: „Auf dem Weg zur solaren Weltwirtschaft“
Interview mit dem Buchautor und Bundestagsabgeordneten Hermann Scheer
taz: Im neuen Jahrtausend muss sich die solare Weltwirtschaft etablieren, so Ihre zentrale Forderung. Wie unterscheidet sie sich von dem, was wir heute haben?
Hermann Scheer: Die Energiewirtschaft, wie wir sie heute mit ihren zentral gesteuerten Infrastrukturen und ihren Großtechniken einsetzenden Unternehmensformen kennen, wird es nicht mehr geben. Der Weg von der fossilen zur solaren Weltwirtschaft ist eine der Ablösungen von endlichen durch dauerhafte, von Umwelt zerstörenden durch Umwelt schonende und von importierten durch heimische Energiequellen. Das bedeutet auch: Ablösung der Uran-, Öl-, Gas- und Kohlelieferanten durch nicht kommerzialisierbare und nicht monopolisierbare direkte Energieangebote der Sonne und des Windes oder aus der Landwirtschaft sowie Ablösung von wenigen Großkraftwerken durch zahllose Klein-, Mini- und Mikrokraftwerke. Ich nenne das eine solare Informationsgesellschaft, in der der heutige Trend pauschaler Globalisierung abgelöst wird durch einen globalen Technikmarkt einerseits und regionale Ressourcenkreisläufe andererseits.
Warum muss die Wirtschaft, die Gesellschaft schlechthin auf solare Sockel gebaut werden?
Weil es dazu tatsächlich – aus naturwissenschaftlich beweisbaren Gründen – keine Alternative gibt: Die fossilen Ressourcen sind ohne jeden Zweifel erschöpflich und die Erdatmosphäre hält ohnehin die Verbrennung der bekannten Ressourcen gar nicht mehr aus. Auch die atomare Hypothek ist untragbar. Die nichtatomare Alternative zu fossilen Energien sind die solaren beziehungsweise erneuerbaren Energien.
Wie sieht Ihr Modell aus?
Es ist ein Fehler, vorwiegend auf die Energiewirtschaft zu setzen. Sie ist in ihren Infrastrukturen und Unternehmensformen auf die konventionellen Energien ausgerichtet und somit nicht wirklich frei für die Alternative. Kein Gesundheitspolitiker würde für eine Kampagne zum Nichtrauchen die Zigarettenindustrie beauftragen. Ich setze vor allem auf die Produzenten solarer Umwandlungstechniken, die massenhaft Anlagen zur Selbstversorgung mit erneuerbaren Energien produzieren.
Wie schätzen Sie die Zeiträume für die Umgestaltung ein?
Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren und müssen in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts die atomar-fossile Weltwirtschaft ablösen.
Strom muss auch in der Grundlast fließen. Wie lässt sich das mit regenerativen Energiequellen in einer solaren Welt bewerkstelligen?
Wir brauchen dazu einen Sprung in der dezentralen Speicherung von Strom. Die Entwicklung läuft auf das individuell verfügbare Kleinkraftwerk hinaus, das unmittelbar auf jede Stromnachfrage reagiert – wie ein Fahrzeug, das automatisch vom Leerlauf bis in den fünften Gang schaltet.
Die großen Stromkonzerne werden von Ihren Plänen nicht begeistert sein. Wer soll den Einstieg und die Ausgestaltung einer solaren Weltwirtschaft gestalten?
Die Motorenindustrie, die mit solaren Brennstoffen arbeitet. Die Hersteller von Baumaterialien, die gleichzeitig Energieanlagen sind. Die Elektronikindustrie, die begreift, dass man mit Photovoltaik den Strombedarf ohne Netz und sogar ohne Kabel decken kann. Die Landwirtschaft, die ihre Produktion von Bio-Energie wieder über die Nahrungsmittel hinaus ausdehnt. Und die Politiker, die erkennen, dass die unveränderbaren naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten Vorrang vor willkürlichen Marktgesetzen haben müssen, wenn sie in Konflik zueinander stehen. Der Gegensatz von Plan- und Marktwirtschaft prägt immer noch die wirtschaftsideologischen Debatten. Dabei übersehen die Wirtschaftsideologen, dass sich jedwede wirtschaftliche Ordnung bei Strafe des Untergangs den elementaren ökologischen Anforderungen unterstellen muss. Konkret: Marktgleichheit ja, aber nicht zwischen umweltschädlicher und umweltverträglicher Energie. Das Umweltschädliche muss diskriminiert werden.
Interview: Michael Franken siehe auch Buchtipp Seite 36
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