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Artgerechte Tierhaltung in BremenBürger fordern Billigfleischbremse

Gestützt auf 5.383 Unterzeichner für einen Bürgerantrag will ein Bündnis die Stadt Bremen zwingen, die Kantinenverpflegung umzustellen.

Nicht artgerecht gehalten? Weg damit! Bremer Initiative will Kantinenessen verändern. Foto: Franziska Kaufmann (dpa)

BREMEN taz | Die Bremische Bürgerschaft muss sich mit der Forderung auseinandersetzen, Billigfleisch aus öffentlichen Kantinen der Stadt zu verbannen. Das hat das Agrarpolitische Bündnis Bremen (ABB, siehe Kasten) mit einem Bürgerantrag erzwungen: Das von der Landesverfassung dafür vorgegebene Quorum von 4.000 BefürworterInnen zu erfüllen, war laut dessen Sprecher Peter Bargfrede „mit nicht mehr als zehn Unterschriftensammlern“, die seit April unterwegs waren, geglückt: „Wir haben 5.383 gezählt.“

Sollten die Forderungen vom Parlament unterstützt werden, wäre Bremen die erste Stadt Deutschlands mit einer offiziellen Billigfleischbremse.

Am Donnerstag übergaben Bargfrede und seine MitstreiterInnen ihr Unterschriftenpaket an den Parlamentspräsidenten Christian Weber (SPD) zur Prüfung. Seit Einführung 1994 ist es das zwölfte Mal, dass ein Bürgerantrag in Bremen eingereicht wird und es ist der zweite, seitdem das Quorum auf 4.000 UnterstützerInnen für kommunale und 5.000 für landespolitische Belange jeweils etwa halbiert wurde.

Konkret fordert der ABB-Antrag, dass die Stadt bereits ab 1. Januar dort, wo sie selbst, etwa bei Rathaus-Empfängen, als Gastgeberin auftritt, auf tierische Produkte ausschließlich aus artgerechter Haltung zurückgreifen solle.

Bis Ende 2015 müsse der Senat in der Bürgerschaft einen Aktionsplan vorlegen, wie bis spätestens 2020 die gesamte öffentliche Verpflegung – von Kita- und Krankenhausküchen über Schul- und Hochschulmensen bis zu Behördenkantinen – aus dem Verbrauch von Produkten einer industriellen Massentierhaltung aussteigen könne.

Auch dann, wenn deren Betrieb durch private Caterer gewährleistet wird. „Gerade für die Gesundheit der Kinder sehe ich die Stadt in der Verantwortung“, betont Bargfrede. „Nach unseren Vorstellungen sollte das auch den Fleischkonsum reduzieren“, stellte Jutta Draub-Ketelaar klar.

Agrarpolitisches Bündnis

Das Agrarpolitische Bündnis Bremen (ABB) ist ein Zusammenschluss lokaler Initiativen mit überregionalen Nichtregierungsorganisationen.

Seine Mitglieder sind der Agrarpolitische Arbeitskreis im Landkreis Verden und umzu, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, der Umweltverband BUND, Brot für die Welt, die Bremer Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaft, der Ökomarkt Bremen, Pro Vieh, die Verbraucher AnStiftung sowie der Verein Sozialökologie.

Das Instrument des Bürgerantrags gibt es in Bremen seit 1994. Anders als Bürgerbegehren und -entscheid erzwingt es aber lediglich eine ergebnisoffene Befassung und Beschlussfassung des Parlaments zu einem bestimmten Thema.

Probleme bereiten könnte die Beschaffung: Die Landwirtschaft tut sich naturgemäß schwer dabei, auf einen sprunghaften Anstieg der Nachfrage zu reagieren. „Von einem Tag auf den anderen kann Bremen nicht auf artgerecht erzeugtes Fleisch umstellen“, sagt auch Rolf Ahrenholz, der aus dem Landkreis Verden die Bremer Initiative unterstützt. „Wir gehen deshalb auch von einer schrittweisen Einführung aus.“

Gleichwohl bereiten dem Bündnis die eigenen Fristen mittlerweile Sorge: „Dass bis Dezember ein richtig durchdachter Aktionsplan vorliegt, kann man im November eigentlich nicht mehr verlangen“, räumt Bargfrede ein.

Ursprünglich sei man davon ausgegangen, dass eine gesetzlich vorgesehene Online-Zeichnung des Antrags möglich wäre. Daran habe sich der Zeitplan orientiert. „Wenn die Politik sich jetzt hinter diesen Fristen verstecken würde, um den Antrag für unzulässig zu erklären, wäre das aus unserer Sicht arg formalistisch.“

Tatsächlich dürfte es Rot-Grün schwerfallen, das zu rechtfertigen. Denn ihr Koalitionsvertrag verbreitet sich im Unterkapitel „Ernährung“ seitenlang über das Ziel einer „ökologisch-sozialen Transformationspolitik“ und den wünschenswerten Einsatz regionaler, saisonaler Lebensmittel aus nachhaltigem Anbau. Bremen betreibe dabei, „um Zeichen zu setzen“, eine „Politik mit dem Einkaufskorb“, verspricht der Vertrag.

