Atommüll-Transporte: Sicherheitslücken bei Castor-Proben
Bis zu 152-mal soll hochradioaktiver Atommüll über NRWs Autobahnen rollen – doch Übungsfahrten offenbaren Sicherheitslücken.
So sei bei einem der Castor-Probetransporte im November 2023 „der Sichtkontakt zwischen den vorweg fahrenden Begleitfahrzeugen des Schwertransports und dem eigentlichen Schwertransportfahrzeug unterbrochen“ worden, schreibt das für die polizeiliche Sicherung der Atommülllieferung zuständige Landesinnenministerium in einer Stellungnahme.
Aus dieser zitiert Nordrhein-Westfalens grüne Wirtschafts- und Energieministerin Mona Neubaur jetzt in einem Brief an verschiedene Antiatominitiativen. Grund für den Missstand sei eine Baustelle im Kreuz Kaiserberg auf der Bundesautobahn (BAB) 3 gewesen. Der Lkw-Schwertransport habe sich daraufhin verfahren: „Das Schwertransportfahrzeug verblieb deshalb auf der BAB 3 und wechselte nicht planmäßig auf die BAB 40“, so das vom Christdemokraten Herbert Reul geführte NRW-Innenministerium.
Da bei Atommülltransporten „die Streckenführung zwingend einzuhalten“ sei, habe der rund 130 Tonnen schwere Spezial-Lkw danach mitten auf der A3 rückwärts fahren müssen. Dazu sei die Autobahn „insgesamt ca. 30 Minuten“ gesperrt worden. Weitere Nachfragen der taz etwa zur hausinternen Sicherheitsbewertung der Probetransporte beantwortete das NRW-Innenministerium bis Redaktionsschluss nicht.
Heftige Kritik von Initiativen
Antiatominitiativen reagierten mit heftiger Kritik auf die Sicherheitspanne. „Wie kann es sein, dass in einem eigens zusammengestellten Polizeikonvoi zum Schutz des Castor-Lkw plötzlich der Sichtkontakt verloren geht?“, kritisiert Jens Dütting vom Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen. „Im Ernstfall wäre der Castor-Lkw also inmitten eines unübersichtlichen Autobahnkreuzes ungeschützt von vorausfahrenden Polizeikräften gewesen.“
Dabei sei jeder Atommülltransport ein „potenzielles Anschlagsziel“, argumentiert Hartmut Liebermann von der Initiative Kein Atommüll in Ahaus. „Es kann doch nicht sein, dass der Fahrer offenbar weder über eine klare Routenbeschreibung, ein entsprechend programmiertes Navigationssystem noch über ein Funkgerät verfügt hat“, sagt er.
Atomkraftgegner:innen warnen seit Jahren, die Castor-Transporte, die über den Flughafentunnel der A44 mitten durch die Landeshauptstadt Düsseldorf und dann über die Autobahnen 3, 40, 59, 42, 2 und 31 durch das dichtbesiedelte Ruhrgebiet geführt werden sollen, seien nicht nur gefährlich, sondern auch „überflüssig und unsinnig“.
Denn nach Ahaus gebracht werden sollten die aus einem Reaktor des ehemaligen Kernforschungszentrum Jülich stammenden rund 300.000 hochradioaktiven, in 152 Castoren lagernden Brennelemente ursprünglich wegen angeblicher Erdbebengefahr. Doch bereits im Oktober 2022 war das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) zu der Einschätzung gekommen, dass diese Erdbebengefahr überhaupt nicht besteht.
„Wir fordern deshalb den Bau eines neuen Zwischenlagers in Jülich, das den heutigen Sicherheitsansprüchen genügt“, sagt etwa Atomkraftgegner Liebermann – schließlich gibt es im mehr als 30 Jahre alten Zwischenlager Ahaus nicht einmal eine „heiße Zelle“, in der defekte Castoren repariert werden könnten.
Das Bundesamt gibt sich ahnunglos
Offiziell ist auch das noch immer eine angedachte Option – doch die Jülicher Entsorgungsgesellschaft habe bei der zuständigen Genehmigungsbehörde BASE bereits „einen Antrag auf Einzeltransport der 152 Castoren“ gestellt, so CDU-Landesinnenminister Reul in einem auf den 12. März 2024 datierten Schreiben an den Innenausschuss des Landtags.
„Eine Transportgenehmigung durch das Bundesamt BASE müsste jetzt ausgeschlossen sein, da die NRW-Polizei die Sicherheit der geplanten 152 Castor-Transporte auf den Autobahnen nicht lückenlos gewährleisten kann“, bilanziert dagegen Marita Boslar vom Aktionsbündnis Stop Westcastor. Allerdings: Noch gibt sich das Bundesamt völlig ahnungslos. „In die Durchführung von Probetransporten“, heißt es auf taz-Anfrage, „ist das BASE nicht eingebunden.“
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