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Attentat auf russischen Ex-SpionTheresa May will Antworten hören

Die britische Premierministerin beschuldigt Russland, hinter dem Angriff auf Skripal zu stecken. Auch die Nato und der US-Außenminister schalten sich ein.

Für das Attentat sei „höchstwahrscheinlich“ Russland verantwortlich, berichtete May im Parlament Foto: ap

London dpa | Das Ultimatum Großbritanniens an Russland läuft. Bis Dienstagabend hat London Moskau eine Frist gesetzt, innerhalb derer sich Russland zu dem Nervengift-Anschlag gegen den Ex-Doppelagenten Sergej Skripal und dessen Tochter Yulia äußern soll. Die beiden wurden nach Angaben von Premierministerin Theresa May durch einen Nervenkampfstoff vergiftet, der einst in der Sowjetunion produziert wurde. Moskau soll sich nun gegenüber der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) erklären. Russland wies die Vorwürfe am Montagabend barsch zurück.

Russland müsse umgehend zur Aufklärung beitragen, forderte May. Es gebe nur zwei mögliche Erklärungen für das Attentat: Entweder habe Moskau den Anschlag direkt ausgeführt oder die russische Regierung habe die Kontrolle über das Nervengift verloren und es sei in andere Hände gelangt, sagte May. Der russische Botschafter in London sei bereits in das Außenministerium einbestellt worden.

Für das Attentat sei „höchstwahrscheinlich“ Russland verantwortlich, berichtete May im Parlament in London im Anschluss an eine Sitzung des nationalen Sicherheitsrates. Eingesetzt wurde demnach ein Nervenkampfstoff aus der Nowitschok-Serie: Die früher in der Sowjetunion produzierte Substanz, die in etwa 100 Varianten vorkommt, zählt zu den gefährlichsten Nervengiften überhaupt.

US-Außenminister Rex Tillerson schloss sich der Schlussfolgerung der britischen Regierung an, wonach Russland für den Giftanschlag verantwortlich ist. „Wir haben volles Vertrauen in die Untersuchungen des Vereinigten Königreiches und seine Bewertung“, wurde Tillerson in einer Mitteilung seines Ministeriums in Washington zitiert. „Wir sind schockiert, dass Russland sich erneut in derlei Verhalten engagiert zu haben scheint“, fügte er hinzu.

Nato: Einsatz von Nervengas ist inakzeptabel

Die Nato zeigte sich alarmiert. „Das Vereinigte Königreich ist ein hochgeschätzter Bündnispartner, und dieser Vorfall macht der Nato große Sorge“, heißt es in einer Mitteilung von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Die Nato sei mit den britischen Behörden wegen dieser Angelegenheit in Kontakt. „Der Einsatz von jeglichem Nervengas ist grauenhaft und vollkommen inakzeptabel.“

Der Ex-Spion (66) Skripal und seine Tochter Yulia (33) waren am 4. März bewusstlos auf einer Parkbank in der südenglischen Kleinstadt Salisbury entdeckt worden. Sie befinden sich weiterhin in einem kritischen Zustand. Insgesamt mussten 21 Menschen im Krankenhaus behandelt werden, darunter ist auch ein Polizist.

Das russische Außenministerium sprach von einer „Zirkusnummer“ im britischen Parlament. „Das Schluss ist klar – es ist eine reguläre informationspolitische Kampagne, basierend auf Provokationen“, wurde Außenamtssprecherin Maria Sacharowa von der Agentur Tass zitiert.

Ein „absolutes Hirngespinst“ nannte Leonid Sluzki, Vorsitzender des Duma-Komitees für internationale Angelegenheiten, die Vorwürfe aus Großbritannien. „Die Position Londons bei der Ermittlung nach der Vergiftung Skripals spiegelt die jüngsten westlichen Trends: keine Beweise, aber für alles ist Russland schuldig.“ Als Grund für das Verhalten Londons wollte Sluzki nach russischen Medienberichten eine mögliche Beeinflussung der Präsidentenwahl nicht ausschließen.

Für den früheren Geheimdienstchef Nikolai Kowaljow gehören derartige Anschläge im Auftrag einer Regierung zur Vergangenheit. Den letzten derartigen Auftragsmord habe es 1940 gegeben, als der bei Stalin in Ungnade gefallene Leo Trotzki im mexikanischen Exil mit einem Eispickel getötet wurde. „Seitdem hat es nichts Ähnliches gegeben“, sagte der frühere Leiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB.

