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Attentat in der UkraineIryna Farion ermordet

Sie galt als glühende Nationalistin und war in ihrer Heimat hoch umstritten. Die Philologin und Politikerin Iryna Farion ist einem Anschlag zum Opfer gefallen.

Iryna Farion Foto: Roman Baluk/reuters

Kyjiw taz | Die Ukraine wird von einem politischen Mord erschüttert. In der Nacht zum Samstag erlag im westukrainischen Lwiw die streitbare und umstrittene Philologin, Philosophin und Politikerin Iryna Farion ihren Schussverletzungen, die ihr ein unbekannter Mörder am frühen Freitag Abend am Kopf zugefügt hatte. Dies teilte der Chef der regionalen Militärverwaltung von Lwiw, Maxim Kozitsky, mit.

„Es ist sehr bedauerlich, aber trotz aller Bemühungen konnten die Ärzte das Leben von Iryna Farion nicht retten. Unser aufrichtiges Beileid geht an die Familie, Freunde und Schüler von Iryna Dmitrievna.“, so Kozitsky.

Gegenüber ukrainischen Medien berichtet der Lwiwer Politiker Igo Zinkevich, der ungefähr zwanzig- bis fünfundzwanzigjährige Schütze habe das Haus seit mehreren Tagen beobachtet.

Präsident Selenskyj kündigte umfassende Ermittlungen und Strafverfolgungan. Polizei und Inlandsgeheimdienst SBU würden gemeinsam an der Aufklärung dieses schrecklichen Verbrechens arbeiten. Man werte bereits Aufzeichnungen der Überwachungskameras aus, erklärte Innenminister Ihor Klymenko. Erschwerend komme jedoch hinzu, dass diese wegen der häufigen Stromausfälle nicht lückenlos seien. Klymenko schloss auch nicht aus, dass sich die Auftraggeber des Mordes in Russland befänden.

In einer ersten Reaktion machte die nationalistische Partei Swoboda, in deren Vorstand Farion seit 2005 saß, die russische Regierung für den Mord verantwortlich. „Der Mord an Iryna Farion wurde auf Befehl Moskaus begangen, unabhängig davon, welcher Bastard ihn direkt ausgeführt hat.“ so Swoboda.

„Die Strafverfolgungsbehörden müssen den Täter dieses Verbrechens finden und bestrafen. Die ukrainischen Behörden müssen den Auftraggeber – Moskowien – offen benennen.“ Nun müsse man endlich alle Agenten Moskaus vollständig neutralisieren, ihre Organisationsstrukturen verbieten, ihre finanziellen und materiellen Kapazitäten zerstören, hieß es in der Mitteilung von Swoboda weiter.

Selbst mit dem Asow-Bataillon lag sie über Kreuz

Neben ihrer politischen und wissenschaftlichen Tätigkeit war Farion auch als Fernsehjournalistin landesweit bekannt. Sie war Gründerin und Autorin des TV-Projekts „Gene der Ukrainer“ (2019-2023) in dem Lwiwer Fernsehsender NTA, war verantwortlich für die YouTube-Kanäle „ProtiAnglism“ (gegen Anglizismen) und „PolitOglyad“ (Politische Beobachtungen), leitete Online-Sprachkurse des Ukrainischen.

2015 wurde sie Doktorin mit ihrer Dissertation zum Thema „Der gesellschaftliche Status der altukrainischen (russischen) Sprache im XIV-XVII Jahrhundert“.

Von 2012 bis 2014 war sie für die Partei Swoboda Abgeordnete der Werchowna Rada.

Nicht immer galt Farion als glühende Nationalistin. Zu Sowjetzeiten gehörte sie vier Jahre dem Komsomol, dem Jugendverband der KPdSU an. In den 1980er Jahren leitete sie einen Kreis für allgemeine Linguistik und marxistisch-leninistische Ästhetik. 1988 und 1989 war sie Mitglied der KPdSU.

„Ich glaube nicht, dass da Russland dahintersteckt“ kommentiert die Verkäuferin Anastasia Grebnewa aus Saporischschja den Mord. „Die Frau hatte in der Ukraine viele Feinde, auch unter Nationalisten. So hatte sie sich unter anderem mit dem Asow-Bataillon angelegt, weil dort in der Tat viel Russisch gesprochen wird.“

Grebnewa kann ihr nicht verzeihen, dass Farion einen jungen Studenten auf der Krim faktisch dem FSB ausgeliefert hatte. Dieser hatte ihr in einer Mail für ihren Einsatz für die ukrainische Sprache gedankt. Und der Frau war nichts besseres eingefallen, als diesen Brief online zu stellen. Wenige Stunden später stand der russische Inlandsgeheimdienst FSB vor der Haustüre des Studenten. Und der hatte sich dann im russischen Fernsehen für seine „Tat“ entschuldigen müssen.

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15 Kommentare

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  • Irina Farion orientierte sich viel mehr an der UPA (Ukrainische Aufständische Armee), dem bewaffneten Flügel der OUN-B (Bandera), die Russen, Polen und Juden zu den Hauptfeinden der Ukraine erklärte. Die OUN-B ist stark rassistisch und steht dem Nazismus näher als dem Faschismus. Bandera betrachtete die Russen als asiatisches Volk und daher kognitiv minderwertig. Dafür müsse die russische Sprache erkämpft werden: Sie sei die Sprache eines minderwertigen Volkes. Diese Ideologie ist in Lemberg sehr präsent.

