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Aufmerksamkeit für Leid und TodAls wären wir den Menschen egal

Auf CNN sahen wir die Berichte über den Genozid in Ruanda, aber nichts geschah. Heute sehe ich Berichte vom Mittelmeer – und erneut geschieht nichts.

Ein Berg von Schwimmwesten auf der griechischen Insel Lesbos Foto: Michael Bunel/imago images

N eulich konnte ich nicht schlafen und scrollte gedankenverloren durch Twitter als ich den Post einer Freundin sah: 95 eritreische Menschen – darunter ein einjähriges Baby – drohten auf einem Boot vor Malta zu ertrinken. Der Motor war ausgefallen und nach und nach drang Wasser ein. Daneben ein anderes Boot mit 45 Menschen aus Libyen, dem ein ähnliches Schicksal drohte.

Der Twitter-Account postete im Stundentakt Meldungen, wie es den Menschen an Bord geht. Der erste Tweet hat nach jetzigem Stand weniger als 300 Retweets und etwas über 200 Likes. Das ist die Aufmerksamkeit die wir Schwarzen Menschen schenken, die zu ertrinken drohen.

Ich musste sofort daran denken, wie ich als fünfjähriges Kind 1994 während des Genozids mit meiner Mutter und meinen Schwestern im Hotel Mille Collines, das später als Hotel Ruanda bekannt wurde, in einem Zimmer saß, bei CNN sah, wie über den Genozid berichtet wurde – aber einfach nichts geschah. Es war, als wären wir den Menschen egal, obwohl sie wussten, was gerade passiert. Ich war mir sicher, dass auch wir nicht überleben würden. Dieses Gefühl werde ich nie vergessen.

Ich versuche mir auszumalen, was in den Köpfen der 95 Menschen vorgeht, die im Boot sind und davon ausgehen, dass sie nicht überleben werden. Wie heuchlerisch mögen sie die schwarzen Rechtecke finden, die viele in Solidarität mit Schwarzen Menschen auf Instagram gepostet haben, wenn sie an die Gleichgültigkeit denken, die ihnen seit Jahren entgegenschlägt.

Diese Leben auch!

Ich nehme mich da selbst nicht raus. Es ist unglaublich, wie bequem wir es uns gemacht haben – bis auf einige Ausnahmen wie Seawatch und ähnliche Organisationen –, während vor europäischen Außengrenzen und auf den Migrationsrouten durch Afrika regelmäßig Tausende Menschen gequält, gedemütigt und umgebracht werden. Am 18. Juni hatte das Europäische Parlament noch in Solidarität mit der Black-Lives-Matter-Bewegung getwittert, dass Rassismus keinen Platz in der EU habe. Schwarze Menschen offenbar aber auch nicht.

Ich will George Floyds Tod nicht herunterspielen, nicht diese Leben zueinander in Wert setzen. Ich weiß, dass es etliche Menschen gibt, die sich über Polizeigewalt gegen Schwarze in Amerika und anderswo empören und genauso auch darüber, dass Schwarzes Leben im Mittelmeer endet. Aber ich will nochmal deutlich sein für die, die es nicht mitkriegen wollen: These Black Lives Matter Too!

Wie fühlt es sich an, Frachter, große Fischerboote und Handelsschiffe vorbeiziehen zu sehen, während das eigene Kind auf einem Boot verdurstet und zu ertrinken droht? Wie fühlt es sich an, Notrufe abzusetzen und stundenlang ignoriert zu werden? Nach 33 Stunden wurde das Boot mit den 95 Menschen vom maltesischen Militär gerettet und das Boot mit den 45 Menschen konnte nach Stunden in Lampedusa anlegen. Gleichgültigkeit ist eine Sache. Wer den Glauben an die Menschheit endgültig verlieren will, sollte sich einige Kommentare unter den Tweets von Alarm Phone anschauen. Lachende Smileys.

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Anna Dushime
Journalistin, Speakerin und freie Kreative. Kolumne: "Bei aller Liebe". Foto: Pako Quijada
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9 Kommentare

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  • Alles wird vergessen, deswegen steht's in der taz und kann kommentiert werden. (z.B. Israel und die Palästinenser: die vergessene Apartheid).



    Ich denke, dass viele Menschen seit 2004 gut verstanden haben was in Rwanda stattfand. Aber just-in-time verstand es niemand.



    Direkt während dem Völkermord an Tutsi und oppositionellen Hutu gab es massive Propaganda im Sinne des Mordens, von der putschenden Regierung, und von deutschen Autoren, wie Helmut Strizek, der die Völkermord-Aufrechnung bis heute betreibt. Beschuldigt werden Bill Clinton oder "die Tutsi" usw.



