Atomkraft in der Ukraine: Kyjiw kauft Reaktoren aus zweiter Hand
Im Chmelnizki soll das größte Atomkraftwerk Europas entstehen – mit zwei Reaktoren aus Bulgarien. Experten warnen vor technischen Herausforderungen.
![Wolodymyr Selenskyj (M), spricht während einer Pressekonferenz auf dem Gelände des Kernkraftwerks Chmelnyzkyj. Wolodymyr Selenskyj (M), spricht während einer Pressekonferenz auf dem Gelände des Kernkraftwerks Chmelnyzkyj.](https://taz.de/picture/7535754/14/37668719-1.jpeg)
Bereits am Dienstag genehmigte das ukrainische Parlament den Kauf von zwei Reaktoren sowjetischer Bauart aus Bulgarien für insgesamt 600 Millionen Euro. Selenskyj betonte auf der Münchner Sicherheitskonferenz am Samstag, dass der Ausbau des Kernkraftwerks nicht nur die Energiesicherheit der Ukraine, sondern der gesamten europäischen Region stärken werde. „Wir bereiten derzeit ein Erweiterungsprojekt für unser Kernkraftwerk Chmelnizki vor, das unter Einbindung amerikanischer Unternehmen, insbesondere der Firma Westinghouse, realisiert wird. Dieses Projekt wird die Energiesicherheit nicht nur der Ukraine, sondern der gesamten europäischen Region erheblich stärken“, erklärte er laut Interfax-Ukraine und Censor.net.
Derzeit sind im AKW Chmelnizki zwei Reaktoren am Netz, der erste seit 1987, der zweite seit 2004. Nach der Katastrophe von Tschernobyl wurde der geplante Bau von zwei weiteren Reaktoren zunächst auf Eis gelegt. Dabei war der Bau von Block 3 zu 80 Prozent fertig, der von Block 4 zu 25 Prozent. Nun will man Block 3 und 4 zu Ende bauen und dabei die beiden bulgarischen Reaktoren einsetzen. Beide Blöcke sind mit WWER-1000-Reaktoren ausgestattet, also Druckwasserreaktoren sowjetischer beziehungsweise russischer Bauart, und haben eine Gesamtkapazität von 2.000 Megawatt.
Doch ihr Einsatz ist umstritten. Es mache keinen Sinn, sie während des Krieges fertigzustellen, zitiert das Portal espreso.tv die ukrainische Atomwissenschaftlerin Olga Koscharna. Auch bei Ecodia, der größten ukrainischen Umweltorganisation, hat man Bedenken gegen die „Second-Hand“-Reaktoren. „Die Reaktoren aus Belene vom Typ WWER-1000/B-466B weichen technisch von den ursprünglich vorgesehenen Parametern der Reaktoren 3 und 4 des Kernkraftwerks Chmelnizki vom Typ WWER-1000/B-320 ab“, sagt Artem Kolesnyk von Ecodia. „Diese Unterschiede erfordern möglicherweise umfassende Modifikationen, um die Reaktoren in die bereits in den 1980er Jahren geplante Infrastruktur zu integrieren“, so Kolesnyk.
Schwieriger Bau in Zeiten des Krieges
Der bulgarische Atomwissenschaftler Gueorgui Kastchiev äußerte im Gespräch mit der taz ebenfalls Bedenken angesichts dieses Deals. Der Physiker arbeitete lange Jahre für bulgarische Atomkraftwerke und -behörden und kennt die Reaktoren gut. Die Konstruktion des AKW Belene, in dem diese beiden Reaktoren hätten eingesetzt werden sollen, unterscheide sich von der Konstruktion der Bauten in Chmelnizki, sagt Kastchiev. Dies bedeute, dass schwierige Anpassungsarbeiten an die aus Bulgarien zu liefernden Reaktoren bevorstünden. „Ich kann mir nicht vorstellen, wie man unter den Bedingungen eines Krieges ein AKW bauen und ans Netz anschließen kann“, so Kastchiev.
Die dabei drohenden Gefahren wurden in der Nacht vor der Münchner Sicherheitskonferenz deutlich, als eine laut ukrainischen Medien russische Drohne den Sarkophag von Tschernobyl traf. Laut Präsident Selenskyj trug sie 50 Kilogramm Sprengstoff mit sich.
Inzwischen wurden drei Brandherde festgestellt, die dringend gelöscht werden müssen, berichtet das Portal tsn.ua. Laut der Behörde für die Verwaltung der Sperrzone arbeiten zwei Teams aus jeweils vier Personen an der Brandbekämpfung. Ein weiteres Team versucht, Teile der Schutzkonstruktionen zu öffnen, um die Glutnester zu löschen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Macrons Krisengipfel
Und Trump lacht sich eins
Frieden in der Ukraine
Europa ist falsch aufgestellt
Maßnahmenkatalog vor der Bundestagswahl
Grünen-Spitze will „Bildungswende“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
USA und Russland besetzen ihre Botschaften wieder regulär
Krisentreffen nach Sicherheitskonferenz
Macron sortiert seine Truppen
Gentrifizierung in Großstädten
Meckern auf hohem Niveau