    Asow ist auch ultranationalistisch, aber der steht dem Faschismus näher als dem Nazismus (über Rassen sprechen sie nicht so viel). Vor dem Krieg hatte Azov sogar Kontakte zu russischen rechtsextremen Gruppen. Viele kommen aus Charkiw. Sie verwenden viele Nazi-Symbole (wie die OUN-B), stehen aber ideologisch näher an faschistischen oder diktatorischen Regimen wie Mussolini, Franco oder Salazar.

    Eine Anmerkung: In einem Interview (das ich jetzt nicht finde) sagte ein Asow-Mitglied auf Ukrainisch, dass seine Einheit an der Front auf Russisch kommuniziere, weil es einfacher sei: Sie müssen nicht im Kopf übersetzen, was sie wollen sagen. Das ist (war) für Farion ein Gräuel.

  • Konstruktion von "Sprache", von "Nation" und "Nationalgeschichte" - das ist doch alles von klugen Leuten schon historisch aufgearbeitet worden, welche Mechanismen abgehen.

    Dass Putin davor Angst zu haben scheint, ist interessant.



    Den Angehörigen alles Gute!

    • @Janix:

      Warum soll Putin vor "Sprache", "Nation" und "Nationalgeschichte" Angst haben? Er spielt doch auf der selben Tastatur.

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Ich kann auch vor der Pistole meines Gegenüber Angst haben, wenn ich selbst eine auf ihn richte.

        Ich vermute ein Attentat durch Kräfte Putins. Das muss nicht so sein. Aber mit dieser Prämisse sehe ich mich wundernd, dass da jemand sogar eine Geisteswissenschaftlerin abräumt, die die Gegenargumente oder -agitationspunkte liefern könnte.

        Die nationale Sprach- und Kulturverherrlichung lässt sich mindestens bis zu Fichte und Herder zurückführen, defensiv-reaktionär gegen den universalistischen Impuls aus dem Westen.



        Fast alle Länder hatten den Virus inzwischen mal. Gerade wünsche ich Russland vor allem Heilung.

        • @Janix:

          Möglich ist natürlich alles.

          Die Frau hatte viele Feinde.

          Allerdings waren ihre Sprüche eine Fundgrube für die russische Propaganda. Die fehlt jetzt...

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Nationalisten fürchten immer en Nationalismus der anderen. Insbesondere der Kolonialvölker.

        • @Machiavelli:

          Nein. Nationalisten brauchen einander. Sie werfen sich gegenseitig die Bälle zu.

          • @warum_denkt_keiner_nach?:

            Nationalisten brauchen keine Ausreden für Hass und Krieg. Die brauchen keine anderen Nationalisten.

            • @Machiavelli:

              Doch. Genau so funktioniert das. Will nur nicht jeder Wahrhaben.

              Schauen Sie mal, wie Putin seinen Angriff rechtfertigt...

              • @warum_denkt_keiner_nach?:

                Das Putin etwas benutzt als Ausrede heißt nicht das er es braucht. Im Zweifelsfall wird auch einfach gelogen.

    • @Janix:

      Irina Farion hatte ihren letzten großen öffentlichen Streit mit der Neonazi-Gruppe Asow, da die überwiegende Mehrheit der Mitglieder dieser Gruppe Russisch spricht.

      Farion erklärte, dass er die an der Front kämpfenden russischsprachigen ukrainischen Soldaten nicht als Ukrainer betrachte und betonte, dass echte Ukrainer ausschließlich Ukrainisch sprechen. Dies löste selbst bei aktiven Militärangehörigen an der Kampffront heftige Kritik aus, und am Ende mischte sich ein Asow-Kommandeur, Zhorin, in die Debatte ein, der ihr vorwarf, sie arbeite zugunsten der Russen. Farion reagierte mit Beleidigungen.

      • @Bescheidener Kunsthandwerker:

        Nein. Asow spricht hauptsächlich Ukrainisch. Aydar aus Luhansk ist mehrheitlich russischsprachig aber der Kommandeur führt sein Telegram-Blog z.B. auf Ukrainisch.

        Nach ihren Aussagen im November, nach denen sie es „nicht ertragen könne von russischsprachigen Soldaten verteidigt zu werden”[so in etwa] hat der heutige Kommandeur von Asov in seinem ersten Post auf Russisch überhaupt(!) ihr die Leviten gelesen. Und auch in Lviv, wo quasi Jeder Ukrainisch spricht und man eigentlich am stärksten gegen sie russische Sprache ist, haben die Studenten und Andere mit zweisprachigen Plakaten gegen sie demonstriert.



        Sie wurde dann entlassen. Wurde jedoch wohl im Juni wieder eingestellt.

        Im Übrigen zeigt das, dass Asov überhaupt nicht das ist, als das Rus es darstellt. Sie sind nationalistisch, aber die Faschos sind schon seit 2015 nicht mehr führend.

  • "Gegenüber ukrainischen Medien berichtet der Lwiwer Politiker Igo Zinkevich, der ungefähr zwanzig- bis fünfundzwanzigjährige Schütze habe das Haus seit mehreren Tagen beobachtet."

    Das ist interessant. D.h., er hat es auch seit mehreren Tagen beobachtet?

    • @Jalella:

      Nicht notwendig, aber vielleicht den späteren Schützen.

    • @Jalella:

      Das fragte ich mich zunächst auch.



      Aber wahrscheinlicher wird doch sein, dass man nachträglich Überwachsungskameras auswertete.