Aufklärung von „NSU 2.0“-Drohmails: Das laute Schweigen der Grünen
Wegen des Skandals um „NSU 2.0“-Drohmails steht der hessische Innenminister schwer in der Kritik. Die Grünen sind auffällig leise.
![Aufnahme von unten, Beuth steht an einem Rednerpult vor versammelter Presse Aufnahme von unten, Beuth steht an einem Rednerpult vor versammelter Presse](https://taz.de/picture/4271636/14/25545557-1.jpeg)
Erst musste er Medienberichte bestätigen, dass die Linken-Politikerin und Fraktionschefin Janine Wissler seit Monaten unter dem Absender „NSU2.0“ von Rechtsextremisten mit dem Tod bedroht wird. Dann räumte er ein, dass ihre Daten von einem Polizeicomputer abgerufen wurden. Dass er selbst davon angeblich erst von Journalisten erfahren hat, lastete er in einer wütenden Attacke zunächst dem Landeskriminalamt an. Dann machte er seinen Landespolizeipräsidenten für die Panne verantwortlich, feuerte ihn, ernannte einen Sonderermittler und dazu gleich noch einen neuen Polizeichef.
Inzwischen hält der Minister sogar für möglich, was er stets kategorisch ausgeschlossen hatte, dass es nämlich in der hessischen Polizei rechte Netzwerke geben könnte. „Der Verdacht wiegt schwer“, so Beuth. Die Landtagsopposition attestiert dem Minister längst Totalversagen, zumal die Reihe der Drohmails gegen Politikerinnen, Journalistinnen und andere nicht abreißt.
Der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder legt dem Minister daher den Rücktritt nahe. „Was muss denn noch alles passieren, um zu beweisen, dass der Staat auf dem rechten Auge blind ist? Was Sachsen und Thüringen im Osten waren, ist Hessen gegenwärtig im Westen. Und wenn jetzt der Feind sogar in den eigenen Reihen steht, hat das natürlich eine noch tiefgreifendere Dramaturgie“, so der Politikprofessor gegenüber der taz.
Um 21 Monate verschlafen
Doch vom grünen Koalitionspartner, zu dessen politischem Programm der Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus gehört, ist bis heute kein kritisches Wort gegen den Minister überliefert. Die innenpolitische Sprecherin der Grünen erklärte sich zwar „zutiefst besorgt“, sprach vom „Fehlverhalten Einzelner“, versicherte aber gleichzeitig dem zurückgetretenen Polizeipräsidenten ihren Respekt.
Erst nach zwei Wochen fand am Freitag mit Landtagsfraktionschef Mathias Wagner erstmals ein Grüner aus der ersten Reihe deutliche Worte. Der Wechsel an der Spitze der Landespolizei reiche nicht aus, lautete Wagners Botschaft. „Ein Neuanfang ist unerlässlich, damit sich die Opfer der Drohschreiben darauf verlassen können, dass sie geschützt werden und alles zur Ermittlung der Täter getan wird“, sagte er. Und räumte damit indirekt ein, dass in den 21 Monaten seit den ersten NSU-Drohmails gegen die Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız offenbar nicht genug getan wurde.
Wie erklärt sich angesichts dieser bitteren Bilanz die demonstrative Zurückhaltung der Grünen? Das fragen sich nicht nur die Oppositionsparteien. Auch der grüne Ex-Justizminister von Hesssen, Rupert von Plottnitz, wundert sich: „Ich verstehe nicht, dass man offenbar fast zwei Jahre nach dem ersten Fall keine sichere Methode entwickelt hat, den Urheber von rechtswidrigen Datenabfragen von Polizeicomputern identifizieren zu können“, sagte er gegenüber der taz. Er wundere sich außerdem, dass der Beamte, der zum Zeitpunkt der Abfrage der Daten der Linken Politikerin Wissler eingeloggt war, im Ermittlungsverfahren offenbar von Anfang an und bis heute nur als Zeuge geführt wird.
„Keine Bereitschaft für Konflikte“
Der Kassler Politikprofessor Wolfgang Schroeder hat eine einfache Erklärung für die grüne Zurückhaltung trotz der brisanten Sachlage. „Da gibt es die tiefe Überzeugung, dass grüne Regierungsfähigkeit darin besteht, diese besondere Kooperation mit der Union unfall- und aufmerksamkeitsfrei zu gestalten“, sagt er im Gespräch mit der taz. „Es gibt keine Bereitschaft, große Konflikte auf offener Bühne auszutragen. Umfragen und Wahlergebnisse bestätigen sie darin auch“.
Die offenkundigen Querelen zwischen LKA und Polizeiführung wollen CDU und Grüne jetzt mit einer umstrittenen Gesetzesänderung beenden. Künftig soll an der Spitze des LKA eine politische BeamtIn stehen. Anders als jetzt soll dann die Präsidentin ohne Angaben von Gründen abgelöst werden können. Der grüne Exminister von Plottnitz findet auch das befremdlich. „Ich erinnere mich daran, dass wir in rot-grünen Regierungszeiten bestrebt waren, den politischen Einfluss auf die Ermittlungsbehörden zurückzudrängen“, sagt er und äußert einen schlimmen Verdacht: „Ich will nicht hoffen, dass es einen Anlass für diese Gesetzesänderung gibt, etwa die Befürchtung, dass die gegenwärtige LKA-Führung nicht entschieden genug gegen mögliche rechtsextremistisch Netzwerke in der Polizei vorgeht.“
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