Asyl für Afghanen: Organisierte Ablehnung
Hilfsinitiativen für geflüchtete Afghanen haben in Leipzig immer stärkeren Zulauf, seit der Bund gewisse Regionen des Landes für sicher hält.
Zu zehnt haben sie sich auf den Weg gemacht: ihr Mann, seine zwei anderen Ehefrauen und die Kinder. Drei Töchter hat Roja mit ihrem Mann – sie hängen noch in einem Flüchtlingscamp in Griechenland fest. Ihre Familie stammt aus Herat, einer Stadt im Westen Afghanistans. Erst im vergangenen November ist Roja nach Leipzig gekommen, seit einem Monat besucht die 33-Jährige einen Sprachkurs. Jetzt hat sie sich einen Anwalt genommen und Klage gegen den Bamf-Bescheid eingereicht.
Roja ist eine von 1.653 afghanischen Staatsangehörigen, die derzeit in Leipzig leben. Durch den Afghanistan-Deal vom Dezember 2016, der offiziell „Rückübernahmeabkommen“ heißt, hat sich die Lage von vielen von ihnen verschoben. Die politische Sicht in Berlin hat sich verändert. Demnach gibt es in Afghanistan sichere Regionen, in die abgeschoben werden kann. Sachsen hat sich dieser Linie bereitwillig angeschlossen. Zwar gab es im vergangenen Jahr noch keine Abschiebungen von Leipzig nach Afghanistan – und doch: „Die Anerkennungszahlen werden jetzt künstlich gedrückt, um der Politik gerecht zu werden“, sagt Thomas Hoffmann vom Sächsischen Flüchtlingsrat in Dresden. Im Jahr 2015 seien noch 78 Prozent aller Anträge angenommen worden, derzeit nur noch 52 Prozent.
Afghanistan ist kein sicheres Land
Die aktuelle Lageeinschätzung des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen UNHCR ist eindeutig: Es stellt in seinem Bericht fest, dass das gesamte Staatsgebiet Afghanistans von einem „innerstaatlichen, bewaffneten Konflikt“ im Sinne des europäischen Flüchtlingsrechts betroffen sei. Aufgrund der sich ständig ändernden Sicherheitslage könne man gar nicht zwischen sicheren und unsicheren Regionen in dem Bürgerkriegsland entscheiden.
Das nährt unter den Geflüchteten die Angst, nach Afghanistan zurückzumüssen: Mehrere Demonstrationen von afghanischen Geflüchteten hat es in Leipzig gegeben, die kraftvollste am 25. März. Kurz danach besuchte der afghanische Botschafter die Universität Leipzig, um Arbeiten der 2014 von Taliban ermordeten Fotojournalistin Anja Niedringhaus zu ehren.
Thomas Könneker ist ein auf Asyl- und Ausländerrecht spezialisierter Anwalt in der Leipziger Südvorstadt. Nach eigenen Angaben gewinnt er für seine afghanischen Mandanten 20 bis 25 Prozent der Verfahren vor Gericht. Für viele ist das die letzte Möglichkeit. Denn: „Die Afghanen werden jetzt vom Bamf abgeschossen.“ An seinem makellos aufgeräumten Schreibtisch schiebt Könneker die Stifte in der flachen Messingschale vor sich auf dem Tisch penibel parallel zueinander, er formuliert seine Sätze schnörkellos und spart nicht mit Kritik am Bamf und an der Politik der Bundesregierung: „Die Situation in Afghanistan hat sich destabilisiert, und gleichzeitig sinkt die Anerkennungsquote. Das sorgt für sehr viel Unruhe in der afghanischen Community.“
Hilfe und Unterstützung bekommen afghanische Geflüchtete auch von Farhad Ahmadi. Im Dezember 2016 hat er das Leipziger Afghanistan-Forum (LAF) gegründet. Seit einem Jahr und acht Monaten lebt der aus Kabul stammende Asylsuchende in der Stadt. „Ich habe das Leid vieler Afghan*innen gesehen“, sagt er. Ahmadi möchte sein Forum mit anderen Vereinen vernetzen, will Strukturen und Angebote schaffen: Nachhilfestunden, Betreuungsplätze für Kinder, damit auch die Mütter Sprachkurse besuchen können. Er ärgert sich über die Behauptung von Innenminister Thomas de Mazière, in Afghanistan gäbe es sichere Regionen. „Die Anschläge in Kabul zeigen, dass es nicht so ist.“
Thomas Könneker, Anwalt
Nachdem er einen Ablehnungsbescheid bekommen hat, haben er und Roja sich den gleichen Anwalt genommen. Obwohl er selbst nicht weiß, ob er bleiben kann, will er auf die Situation aller afghanischen Geflüchteten aufmerksam machen, ihnen helfen. „Es kann nicht sein, dass sie in die Hölle zurückmüssen, der sie entkommen sind.“
Flucht mit gesundheitlichen Folgen
Ali* teilt diese Gedanken. Wie Roja möchte auch er nicht mit seinem richtigen Namen in der Zeitung stehen. In der Leipziger Bäckerei sitzt er im Sessel neben ihr. Mit seinem Schnauzer, der grauen Strickjacke und Stoffhose, die auf den halboffenen schwarzen Seniorentretern liegt, könnte er auch als einheimischer Rentner durchgehen. „Das Gesetz in Afghanistan ist, dass es kein Gesetz gibt“, sagt er. „Kein Gesetz, kein staatliches System, das für sein Volk da ist.“
Ali redet sich in Rage: „Wird eine Frau vergewaltigt, ist sie selbst schuld. Wer das Haus verlässt, hat keine Sicherheit, wieder zurückzukehren – auch in Kabul nicht.“ Obwohl Alis Stimme vor Nervosität zittert, sind seine Handbewegungen unaufgeregt und sanft, als habe er gelernt, sich auf diese Weise zu beruhigen. Er erzählt, wie er mit seiner Frau, zwei Söhnen und zwei Töchtern über das Mittelmeer flüchtete: In einem Boot mit rund 30 Leuten, das kenterte – und wie das Meer all ihre Sachen verschluckte. Wie sie draußen schliefen, hungerten, zwei Monate lang.
