Auf dem Weg nach Cottbus: Fußballfans im Zug überfallen und gedemütigt
Laut einem Augenzeugenbericht zwangen Hannover-96-Fans in der Bahn weibliche Fans, die T-Shirts auszuziehen. Nun ermittelt die Bundespolizei.

Alle Leute im Zug seien dann von diesem Mob aufgefordert worden, ihre Trikots, Shirts und Schals auszuziehen. „Das Ganze wurde von Schlägen und Tritten untermalt.“ Es habe sich um Fans des Fußballklubs Hannover 96 gehandelt. Die hätten vor nichts halt gemacht und sogar in einen Kinderwagen reingegriffen, weil das Baby mit einer Cottbusdecke bedeckt war. Er selbst sei glücklicherweise unbeschadet davon gekommen, weil er keine Fan-Utensilien bei sich hatte.
Geistesgegenwärtig hätten er und seine beiden Jungs sich in einem engen Gang vor zwei Frauen gestellt, die „oberkörperfrei vor uns standen und bitterlich geweint haben“. An der nächsten Station Lübbenau seien sie dann zusammen mit den beiden Frauen aus dem Zug „geflogen“, wobei zwei, drei 96er Fans ihnen geholfen hätten, sich durch die Massen zu schieben und die Tür aufhielten.
Über diesen Post berichtete das Fußballmagazin 11 Freunde und fragte, ob dies so passiert sei oder ob die Schilderungen dramatisiert seien, wie andere Fußball-Fans aus dem Zug auf Twitter behauptet hätten. Dort findet sich ein Statement des Vereins Hannover 96, dass man sich erst mal „ein klares Bild verschaffen“ wolle, weil die Schilderungen „deutlich auseinander“ gingen. Ein Nutzer postet dort das Statement über einem Foto von zwei brennenden T-Shirts in einem Stadion.
Platzverweis für Verdächtigen
Wie die Lausitzer Rundschau berichtet, hat die Polizei bei Ankunft des Zuges in Cottbus einen Verdächtigen ermittelt. „Er bekam einen Platzverweis und durfte dementsprechend das Spiel nicht besuchen“, sagt dort ein Polizeisprecher. Dabei soll es sich um einen 37-Jährigen handeln, der verdächtigt wird, T-Shirts und einen Schal geklaut zu haben. Während der Halbzeit des Spiels sollen dann im Gästeblock Fan-Utensilien des FC Energie Cottbus verbrannt worden sein. Das bestätigte ein Polizeisprecher dem NDR.
Die Brandenburger Lokalzeitung schreibt von einem Raubüberfall auf die Cottbusser, der für Entsetzten sorge, „nicht zuletzt, weil auch Frauen und Kinder betroffen waren“. Es sorge für Kopfschütteln, dass Polizei und Bahn hier auf dem falschen Fuß erwischt worden seien, bestehe doch seit Jahren eine Rivalität beider Fan-Gruppen.
Die Hannover-96-Fans seien mit PKWs und Kleinbussen zum Bahnhof Lübben gefahren, um für das letzte Stück mit dem Zug zu fahren. Insider bezeichneten dies als verdeckte Anreise.
Die in Hannover erscheinende Neue Presse schrieb mit Berufung auf die nun ermittelnde Bundespolizei, der mutmaßliche Täter soll unter Androhung von Gewalt neun Schals und zwei Cottbus-Trikots entwendet haben. „Entgegen den dramatischen Schilderungen aus dem Internet sind unter den Beraubten allerdings keine Kinder“, schreibt die Zeitung. Auch sei nach bisherigem Stand der Ermittler keiner verletzt.
Der taz teilte die Bundespolizei mit, es seien bisher elf Geschädigte bekannt, darunter sechs Minderjährige im Alter von 16 bis 17 Jahren und zwei Frauen. Die Bundespolizei sei am Bahnhof Lübbenau durch eine Geschädigte und eine Zeugin von dem Vorfall informiert worden. Sie habe Fahndungsmaßnahmen eingeleitet und die beschuldigte Person identifiziert und festgenommen.
Ob und wie viele weitere Personen an der Tat beteiligt waren und ob es weitere Geschädigte gab, sei Gegenstand von Ermittlungen. Um diese nicht zu gefährden, könne man „aktuell nicht viel mehr sagen“, sagte der Pressesprecher Kostja Stroinski.
Die taz bat auch die beiden Vereine um eine Stellungnahme. Ein Sprecher von Hannover 96 sagte: „Von solchem Verhalten distanzieren wir uns sehr deutlich.“ Der Verein habe direkt nach Bekanntwerden des Vorfalls Gespräche mit allen relevanten Netzwerkpartnern aufgenommen, um ein möglichst klares Bild zu erhalten und die Aufklärung „bestmöglich unterstützen zu können.
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