    Im Linken Spektrum ist es zum Schauplatz Bosnien noch übler. Da ist Jürgen Elsässers Verleumdung immer noch nicht weggeschoben, weil man ja reflexhaft den NATO-Angriff auf Serbien ablehnen musste.



    Ich weise die Behauptung der Ignoranz aufgrund der Hautfarben zurück, sondern betone die Unwissenheit und die Sprachbarrieren: Kinyarwanda, Arabisch, die Eingeschlossenheit von Gesellschaften in eine politische Kultur, und die mangelnde Gegenmacht von BürgerInnen gegen z.b. Salvini an der Küste, oder im Falle 1994: gegen die Konrad-Adenauer-Stiftung in Rwanda oder für die Rettung von Bedrohten durch blitzschnelle militärische geeignete Mittel. Dann jeweils im Krieg gegen rivalisierende Großmächte, die die dortigen Mördergruppen protegieren.

  • Jemand, der in Nordafrika in ein Boot setzt, weiss, was er tut. Hat dafür zumeist auch noch 1000-de Euro bezahlt. Weiss, dass er in Europa als Migrant ohne Ausbildung kaum eine Chance hat. Und die Meisten der Bootsmigranten bekommen kein Asyl zugesprochen.



    Daher habe ich Mitleid mit Frauen, die in Afrika zwangsbeschnitten werden, mit Kindern, die zwangsverheiratet werden, aber nicht mit Migranten, die in die Boote steigen.

    • @Sandra Becker:

      Volle Zustimmung zu Ihrem zweiten Absatz. Was den ersten Absatz betrifft: die einen gegen die anderen auszuspielen ist... billig.

  • Das ist tatsächlich schwer zu ertragen.

  • 8G
    83191 (Profil gelöscht)

    Es ist schwierig über dieses Thema zu schreiben ohne wie ein Egoist oder Anti-Mensch zu klingen. Aber..

    Es gibt viele Probleme an denen Menschen sterben. Krankheiten, Armut, Verbrechen, Krieg, Korruption. Sterben und Leiden ist Bestandteil menschlicher Existenz.

    Letztlich ist es die Aufgabe jeder Regierung genau diese Leidensursachen gegeneinander aufzuwiegen, indem die endlichen Ressourcen darauf verteilt werden. Im Prinzip langfristig das Bestmögliche für alle Einwohner des eigenen Landes herauszuholen. Bei Diktatoren zählen zu diesen Einwohnern nur die "wichtigen" für den Erhalt der Diktatur. Bei Demokratien im Idealfall alle Einwohner. Bei der EU eben auch in Theorie die Menschen anderer Länder. Und dann gibts da noch die Menschenrechte.

    Aber die Menschen die im Mittelmeer ertrinken werden nicht eingeladen. Sie werden nicht von uns aufs Meer gesetzt. Sie begeben sich aus vielerlei, teils berechtigten Gründen, vorsätzlich in eine Situation aus der nur wir sie retten können.

    Sie bleiben den Grund schuldig warum wir Ressourcen umleiten sollen, um diese Menschen zu retten. Wir tun es ja auch für andere, deutlich nähere Zwecke nicht. Und was ist wenn wir eine Strategie der absoluten Aufnahme durchführen..Was dann? Bluten wir dann die Herkunftsländer nicht systematisch aus? Fachkräftemangel sozusagen. Werden die Probleme hierzulande dadurch irgendwie geringer ?

    Nächstenliebe genau wie Erste Hilfe hört eben da auf wo man sich selbst einem Risiko aussetzt.

    • @83191 (Profil gelöscht):

      Echt?

      Haben Sie tatsächlich die Frage gestellt, "... warum wir Ressourcen umleiten sollten um sie zu retten..."?



      Und haben sie das Nichttun damit begründet, dass wir in Europa "... für deutlich nähere Zwecke..." nichts tun?

      Falls ich das so richtig verstehe, dann herzlichen Glückwunsch zu Ihrer sehr egoistischen und nur sehr dezent unterschiedlich zur nationalistischen Einstellung.

      Sie beschreiben nichts anderes als auf den guten alten NPD Plakaten" Deutsche zuerst".



      Und erklären das damit, dass ja bald Millionen und AberMillionen kommen um unser Europa auszuhungern... Das ist leider schon der erste Denkfehler.



      Denn es gibt einfach genug Anlässe für den Großteil der Menschen in ihrer Heimat zu bleiben,wenn es keine Kriege,Diktatoren,klimabedingte Katastrophen,und andere (auch durch Europa verursachte) dringende Gründe zur Flucht gibt.