Im Rahmen der „Zukunftswerkstatt“ der taz erscheint jeden Freitag statt der Neuland-Seite eine eigene Seite für Leipzig, die taz.leipzig: geplant, produziert und geschrieben von jungen Journalist*innen vor Ort.
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„Meiner Frau und mir war es egal, ob wir sterben“, stößt Ali hervor. Der dünne Wasserfilm über seinen Pupillen zittert, als würden jeden Moment die Tränen daraus hervorrollen. „Aber wir wollten eine Zukunft für unsere Kinder.“ Die Flucht hat Ali und seiner Frau zugesetzt: Beide waren seitdem oft stressbedingt krank, sie leiden unter psychischen Problemen. Vergangenen Monat musste Ali sich einer Herzoperation unterziehen, aktuell ist seine Frau im Krankenhaus.
Ihre vier Kinder sprechen bereits Deutsch, gehen zur Schule, ein Sohn spielt Fußball im Verein. Sie alle haben eine Ablehnung bekommen. 30 Jahre hat Ali in Iran gelebt, dann sollte er für den Krieg in Syrien eingezogen werden. Als er sich weigerte, wollten die Iraner ihn nach Afghanistan abschieben – so, wie jetzt die Bundesrepublik. Während des Gesprächs fasst sich der 50-Jährige immer wieder an die Brust und atmet mehrmals tief durch, bis er wieder besser Luft bekommt.
Rechtsanwalt Thomas Könneker sagt: „Das Asylrecht verlangt eine individuelle landesweite Bedrohung.“ Konfrontiert mit den Geschichten von Roja und Ali erklärt er: „Dass eine Frau eine Frau ist, genügt nicht – sie müsste schon als Frauenrechtlerin aktiv geworden und deshalb bedroht worden sein. Auch, wer über generelle Perspektivlosigkeit und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft spricht, hat keine guten Chancen.“ Die Rede sei dann oft von „inländischen Fluchtalternativen“. Könneker findet diese „äußerst fragwürdig“. Mittlerweile stammt jede*r zweite seiner Mandant*innen aus Afghanistan.
Unterstützung aus der Refugee Law Clinic
In der Südbrause, einem Café am Connewitzer Kreuz, treffen sich nach Feierabend Thomas, 27, Katharina, 25, und Clara, 24. Die drei Jura-Studierenden haben wie jeden zweiten Freitag mehrere Stunden lang mit einem Team aus ehrenamtlichen Sprachmittelnden und Berater*innen Geflüchtete in Asylrechtsfragen beraten. Sie gehören zur Refugee Law Clinic, einer Beratungsstelle von Ehrenamtlichen, die sich 2014 gegründet hat. In Kooperation mit der Universität Leipzig werden jährlich Berater*innen ausgebildet; ein halbes Jahr besuchen sie eine Vorlesung in Asyl- und Ausländerrecht, im anschließenden Semester ein Seminar, in dem konkrete Fälle besprochen werden. „Der Bedarf ist zweifellos da, wir sind immer extrem gut besucht“, sagt Katharina.
Die meisten Geflüchteten, die in die Beratung kommen, haben bereits einen Ablehnungsbescheid erhalten. Dann sei es entscheidend, die Klagefrist zwischen einer und zwei Wochen einzuhalten und sich einen Anwalt zu nehmen. Gelegentlich beraten sie die Asylsuchenden auch schon vorher, bereiten sie auf die Anhörung beim Bamf vor. „Sie haben nur diesen einen Termin, und niemand erklärt ihnen vorher, wie wichtig der ist und welche ihrer Schilderungen asylrelevant sind“, erklärt Katharina. Genau auf diese Details, die viele aus Unkenntnis, Furcht oder Scham weglassen, komme es aber oft an.
Zur Entscheidung der Bundesrepublik, Asylsuchende auch wieder nach Afghanistan abzuschieben, möchte sich Roja nicht äußern. Verlegen schüttelt sie die buschigen Haare, aus denen die blonde Farbe schon deutlich herausgewachsen ist. Sie glaubt, eine Meinung dazu stünde ihr nicht zu. Sie sagt nur: „Nirgendwo in Afghanistan ist es sicher. Das Geld bestimmt alles, und der Staat hilft den Mittellosen nicht.“ Als sie die Bäckerei verlässt, verschwindet sie schnell in der Masse von Passanten.
*Namen geändert
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