Verdrängung in Berlin: Hoffen aufs rettende Ufer

Dem Künst­le­r*in­nen­haus Uferhallen droht das Aus. Der Investor hat zwar massiven Baupläne verworfen, aber dafür auch Vereinbarungen mit dem Land.

Noch ist es schön hier: In den Uferhallen im Wedding Foto: Amélie Losier

BERLIN taz | Noch wirken die Uferhallen an der Panke in Wedding wie aus der Zeit gefallen. Mehr als 100 Künst­le­r*in­nen arbeiten auf dem 18.900 Quadratmeter großen ehemaligen Industriegelände in den schönen, denkmalgeschützten, roten Klinkersteingebäuden inklusive Sägezahndach. Die Uferhallen sind einer der letzten Orte Berlins, an dem viel Platz zum Atmen und zum freien Denken ist. Noch.

Denn damit könnte sehr bald Schluss sein. In einem offenen Brief, der am Montag veröffentlicht wird und der taz bereits vorliegt, erklärt der Verein Uferhallen, dass der Kulturstandort vor dem Aus steht. Die Eigentümer der Hallen, die Marema GmbH, habe einseitig das mit Bezirk und Senat verhandelte Bebauungsplanverfahren gekündigt – angeblich aus wirtschaftlichen Erwägungen.

Ab Januar 2024, so der offene Brief, sollen nun auf dem Areal drei Bauten errichtet werden, die der Marema GmbH vor Inkrafttreten des Bebauungsplans zugesichert worden seien. Gleichzeitig könnten sich die Investoren an keine der getroffenen Vereinbarung mehr gebunden fühlen.

Bislang sei nicht einmal klar, ob die betroffenen Mie­te­r*in­nen Umsetzungsflächen bekommen. Man rechne mit ersten Kündigungen ab Ende Mai. Eine Anfrage der taz an die Marema GmbH blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

Wieder auf dem Boden

Der bildende Künstler Hansjörg Schneider, der seit 15 Jahren in seinem Atelier in den Uferhallen arbeitet und Mitinitiator des Uferhallen e. V. ist, berichtet der taz: Auch jenen Künstler*innen, die nicht direkt von den Neubauplänen betroffen seien, wurden bereits „deutliche Mieterhöhungen“ angekündigt.

„Wir sind wieder auf dem Boden der freien Marktwirtschaft angekommen“, fasst er zusammen. Einerseits seien die Pläne zwar nun weniger einschneidend, unter anderem soll ein 13-stöckiger Wohnturm doch nicht kommen. Andererseits sei dadurch unter anderem der geplante Generalmietvertrag vom Tisch.

„Es ist derzeit nicht ungewöhnlich, dass sich Bauherren zurückziehen“, räumt der Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung in Mitte, Ephraim Gothe (SPD), gegenüber der taz ein. Doch jenseits seiner sachlichen Einschätzung der Lage zeigt er sich insbesondere vor dem Hintergrund der zähen Geschichte der Verhandlungen um den Erhalt der Uferhallen mit den Investoren ernüchtert.

Noch im Herbst 2021 hatten sich das Bezirksamt, der Senat, das Landesdenkmalamt und die Eigentümer in einem Letter of Intent auf die Rettung des Kulturstandorts und die Verlängerung der bestehenden Mietverträge verständigt. Im Juni 2022 hatte der Bezirk sogar zur Bürgerbeteiligung aufgerufen. „Natürlich werden wir weiterhin versuchen, die planungsrechtlichen Voraussetzungen für eine längerfristige kulturelle Nutzung zu verhandeln“, so Gothe.

Auch vonseiten des Kultursenators heißt es, die Zurückstellung der umfangreichen Bauvorhaben sei völlig überraschend gekommen. „Gründe dafür wurden zumindest uns gegenüber nicht kommuniziert“, erklärt die Pressestelle des neuen Kultursenators Joe Chialo (CDU). Der Senator, so weiter, plane dennoch einen weiteren Runden Tisch „mit dem Ziel, Lösungsmöglichkeiten auszuloten und den Standort für alle gleichermaßen attraktiv zu halten“.

Kein anderes Atelier in Sicht

Dass es wieder zu Verhandlungen kommt, hofft auch Hansjörg Schneider, der in den Uferhallen abstrakte, teils großformatige Arbeiten zu Themen wie der Nutzbarmachung und Ausnutzung von Flächen herstellt, die weite Assoziationsräume öffnen. Dazu braucht Schneider große Räume mit hohen Decken. Ein vergleichbares Atelier mit ähnlicher Miete würde er heute kaum mehr finden. Er kennt die Nutzung der Uferhallen als Kulturstandort von Anfang an.

Bis zum Jahr 2006 wurde das ab 1873 erbaute Ensemble als Betriebsbahnhof und Reparaturwerkstatt für Omnibusse von der BVG genutzt, weiß er. Als er den Raum nach seinen Bedürfnissen instand setzte, musste er zunächst viel Öl abwaschen, denn dort wurden zuvor die Motoren der Straßenbahnen geprüft. Die Stadt hatte kurz vor seinem Einzug die Liegenschaft an eine Aktiengesellschaft verkauft, welche die Uferhallen zu einem Kulturstandort mit erschwinglichen Mieten entwickeln wollte.

Damals ahnten die wenigsten, wie sich die Spekulation in Berlin im nächsten Jahrzehnt entwickeln würde. 2017 dann das böse Erwachen: Der Löwenanteil der Aktiengesellschaft wird an das Unternehmen ArgoPrato verkauft, bei dem auch einer jener Samwer-Brüder beteiligt ist, die durch die Gründung von Rocket Internet berühmt wurden. Kolportierter Verkaufsbreis: 30 Millionen Euro. Für einen Erbpachtvertrag, wie ihn die benachbarten Uferstudios verhandelt hatten, war es für die Uferhallen zu spät.

Sechs Jahre sind seitdem vergangen. Inzwischen heißt die Eigentümerin der Uferhallen Marema GmbH. Das Leben geht weiter in den Ateliers und Atelierwohnungen, den Tanz- und Proberäumen, Tonstudios, der Konzert- und Ausstellungshalle, in den Werkstätten, im Pianosalon, im Café. Mit ihren offenen Studios, Ausstellungen, der Teilnahme an der Berlin Art Week und am Kultursommer beweisen die Uferhallen, dass ihr Verlust ein harter Schlag wäre für Berlins Kulturszene.

„Noch ist es gut hier“, sagt Hansjörg Schneider. „Besser wäre es, wenn wir den Kopf frei hätten.“ Doch in einer Stadt kreativ zu sein, in der Renditeerwartungen zunehmend vor Lebensentwürfen einsortiert werden, wird das immer schwerer.

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