      Einen anderen Fehler in Ihrer Argumentation sehe ich in der Situation wie Sie Europa beschreiben...



      Wenn "wir" tatsächlich als Europäer*innen (ca. 500 Mio) agieren würden, dann würden die paar hunderttausend geflüchteten Menschen keine wirtschaftliche Rolle spielen und bestens aufgenommen werden.

      Die dritte "falsche" Idee bei ihnen ist, dass es exorbitane extra Ressourcen benötigt, dass die Menschen im Mittelmeer gerettet werden können.



      Wenn man die bestehende Rettungskette von 2016 nehmen würde und mit den Schiffen der NGOs und den Militärschiffen zur Kontrolle des Libyen Embargos ergänzt, dann wäre schon viel passiert.



      Besonders wenn man die Millionen Euro und die Schiffe, welche (absolut fehlgeleitet für den Rettungszweck) an Libyen gegangen sind mit einberechnen würde.



      Und dies ist nur ein Beispiel aus den letzten Jahren bei dem also wesentliche Ressourcen verschwendet wurden um Menschen abzuhalten von Europa.

      Und als letztes möchte ich noch das "Totschlagargunent" für die Sichtweise uns europäischen Gutmenschen hervor kramen.



      Es wird Ihnen ggf.nichts sagen, aber...



      die moralische Verpflichtung gegenüber eines jeden Lebens!

      • 8G
        83191 (Profil gelöscht)
        @Schusters Bernd :

        Ich stimme Ihnen im Prinzip zu, jedoch stößt ihr Idealismus auf meinen Realismus. Bitte trennen Sie Emotionalität von Rationalität. Das wollte ich mit meinem 1. Satz klarstellen. Etwas nicht ändern zu können bedeutet nicht gleichzeitig, es nicht ändern zu wollen.

        Als Beispiel: Der Welthunger hat die Menschen in den letzten Jahrzehnten kaum bewegt und ist für mich ein größeres Problem (was aber immerhin schrittweise kleiner geworden ist).



        An den Argumenten, Mitleid und Solidarität, hat sich in den letzten 5 Jahren wenig geändert. Warum sollte es sich jetzt ändern, wenn die Argumente die Gleichen bleiben? Wir stehen mit Forderungen und Argumenten auf der Stelle und erwarten das sich etwas von sich heraus ändert. Rassismus ist kein Hauptgrund die Menschen nicht aufzunehmen, es ist Armut und Angst vor X (z.B. einer anderen Kultur, Verarmung / Steigende Lebenskosten, Arbeitsplatzverlust etc.). Teile ich diese Angst? Nicht grundsätzlich. Bin ich mir bewusst das sie bei einigen Menschen existiert? Ja. In der Geschichte gab es eine ähnliche Angst bzgl. Aufnahme von Flüchtlingen auch '45 und '89 als man die gleiche Kultur teilweise mit dem Land aufnahm.

        Dem mir unterstellten Denkfehler 1 widerspreche ich. Sind die Flüchtlingsströme aus Nordafrika seit 2015 kleiner geworden? Meiner Wahrnehmung nach nicht.

        Die Realität zeigt (leider), dass die EU kein Interesse an einer Aufnahme dieser Menschen hat. Ein Zurückschicken ist ohne Pass schwer möglich (niemand nimmt die Migranten / Flüchtlinge ohne Nachweis an). Also nutzt man die Ressourcen um sich abzuschotten. Damit habe ich Bauchschmerzen, na klar. Aber schlafen kann ich trotzdem. Sie, denke ich, auch.

      • @Schusters Bernd :

        Danke!

        Ich hätte es nicht besser ausdrücken können.

  • Solche Vorwürfe, dass bestimmte Schicksale ignoriert werden, finde ich problematisch. Das ist normal und in jeder Community/Region/Land/Kontinent so, dass einem zunächst mal Schicksale von Leuten nahegehen, mit denen man irgendwie eine Verbindung hat.

    Aus dem Grund bekommen die BLM-Proteste auch soviel Aufmerksamkeit, weil wir hier im Westen mit Interesse die News aus den USA verfolgen. Schicksale von Inhaftierten im Iran treiben dagegen niemanden auf die Straßen.

    Die Menschen in Afrika ignorieren genauso das Leid der hunderttausenden Lateinamerikaner, die im Drogenkrieg sterben. Weil sie in der Regel keine wie auch immer geartete Connection zu dem Kontinent haben.

    Man kann nicht genauso viel Empathie für alle Katastrophen und Leid auf der Welt zeigen.