Fraglich ist, welche Sanktionen London in Erwägung zieht

May erörterte die Situation am späten Abend mit dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron. Dabei sei „das breite Muster aggressiven russischen Verhaltens“ angesprochen worden, auf das gemeinsam mit den Verbündeten geantwortet werden solle, sagte ein Sprecher der Downing Street.

Fraglich ist, welche Sanktionen London in Erwägung zieht. Britische Medien halten zum Beispiel die Ausweisung von Diplomaten und finanzielle Maßnahmen gegen Oligarchen mit Immobilienbesitz in London aus dem Umfeld des russischen Präsidenten Wladimir Putin für denkbar. May hatte bereits damit gedroht, keine Regierungsvertreter zur Fußball-WM im Sommer zu schicken.

Skripal soll den britischen Auslandsgeheimdienst MI6 über russische Agenten in Europa informiert haben. 2004 flog der ehemalige Oberst des russischen Militärgeheimdienstes GRU auf und wurde festgenommen. Er wurde zu 13 Jahren Lagerhaft verurteilt. Im Rahmen eines Gefangenenaustauschs kam er 2010 nach Großbritannien.

Der Fall erinnert an den Mord an dem Ex-Agenten und Kremlkritiker Alexander Litwinenko, der 2006 in London mit radioaktivem Polonium vergiftet wurde. Die Spuren der Täter führten auch nach Moskau.

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16 Kommentare

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  • Geheimdienste versuchen in der Regel ihre eigenen Anschläge als die Anschläge ihrer Gegner darzustellen.

    Für UK wäre daher der richtige Schritt hier unabhängige Gutachter einzuschalten. Damit wäre der Vorwurf der reflexhaften Verurteilung Russlands ausgeräumt. Umgekehrt sollte Russland seine Mitarbeit anbieten. Schließlich scheint die Substand aus russischen Laboren zu kommen. Es könnte offen gelegt werden, ob und wann da etwas abhanden gekommen ist. Solange beide Seiten da nicht entsprechend agieren, haben sie entweder selbst Dreck am Stecken oder betreiben Propaganda statt Aufklärung.

    • @Velofisch:

      Hat Z.B. der Mossad wann versucht?

       

      Oft möchte man auch eine ziemlich klare Botschaft versenden.

  • Abgesehen davon, dass es für Russland keinen nachvollziehbaren Grund gibt, Skripal zu ermorden und auch noch seine Tochter, will ich mangels Fakten gar kein Urteil fällen. Angst macht mir allerdings die blitzschnelle NATO Reaktion, der Ukraine ein vorläufiges Mitgliedsrecht einzuräumen und auch einigen Balkanländern. Das stinkt nach Plan, der Demonisierung Putins jetzt einen entscheidenden Schritt folgen zu lassen.

    Angst habe ich, weil bei einer Verschärfung des Ukraine Konfliktes wir in Europa ganz schnell einen Krieg bekämen im Rahmen der NATO Beistandspflicht, der uns um Kopf und Kragen bringen würde. Das wäre zwar ganz im Sinne der Transatlantiker. Doch die wären dann in ihren Zweitwohnungen in den USA oder wie v.d Leyen bei ihren Kindern in den USA.

     

    Der jetzigen neuen GroKo, insbesondere dem Außenministerdarsteller, traue ich nicht zu, deeskalierend zu agieren. Im Gegenteil. Jemand, der ein Gesetz wie das NetzDG verantwortet, traue ich nichts mehr zu.

    • @Rolf B.:

      Der Grund ist sehr wohl nachvollziehbar.

       

      Wer uns verrät, egal wo er hingeht, wir finden ihn und bringen ihn um, auch seine Familie.

       

      Und man bringt die Leute nicht um, wie in Russland Boris Nemzow mit einer Kugel, sondern sehr langsam und schmerzhaft.

      • @Sven Günther:

        Zuviele Agententhriller gesehen oder gelesen?

  • Na dann sind wir mal froh. May muss sich nicht mit Ihrem Brexit-Chaos, die NATO nicht mit dem völkerrechtswidrigen (Giftgas?) Angriff des NATO Mitglieds Türkei auf Syrien beschäftigen. Merkel nicht mit den Waffenlieferungen an die Türkei. Und alle Zusammen nicht an den Genozid im Jemen. Wir haben ja einen richtigen Aufreger, einen schweren internationalen Zwischenfall. Ab 5:45 wird zurückgeschossen. Endlich am NATO-Ziel.

