Ateliersterben in Berlin: Bedrohte Ökosysteme
Eine Studie des Atelierbeauftragten liefert alarmierende Zahlen. Immer mehr Künstler*innen verlieren ihre Arbeitsräume und finden keine neuen mehr.
Sind Tauben widerständige Tiere? Für die Künstlerin Eleni Mouzourou sind sie es. Schon im Februar ließ sie ihren „Pigeonswarm“ beim Karneval der Enteignung, einer Demonstration von Deutsche Wohnen Enteignen, als Sinnbilder der Verdrängung von Menschen und anderen Spezies aus ihren angestammten urbanen Lebensräumen spielerisch umeinander kreisen.
Am Wochenende kamen die tragbaren, überdimensionierten Taubenköpfe wieder zum Einsatz – aus gegebenem Anlass. In den Räumen des ehemaligen Atelierhauses in der Adalbertstraße 9 hingen sie von der Decke. Hinter ihnen ein Schild mit der Aufschrift: „Füttere eine Taube, füttere den Widerstand.“ Mouzourou hat wie einige andere Künstler*innen bis vor Kurzem noch hier gearbeitet. Nun heißt es Abschied nehmen.
Die Gebäude wurden 2020 zunächst an die Investmentfirma Wohninvest Zeta GmbH verkauft, von dort dann an die Immobiliengesellschaft Coros Management GmbH weitergereicht. 2021 folgte die Mitteilung, die Mietverträge würden nicht verlängert. Ein Teil der Künstler*innen ist bereits ausgezogen, der Rest muss bis spätestens Oktober raus. Lukrativeres soll rein. Anstatt jedoch einfach zu gehen, luden die Mieter*innen gemeinsam mit Ehemaligen nochmals zu Ausstellung, Performances und Talks.
Wehmut hing in der Luft bei der Eröffnung am Freitagabend. Mehr als zwei Jahrzehnte lang waren Ateliers in den Gebäuden im Hinterhof untergebracht. Aus und vorbei ist es damit. Mit „Speculative Properties“ wollten die Künstler*innen die Öffentlichkeit auf ihre Situation aufmerksam machen, noch einmal, zumindest symbolisch aufbegehren gegen das, was kein Einzelfall in der Stadt ist.
Nur wenige Tage ist es her, dass der Atelierbeauftragte für Berlin und der BBK Berlin eine neue Studie zur Ateliersituation bildender Künstler*innen in Berlin veröffentlichte.
Am 12. Juni stellte der Atelierbeauftragte Dr. Martin Schwegmann gemeinsam mit Zoë Claire Miller, Sprecherin des BBK, und Dr. Sven Sappelt vom Institute for Cultural Governance diese in einer Pressekonferenz an denkbar passendem Ort vor: in der alten Kantine der Uferhallen, wo etwa 100 Künstler*innen davon bedroht sind, ihre Ateliers zu verlieren.
Offener Brief drückt Sorge über Kürzungen im Kulturetat aus
Einmal pro Jahr befragt der Atelierbeauftragte die Künstler*innen der Stadt zu ihrer sozioökonomischen Lage und zur Ateliersituation. Die außerplanmäßige Umfrage von nur zwei Wochen Laufzeit mit überarbeiteten Fragebogen sollte nun auf die Brisanz des Themas aufmerksam machen, während parallel die Haushaltsverhandlungen des neuen Senats laufen. Voraussichtlich wird es im neuen Haushalt auch in der Kultur zu massiven Kürzungen kommen. Am Freitag veröffentlichte eine Reihe Berliner Kulturnetzwerke und -institutionen einen offenen Brief, in dem sie an den Senat appellierten und ihre Sorge über den neuen Kulturetat ausdrückten.
1.673 von geschätzt 10.000 professionell in Berlin arbeitenden Künstler*innen in der Stadt füllten den Fragebogen aus. Durchaus repräsentativ sind die Zahlen also, und alarmierend: Ganze 63 Prozent der Befragten gaben an, derzeit kein Atelier zu haben, dieses gerade verloren zu haben oder dabei zu sein, es zu verlieren.
Bei denjenigen, die das Glück haben, eines zu mieten, könnte sich wie bei den Künstler*innen aus der Adalbertstraße die Situation jederzeit ändern: 80 Prozent erklärten, einen unbefristeten Mietvertrag zu haben, der nach geltendem Gewerbemietrecht ohne Angabe von Gründen innerhalb von sechs Monaten zum Ende eines Quartals gekündigt werden kann. Nur eine Minderheit von 1,5 Prozent hat einen auf fünf oder mehr Jahre befristeten Mietvertrag.
Und die Situation scheint sich immer mehr zuzuspitzen: Allein in den ersten fünf Monaten von 2023 gingen laut Studie 108 Ateliers verloren. Zum Vergleich waren es im gesamten vergangenen Jahr 150. Hochgerechnet auf die Gesamtanzahl an Berliner Künstler*innen kann der Umfrage zufolge von 1.500 bis 2.000 seit 2017 verlorenen Ateliers ausgegangen werden, während im selben Zeitraum jedoch nur 310 neu entwickelte Ateliers und Atelierwohnungen entstanden. Im April etwa bekam der BBK, der Berufsverband Bildender Künstler*innen Berlin, für drei ausgeschriebene Ateliers 190 Bewerbungen.
Ohne Atelier können Künstler*innen nicht arbeiten, müssen ihre Arbeit einschränken oder sogar aufgeben – oder in eine andere Stadt ziehen. Auch von psychischen Folgen berichten einige Künstler*innen in der Umfrage.
Nicht einmal die Hälfte der benötigten Ateliers vorhanden
3.500 dauerhaft gesicherte und bezahlbare Ateliers und Atelierwohnungen seien dauerhaft nötig, um immerhin einem Drittel aller bildenden Künstler*innen einen Arbeitsraum zu sichern, heißt es in der Studie. Nicht einmal die Hälfte davon gibt es bereits. Momentan existieren in Berlin 1214 geförderte Ateliers.
„Kunst zieht an und nicht aus“ wurde als Slogan schon vor zehn Jahren vom Atelierhaus an der Mengerzeile genutzt. Der BBK hat ihn jetzt auf Jutebeutel und Plakate gedruckt. Was nicht darauf steht, ist, was geschieht, wenn die Kunst doch ausziehen muss: Nicht mehr viel. „Wenn man unsere Existenzgrundlage abschafft, sind wir weg“, so fasste es BBK-Sprecherin Miller in der Pressekonferenz zusammen. Was das für den Kulturstandort Berlin bedeutet, der von der Kreativität seiner Künstler*innen lebt, kann man sich selbst ausrechnen.
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