharren, werde ihm bewusst, wie unzureichend selbst die Pläne von Thüringen und Berlin seien.

Eine mögliche Klage der Länder gegen den Bund hält er für „ein wichtiges politisches Signal“. Um den Menschen in den Lagern schnell und effektiv zu helfen, müssten die 2.100 von den Ländern zugesagten Plätze jetzt ausgeschöpft werden. Zusätzlich könnten Bund und Länder 3.000 bis 4.000 Geflüchteten, die Angehörige in Deutschland haben, die Einreise erlauben. „Wir haben eine starke, aufnahmewillige Zivilgesellschaft in Deutschland, die das ohne Probleme stemmen kann“, sagt Burkhardt.

Ob es zu einer Klage kommt, ist unklar. „Wir prüfen das derzeit“, sagt Dirk Adams, grüner Justizminister von Thüringen. Ein möglicher Ansatzpunkt sei die Frage, ob kleine Aufnahmeprogramme einzelner Länder tatsächlich die „Bundeseinheitlichkeit“ gefährdeten. „Wir haben dieses Jahr aufgrund der Coronakrise circa ein Drittel weniger Geflüchtete aufgenommen als in vorherigen Jahren“, sagt Adams. Thüringen will über drei Jahre verteilt 500 Geflüchtete aufnehmen. Dass dies tatsächlich zu einer „Zersplitterung“ der deutschen Migra­tionspolitik führe, hält Adams für fraglich.

Trotzdem hofft Adams weiter auf eine politische Lösung. Die Länder seien bereit zu helfen. Der juristische Streit sei zwar relevant; „letztendlich hilft er aber keinem einzigen Geflüchteten“, sagt Adams. Jetzt gelte es, die Menschen tatsächlich nach Deutschland zu holen.

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18 Kommentare

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  • Was wird, wenn "SEEBRÜCKE" und die "SICHEREN HÄFEN" in der politisch humanen EU.. BRD weiter erstarken? Dann dürfte Seenot Rettung legale Pflicht sein... und MORIA (...) wäre vorbei!







    Beitrag wurde gekürzt.



    Die Moderation

  • Das Problem hat doch gar nichts mit den Flüchtlingen zu tun: die leere Unterkunft bezahlt das Bundesland, die belegte Einrichtung der Bund, Geld gibt es für jeden einzelnen Flüchtling. Bundesländer, die sowieso klamm sind oder aus politischen Gründen viele Unterkünfte vorhalten, haben also ein starkes finanzielles Anliegen. Das gleiche gilt für die Träger der Einrichtungen, auch die bekommen nur für das belegte Flüchtlingsbett Cash. Es ist also auch ein wirtschaftliches Interesse an dieser Stelle. Im Grunde ist das nicht schlimm, bei Krankenhäusern oder Pflegeheimen ist es auch so, aber man muss es offen sagen. Sonst wird doch hier auch immer über den bösen Kapitalismus geschimpft, bitte auch an dieser Stelle.

  • Mich würde ja mal interessieren, was wäre wenn Seehofer verbieten würde Schiffbrüchige auf dem Bodensee zu retten ...

    Ich finde es wirklich schlimm, dass wir Deutschen uns verantwortlich dafür machen, dass unschuldige Menschen in Lagern zu Tode kommen.



    Selbst wenn diese Lager diesmal nicht auf Deutschem Boden stehen: Wir sind alle mitschuldig für den Tod tausender, unschuldiger Opfer.



    Mitschuldig weil wir dieses Handeln der Regierenden hinnehmen.

    Wenn irgendwo mal fünf Köpfe Salat in den Müll müssen, weil in der benachbarten Kokerei was undicht war, ist das Geschrei weitaus größer!

    Niemand kann behaupten er hätte nichts gewusst.



    Insbesondere nicht Seehofer oder die Bundesregierung.

    Wenn ich sehe wie jemand in einem Fluß ertrinkt habe ich natürlich auch Sorge um meinen guten Anzug - aber trotzdem gebietet es die Menschlichkeit dass ich ins Wasser springe und helfe.

    • @Bolzkopf:

      Völlig wertfrei eine Befragung des Spiegel zu dem Thema vom Beginn dieser Woche. Gespalten bis uneinheitlich ist das Ergebnis. www.spiegel.de/pol...-b0e4-7ae46d365298

      • @unbedeutend:

        War eigentlich auf Antwort an @JM83 gemeint.

