Olympia-Attentat München 1972: Offene Fragen zu LH-Flug 615

Während der Olympiade ermordeten Terroristen elf israelische Sportler. Eine Historikerkommission geht nun Hinweisen auf eine Verschwörung nach.

Ein zerbombter Hubschrauber

Flughafen Fürstenfeldbruck 1972: In diesem Hubschrauber wurden israelische Sportler getötet Foto: Heinz Gebhardt/imago

Wenige Wochen erst lag das Olympiamassaker von München zurück, da entführten am 29. Oktober 1972 zwei palästinensische Terroristen den Lufthansa-Flug 615. Ihre Forderung: die drei überlebenden Terroristen des Anschlags freizulassen. Die Erpressung funktionierte reibungslos, und sie gehört zu den vielen offenen Fragen, mit denen sich nun eine Historikerkommission beschäftigt.

Es ist ein internationales Team aus acht Historikerinnen und Historikern, die drei Jahre lang alle offenen Aspekte des Anschlags, bei dem am 5. und 6. September 1972 elf israelische Olympiateilnehmer, ein deutscher Polizist und fünf palästinensische Terroristen zu Tode kamen, untersucht. Einerseits sind die Spiele von München die „inzwischen meiststudierte Olympiade aller Zeiten“, wie der britische Historiker Christopher Young (University of Cambridge) sagt – angesichts der vielen Studien zur Nazi-Olympiade 1936 ein bemerkenswerter Befund.

Andererseits gibt es enorme Forschungslücken. „Nach wie vor gibt es Quellenbestände, die gesperrt sind“, sagt Andreas Wirsching, Direktor des Instituts für Zeitgeschichte in München. Er und Young gehören zur Kommission, wie auch der israelische Politologe Shlomo Shpiro (Bar-Ilan-Universität Tel Aviv). „Ganz profane Sachen wurden bislang geheimgehalten“, berichtet Shpi­ro von ersten Erkenntnissen. Einige Familien von ermordeten Sportlern warten etwa seit 51 Jahren auf die Rückgabe eines Eherings oder einer Armbanduhr. Auch habe sich bislang niemand darangesetzt, die in den Leichen gefundenen Geschosse zuzuordnen und so das Geschehen zu rekonstruieren.

Bislang unbekannt ist auch etwa der nachrichtendienstliche Austausch, den es vor den Spielen gegeben haben muss. Man weiß, dass die bayerischen Behörden etliche Warnungen, die es gab, in den Wind schlugen, aber welche genau, von wem stammend, wie konkret – das ist alles unbekannt. Noch während der Geiselnahme im Olympischen Dorf soll es ein Angebot der israelischen Regierung gegeben haben, eine Eliteeinheit zur Befreiung der Sportler abzustellen. Das wurde abgelehnt, aber wer dies zu verantworten hat, ist bislang nicht zweifelsfrei bekannt. Jüngere Recherchen des Welt-Journalisten Sven Felix Kellerhoff legen nahe, dass ein untergeordneter Jurist im Bundesinnenministerium die Absage verantwortete.

Verdächtig schnelle Freilassung

Hat die Bundesregierung etwa die Entführung eines Flugzeugs vorgetäuscht?

Christopher Young formuliert noch weitere Themen, die zu erforschen sind. „Über Hintergrund und Schulung der acht palästinensischen Attentäter gibt es wenig gesichertes Wissen, ebenso zum Kreis der Hintermänner und zur Unterstützung durch arabische Staaten.“ Auch der „konkrete Involvierungsgrad deutscher Linksterroristen“ ist nicht bekannt, so Young. RAF-Mitglieder wie Horst Mahler und Ulrike Meinhof äußerten sich begeistert über den Anschlag.

Dass der deutsche Rechtsterrorist Willi Pohl die palästinensischen Attentäter logistisch unterstützt hat, ist zwar bekannt, aber es gibt wenig bis gar kein Wissen über den wirklichen Umfang dieser Hilfe – „nicht zuletzt wegen gesperrter Ermittlungsakten“, wie Young sagt.

Und da ist noch die große Frage nach der erfolgreichen Freipressung. Am 29. Oktober 1972 wurde eine Lufthansa-Maschine, die mit mehreren Zwischenstopps von Damaskus nach Frankfurt fliegen sollte, entführt. Sofort und ohne Verhandlungen erfüllte die Bundesregierung die Forderung der Entführer: Freilassung der überlebenden drei Terroristen des Olympiaattentats.

Zwischen Verschwörungstheorien und der Wirklichkeit

Manches an dieser Aktion irritiert. Etwa, dass kaum Passagiere an Bord waren. Oder dass elf Tage vor der Entführung Münchens Polizeipräsident Manfred Schreiber an Bayerns Innenminister Bruno Merk über eine geplante „Abschiebung der drei festgenommenen Araber“ berichtete. Oder dass der Drahtzieher des Münchner Anschlags, Abu Daoud, behauptete, deutsche Behörden hätten ihm 9 Millionen Dollar geboten, um eine Freilassung zu arrangieren. Shlomo Shpiro, Experte für Terrorismusbekämpfung, geht fest davon aus, dass die Entführung vorgetäuscht war. Christopher Young sagt: „Es liegen Indizien vor, die auf eine Verschwörung zwischen der Bundesregierung und der PLO hinweisen.“

Ob das nur eine Verschwörungstheorie ist oder ob hier wirklich die von Willy Brandt und Hans-Dietrich Genscher geführte Bundesregierung im Einvernehmen mit der CSU-geführten bayerischen Staatsregierung eine Flugzeugentführung vorgetäuscht hat – das herauszufinden zeigt, wie eminent wichtig die Arbeit der Historikerkommission ist.

Die Bundesregierung hat durch Innenministerin Nancy Faeser „volle Unterstützung“ zugesagt, keine Akten sollen zurückgehalten werden. „Auf der bayerischen Ebene sind wir in guten Gesprächen“, gibt sich Andreas Wirsching vom federführenden Institut für Zeitgeschichte bezüglich anderer Akten zuversichtlich. Zudem werden Archive durchforstet, Angehörige befragt, und die Historiker hoffen zudem, Zugang zu wichtigen israelischen Akten zu erhalten.

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