  • Tillersons wahrscheinlich sichere Meinung kam im weißen Haus wohl doch nicht so gut an – und tschüss!

  • ui ui - Theresa will Antworten. Da bekommt Putin aber Angst!!!

  • Ist nicht "Harry Potter" ein britisches Märchen? Die Briten sind wirklich gut im Märchen erzählen.

  • ich hoffe mal England benutzt die gelegenheit sich unilateral von der weltmeisterschaft auszuschliessen. fuer mich wuerde das bedeuten das ich waehrend des wettbewerbs zu jedem spiel in den pub gehen kann und nicht hobby schiedsrichtern begegne, die einem lautstark ihre meinung aufdraengen.

    a win win all the way to Moscow.

  • „Theresa May will Antworten hören“

     

    Soso, will sie das? Das soll sie sich mal aus dem Kopf schlagen!

    Die Kreml-Propaganda hat nämlich die „wirklich Schuldigen“ bereits gefunden und beruft sich auf den Vizechef des Auswärtigen Ausschusses im russischen Föderationsrat, Wladimir Dschabarow:

     

    Der habe „...die Meinung geäußert, dass die Geheimdienste Großbritanniens oder von Drittländern die Provokation mit Skripals Vergiftung angezettelt haben könnten, um Russland zu bezichtigen und zu beschmutzen“. D.h., Methode: „Haltet den Dieb“! https://de.sputniknews.com/politik/20180313319901465-russland-botschaft-vergiftung-skripal/

     

    Und Chef Putin äußerte sich gegenüber einem BBC-Journalisten: „Schaffen Sie zuerst Ordnung bei sich selbst und dann werden wir mit Ihnen darüber diskutieren.“ https://de.sputniknews.com/politik/20180312319898456-erklaerung-vergiftung-verantwortung/

     

    Ähnlich wie im Fall Litwinjenko werden wohl in GB keine gerichtsfesten Beweise gefunden werden. Russische Geheimdienste schludern nämlich nicht. Und die Ermittlungen werden an der russischen Staatsgrenze enden.

     

    Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass Russland ein gewichtiges Motiv hätte: Nämlich die eigenen Schlapphüte vor Seitenwechsel und Whistleblowing zu warnen!

  • Es sind schon wegen geringerer Gründe Kriege begonnen worden. Aber wenn Tillerson sich wahrscheinlich sicher ist, dann dürften die offiziellen Sprachregelungen längst gedruckt sein, egal was Russland dazu sagt.

  • Ich denke, bald werde uns die Satellitenaufnahmen der fahrbaren Produktionsstätten dieser Substanzen gezeigt. Und natürlich kurven die auf Schotterstraßen jenseits des Urals herum.

    Wenn´s die Russen nicht gäbe, wir würden sie erfinden.

  • Cui bono - das wäre die erste Frage, die ich mir stellen würde bei solch einem Anschlag. WENN es die Russen waren, warum dann erst jetzt? Zwischen 2004 und 2010 hätten die Putinisten doch alle Zeit der Welt, und alle Möglichkeiten gehabt, diesen unliebsamen Zeitgenossen diskret zu ermorden. Wenn sie ihn 2010 nach England gehen lassen, dann haben sie ja mit Sicherheit gewusst, daß MI5 (Bond persönlich sogar?) diesen Agenten auf all' sein Geheimwissen hin ausquetschen werden. Also war dieser Mann für russische Geheimdienste erkennbar uninteressant.

    Wenn jetzt James Bond & Co das Gift für ein Produkt aus der alten Sowjetunion halten, dann sollte man vielleicht bei den anderen Nachfolgestaaten der UdSSR mal nachschauen. Der ein oder andere dieser Staaten hätte vielleicht mit Moskau noch etwas auszufechten, Kiew z.B.

    Heute früh im Radio: 'Tillerson ist sich sicher. daß es wahrscheinlich die Russen waren' - geht's noch? Klingt fast so, als ob irgendwo ein Grund zur Eskalation gesucht wird !!

    • @dodolino:

      Ich mache mir so langsam auch echte Sorgen. Will der Westen wirklich einen Krieg gegen Russland? Glaubt der Westen wirklich, man würde so was überleben?

      • 7G
        74450 (Profil gelöscht)
        @Frank Fischer:

        Nö und nö.