Atomenergie in Deutschland: Der hohe Preis der Kehrtwende

Doch länger Strom aus Atomkraft? Es ist eine Stärke der Demokratie, auf eine neue Lage flexibel zu reagieren. Nur: In der Energiewirtschaft ist das nicht so einfach.

Ein Kernkraftwerk mit rauchendem Schornstein.

In komplexen Systemen muss man langfristig planen: Kernkraftwerk Emsland bei Lingen Foto: Hans Blossey/imago

Eine der Stärken einer demokratischen Gesellschaft ist ihre Fähigkeit zum Wandel; ihre Fähigkeit, Entscheidungen aufgrund von neuen Entwicklungen jeweils neu zu bewerten. Gleichwohl ist es stets eine Gratwanderung. Eine hochentwickelte Gesellschaft braucht zugleich auch ein gutes Maß an Verbindlichkeit. Das gilt gerade dort, wo langfristige Strategien nötig sind, also speziell bei Fragen der Infrastruktur. Nur in wenigen Sektoren wird das so deutlich wie in der Energiewirtschaft.

Aktuelles Beispiel: Die Firma Siemens Energy verkündete dieser Tage, sie habe den bisher größten Auftrag für eine Stromnetzanbindung in ihrer Geschichte erhalten. Zwei Offshore-Windparks werden ihren Strom künftig über Konverter-Stationen in Lingen ins Netz bringen. Bemerkenswert ist dieser Satz in der Firmenmitteilung: „Kernkraftwerk Emsland gibt Netzkapazität für Windenergie frei.“

Der Fall zeigt exemplarisch, wie man bei der Planung den Atomausstieg einkalkuliert hatte. In komplexen Systemen muss man eben langfristig planen. Ähnliche Entscheidungen dürfte es auch andernorts geben. Andererseits muss es immer möglich sein, auch neu zu denken, wenn sich neue Entwicklungen auftun. Wie gesagt, das ist die Stärke einer freien Gesellschaft.

Aber je kurzfristiger und aufgeregter eine Gesellschaft sich von einer bisher vertretenen politischen Linie abkehrt, umso höher wird der Preis. Zum einen aus rein wirtschaftlicher Sicht, weil bisherige Planungen und Investitionen obsolet werden. Aber auch aus politischer Sicht, weil sich Verbindlichkeit plötzlich relativiert.

Bei der Atomkraft käme als besonders hoher Preis der politischen Wende die verminderte Sicherheit hinzu. Denn bisher war an den Standorten von den technischen Prüfungen bis zur den internen Organisationsabläufen alles auf ein Enddatum ausgerichtet.

Technisch-wirtschaftliche Prozesse haben eben oft langfristige Zyklen. Dass diese mitunter nicht zur Aufgeregtheit einer politischen Gesellschaft passen, sollten wir begreifen – und alle Planspiele der Laufzeitverlängerung beenden.

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