Attentat auf israelische Sportler: 51 Jahre Verschweigen
Innenministerin Nancy Faeser beruft eine historische Kommission. Sie soll ermitteln, was beim Olympia-Massaker 1972 wirklich passiert ist.
Am frühen Morgen des 5. September 1972 hatte ein palästinensisches Terrorkommando das israelische Quartier im Olympischen Dorf gestürmt. Zwei Athleten erschossen sie gleich zu Beginn, neun weitere kamen bei einem dilettantischen Befreiungsversuch der Polizei auf dem Flughafen Fürstenfeldbruck ums Leben.
Von dem, was und wie es damals geschah, ist tatsächlich sehr vieles bis heute unklar. Darunter leiden vor allem die Angehörigen der elf israelischen Olympiateilnehmer. „Ohne den Druck der Opferfamilien gäbe es ja weder unsere Kommission, noch wäre der Fall überhaupt wieder aufgerollt worden“, sagt die Göttinger Historikerin Petra Terhoeven der taz. „Sie hatten ja jahrzehntelang nicht zu Unrecht das Gefühl, hingehalten und belogen zu werden.“
Obwohl sie bislang noch keine volle Akteneinsicht hatten, haben Historiker und Journalisten bereits ermittelt, dass mindestens zwei Dutzend Warnhinweise nicht berücksichtigt wurden. Terhoeven sagt jetzt: „Mit dem Rückhalt des Innenministeriums und des Bundespräsidenten sollten wir alle relevanten Quellen zu sehen bekommen.“ Dass palästinensische Terroristen seit etwa 1968/69 mit Anschlägen aufgefallen waren, hatten die Organisatoren ignoriert. Eine Spezialeinheit brauche man nicht, wurde Münchens Polizeipräsident Manfred Schreiber zitiert, „denn die würde ja das ganze Jahr über Schafkopf spielen“.
Bei der Kurzvisite nur fünf Schützen beordert worden
Als das Kommando „Schwarzer September“ die Wohnung der Israelis gestürmt hatte, begannen hektische Verhandlungen. Weil der damalige Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher bei einer Kurzvisite dort nur fünf Terroristen gesehen hatte, sollen auch nur fünf Polizeischützen zur Befreiungsaktion nach Fürstenfeldbruck beordert worden sein. Das ist ein Aspekt, den die Kommission ebenso prüfen wird wie Genschers Behauptung, Israel habe es abgelehnt, mit Spezialkräften eine Befreiung zu versuchen. Wahrscheinlich hat Bonn die Regierung in Jerusalem nie gefragt.
Erklärungsbedürftig bis heute ist auch, wie es während der Geiselnahme zu Gesprächen der Terroristen mit DDR-Journalisten kam. Die standen auf dem Balkon des DDR-Teams, das nahe dem israelischen einquartiert war. Beinahe in Echtzeit übermittelten die drei detaillierte Informationen nach Ostberlin, sodass die Stasi schon während der Geiselnahme besser informiert war als die westdeutschen Behörden.
Bei der Aktion in Fürstenfeldbruck wurden fünf Terroristen erschossen und drei festgenommen. Doch die waren wenige Wochen später wieder frei: Am 29. Oktober 1972 kaperten Palästinenser eine Lufthansa-Maschine, drohten diese zu sprengen, wenn nicht die drei aus bayerischen Gefängnissen freigelassen würden. Bayerns Behörden veranlassten dies.
Wussten die Behörden von der Entführung?
Schon elf Tage vor der Flugzeugentführung hatte Polizeipräsident Schreiber in einem Brief an Bayerns Innenminister Bruno Merk über eine geplante Abschiebung berichtet. Bis heute halten sich Gerüchte, die Flugzeugentführung sei mit Wissen der Behörden inszeniert worden, damit die Bundesrepublik sich dieses Problems entledigen könnte.
„Das ist für die israelische Seite natürlich ein besonders wichtiges Thema“, sagt Terhoeven, die Gerüchte beträfen nicht nur die Bonner sondern auch andere westeuropäische Regierungen. „Ich hoffe, dass wir der Wahrheit mit unserer Arbeit ein gutes Stück näher kommen.“ Auch von anderen Mitgliedern der historischen Kommission ist zu erfahren, dass die mysteriöse Flugzeugentführung ein wichtiger Punkt ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles