Aufarbeitung der NSU-Mordserie: Bundestagsbeschluss auf der Kippe
SPD und Grüne wollen im Kabinett den Bau eines NSU-Dokumentationszentrum beschließen. Für einen Beschluss im Bundestag kommt das wohl zu spät.
Der „Nationalsozialistische Untergrund“ hatte von 1999 bis 2011 zehn Menschen ermordet und drei Sprengstoffanschläge verübt. Die Gruppe konnte über Jahre unerkannt agieren, ein rechtsextremes Motiv sahen Ermittlungsbehörden nicht, stattdessen wurden Opferfamilien verdächtigt. Für diese ist bis heute ungeklärt, warum die Sicherheitsbehörden so versagten und ob es weitere Terrorhelfer gab.
Mit ihrem Gesetzentwurf wollen SPD und Grüne die Einrichtung eines NSU-Dokumentationszentrums zumindest noch auf den Weg bringen. Der NSU-Terror sei mit Blick „auf die Fehler und Versäumnisse des Staates und der Gesellschaft“ eine „Zäsur“, heißt es im Gesetzentwurf. Dies habe in der Bevölkerung „Vertrauen erschüttert“. Bis heute gebe es bundesweit keinen Erinnerungsort, der sich explizit mit dem NSU-Terror beschäftige. Auch sei generell die Geschichte des deutschen Rechtsterrorismus nach 1945 „nach wie vor nicht im kollektiven Gedächtnis verankert“. Diese „strukturelle Lücke in der Erinnerungslandschaft“ solle das Dokumentationszentrum schließen.
Mit dem Gesetz soll eine Stiftung für das Zentrum geschaffen werden. Dieses soll bis 2027 in Berlin entstehen, mit einer Dauerausstellung und einem Archiv, explizit auch mit Fokus auf die Opfer. Für den Bundeshaushalt 2025 waren 2 Millionen Euro für das Projekt vorgesehen, für die Jahre ab 2026 dann 12 bis 15 Millionen Euro. Dazu kommen ab 2027 jährlich 15 Millionen Euro für Personal und die Dauerausstellung. Daneben soll sich das Zentrum auch als „Verbund“ verstehen und bundesweit weitere Orte und Initiativen mit einbeziehen, die sich mit dem Thema beschäftigen. So entsteht derzeit bereits in Chemnitz ein vorübergehendes NSU-Dokumentationszentrum.
Erst im August legte Faeser Gesetzentwurf vor
Allein: Um das Gesetz noch im Bundestag zu verabschieden, kommt der Kabinettsbeschluss wohl zu spät. Denn es dauerte bis zu diesem August, bis Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ihren Gesetzentwurf für das Zentrum vorlegte. Zuvor hatte ihr Ministerium Gutachten und eine Machbarkeitsstudie eingeholt, auch Treffen mit Opferangehörigen organisiert. Strittig war zudem der Standort des Zentrums, da Chemnitz eine weitere Option war, die von den Angehörigen aber abgelehnt wurde.
SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese sagte der taz, er begrüße den bevorstehenden Kabinettsbeschluss sehr. Auch er spricht beim NSU-Terror von einer „Zäsur“. „Nach der furchtbaren Verbrechensserie des NSU-Trios leisten wir mit diesem Vorhaben einen wichtigen Beitrag zum Gedenken an die Opfer sowie zur Bearbeitung des Komplexes im Rahmen historisch-politischer Bildung.“
Geht es nach Wiese, könnte das Gesetz auch noch in den letzten Sitzungen des Bundestags vor der Neuwahl verabschiedet werden. „Das hängt nun von den demokratischen Mehrheiten in diesem Haus ab“, so Wiese. Es liefen dazu und zu anderen Vorhaben Gespräche mit der Union. Dort allerdings hatte man zuletzt bekräftigt, höchstens noch „einige unaufschiebbare Vorhaben“ der Regierung zu unterstützen.
Die Grünen-Abgeordnete Misbah Khan zeigte sich enttäuscht. „Es ist ein trauriges Spiegelbild der bitteren Realität der NSU-Aufarbeitung, dass dieses Gesetz durch die vorgezogenen Neuwahlen und die unklaren Mehrheitsverhältnisse auf der Kippe steht“, sagte sie der taz. Khan und die Grünen setzen sich seit Langem für das Dokumentationszentrum ein.
Opferangehörige begrüßen den Beschluss
Barbara John, Ombudsfrau der Opferfamilien, sagte, die Hinterbliebenen begrüßten den Kabinettsbeschluss zum Dokumentationszentrum. Sie hofften auf einen zügigen Beschluss im Bundestag – wenn nicht in dieser Legislatur, dann in der nächsten. „Auch 24 Jahre nach dem NSU-Mord an Enver Şimşek bleibt es zentral, vor jeder Form des Rechtsterrors zu warnen und diesen aufzuarbeiten“, so John.
Genauso wichtig sei es, für die Angehörigen, ihre physischen und psychischen Folgen nach den Terrortaten im Blick zu behalten. „Die Familien mussten jahrelang nach den Morden gegen die Diskriminierung durch die Opfer-Täter-Umkehr der staatlichen Sicherheitsbehörden kämpfen und auch mit der fehlenden Anerkennung als Terroropfer“, so John. „Auch da muss weiter gehandelt werden.“
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