    • @Bolzkopf:

      Wer wird eigentlich für die Ertrinkenden Flüchtlingen im Ärmelkanal die Schuld übernehmen? England, Frankreich, die EU oder auch Deutschland?

    • @Bolzkopf:

      Heutzutage schämt sich man nur in diesem Land wegen der im Land herrschenden Unmenschlichkeit und Ungerechtigkeit.

  • "Wir haben eine starke, aufnahmewillige Zivilgesellschaft in Deutschland"...woher nimmt Herr Burkhard eine derartige Aussage? Soll es doch eine Volksbefragung geben, ob die Deutschen das möchten.

    • @JM83:

      Ist doch egal, was „Die Deutschen“ wollen.



      „Die Deutschen“ wollten in der Vergangenheit von Nazis regiert werden. War aber nicht die richtige Entscheidung.



      Wenn jemand keine Flüchtlinge/Asylsuchende in seinem Land haben möchte, der sollte lieber ausreisen oder eine Partei wählen, die gegen Menschlichkeit ist.

      • @TRG :

        Kommentar entfernt. Bitte beachten Sie die Netiquette.

      • @TRG :

        Sehr demokratische Ansicht.

  • Erbärmlich. Traurig. Dass der sich Christ nennen darf.

  • Nicht warten, sondern Taten, liebe Ländervertreter.



    Was spricht gegen eine Zersplitterung der Migrationspolitik? In der Coronakrise gibt es auch kein einheitliches Vorgehen mehr - zurecht, denn an jedem Ort existieren andere Möglichkeiten, und Bereitschaften. Warum dürfen die Koalitionen der Willigen nicht vorangehen? Wegen einem zu unflexiblen Innenminister, der seine rechtliche Unwissenheit und gesamtgesellschaftliche Unfähigkeit schon lange bewiesen hat.

    Die Kanzlerin hat ihn ja ganz bewusst in dieses Amt verwiesen, damit er sich offenbaren kann.







    Was zählt ist die sofortige Hilfe für Kinder und Ihre Eltern in Not, und nicht eine wohlgenährte gemeinsame Migrationspolitik aller Länder. Wenn dies auf Europäischer Ebene schon nicht funktioniert, wie soll das jemals auf schwarz-rot-goldgrünem) Gelände funktionieren.

    Traut Euch von den "Seehofer`schen Weisungen" abzukehren.



    Setzt Prioritäten; Menschenleben oder Gesetzestexte.

    Soll der Minister und seine Gehilfen doch klagen, wenn die Klärung so lange dauert wie beschrieben, kann doch nichts verloren sein - zumindest für die wenigen die schonmal in Sicherheit sind.

    • @Sonnenhaus:

      Siehe ich auch so.



      Wieso ist bei einem Thema Föderalismus wichtig aber bei einem anderen Thema nicht?

  • Sobald die Bundesländer die Kosten zur Versorgung und Betreuung der Geflüchteten selbst bezahlen müssten, wäre die ausgestellte Bereitschaft schnell vorbei. Deshalb: Die Aufnahme von Flüchtlingen darf nicht am „wer will“ hängen, sondern an klar definierten Bedingungen inkl. der gesetzlichen Pflicht.

    • @TazTiz:

      Nee, danke!



      Finden Sie das nicht gut? Dann wissen Sie, wen sie wählen sollten.

  • Ich wüsste eine einfache Lösung: Die Länder, die weitere Migranten aufnehmen wollen, verpflichten sich, die gesamten Kosten für diese alleine zu tragen und nicht aus dem Finanzausgleich zu finanzieren. Und auch dafür Sorge zu tragen dass die Menschen dann dort auch bleiben.



    Ansonsten ist das schlicht Geld ausgeben das man selber nicht verdienen muss.

    • @Holger Steinebach:

      Ach so, gilt das auch für die von dem Bundesland verursachten Kosten oder?



      Wenn nicht alle Kosten, die im Bundesland entstehen, vom selben Bundesland bezahlt werden , dann nee lieber so viele aufnehmen, wie möglich und kosten auf alle verteilen.