Allerdings: Der Vertrag bleibt dabei recht unkonkret – und bei den ABB-Aktiven weckt das ungute Erinnerungen an die vergangene Legislatur. Denn auch in der hatten SPD und Grüne versprochen, „auf den biologischen Landbau, artgerechte Tierhaltung, die Regionalvermarktung“ zu setzen und durch ein „Projekt Biostadt“ zur regionalen, umweltbewussten und gesunden Ernährung beizutragen.

Als diese frommen Wünsche jedoch durch die Grünenfraktion in einen Antrag gegossen worden waren, wollte der große Partner damit nichts mehr zu tun haben. Er wurde nach interfraktioneller Beratung kassiert.

„Deshalb machen wir das ja“, sagt Draub-Ketelaar. Dabei dürfte sowohl die durch die Warnung der Weltgesundheitsorganisation neu entfachte Diskussion über den überhöhten Fleischkonsum die Chancen fürs Anliegen verbessern.

Andererseits hat man sich bemüht, der begründeten Sorge, die Preise für Kita- und Schulessen könnten in der Folge explodieren, die Dringlichkeit zu nehmen: In München hat die auf die Beratung von Großküchen spezialisierte Firma a‘verdis die tatsächlichen Preissteigerungen pro Menü durch den Wechsel auf artgerecht erzeugte Tierprodukte ermittelt.

Derzufolge ergäben sich Mehrkosten von 2,46 Euro pro Monat durch den Einsatz von Neuland-Fleisch, was „gemittelt gerade einmal 0,12 Euro pro Mahlzeit Mehrkosten“ bedeute. Notfalls, so Bargfrede, müsse diese Mehrbelastung bei den Finanzschwachen durch die öffentliche Hand ausgeglichen werden. „Das muss der Gesetzgeber in den Griff kriegen.“

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13 Kommentare

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  • Ein guter Anfang. Am Ende der Entwicklung muß aber kompromisslos ein fleischfreies Schland stehen, da der Kapitalismus bislang noch jedes gute Ansinnen pervertiert und ins Gegenteil verkehrt hat. Den Ökokapitalisten hat das bisher noch nicht einleuchten mögen, obwohl man seit 30 Jahren einen Mißerfolg nach dem anderen beobachten konnte.

  • Das ist absolut irreführend ausgedrückt. Die Bürger wollen sehr wohl Billigfleisch, denn niemand will von heute auf morgen das Doppelte bezahlen, und schon gar nicht für gleichbleibende miese Qualität. Was die Bürger wirklich wollen, ist der sofortige Abschied von Gammel und Gift. Und nur, wenn das erfolgt, dann wird man auch bereit sein, etwas mehr zu bezahlen.

    • @wxyz:

      Dann bleibt es halt bei Gammel und Gift. Oder glauben Sie, die Fleischdreckprodunzenten geben Ihnen Kredit auf das Versprechen, sie bezahlten mehr, sobald sie mit der Qualität zufrieden sind?

       

      Im Übrigen ist damit dem Hauptproblem noch gar nicht Rechnung getragen: Dem alltäglichen millionenfachen Leid von Schlachtvieh. Warum soll ein einziges Rind getötet werden, nur weil der Mensch, der sich für alleine vernunftbegabt hält, nicht mal imstande ist, seine Ernährungsgewohnheiten zu ändern und stattdessen mit infantilem Trotz am Schnitzel festhält wie früher am Lolli? Können Sie mir das plausibel erklären?

      • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

        Ich betrachte die Sache aus einer komplett anderen Perspektive. Deshalb halte ich es für unsinnig, bestimmte Verhaltensweisen zu ächten. Denn die dahinter steckende Konstellation der Persönlichkeit eines Menschen findet stets neue Weg, dasselbe auf andere Weise unter anderen Begründungen weiterhin zu verwirklichen.

        Einfaches Beispiel: Ein Sadist wird nicht dadurch seinen unheilvollen Drang ablegen, daß ihm die Möglichkeit genommen wird, z. B. seine Kinder zu quälen. Im Zweifelsfall sucht sich ein solcher eben andere Menschen oder wehrlose Tiere.

        Das Hauptproblem sehe ich aus solchen Gründen in der Persönlichkeitsstruktur von Politikern und spezifischen Unternehmern. Und wenn es tatsächlich unmöglich werden sollte, Giftgepansche als Lebensmittel zu verkaufen, dann werden dieselben vermutlich die Branche wechseln und auf andere Weise die Kunden abzocken.

    • @wxyz:

      Wer will, kann schon jetzt, zumindest zuhause, auf Gammel + Gift verzichten, es kostet aber halt. Statt dessen stellen sich viele Leute aber z.B. ein dickes Auto vor die Tür und kaufen billig (Mist) ein.

      Die Politik und Behörden schauen dem Tierquälwahnsinn zu und machen nichts.

      • @Senza Parole:

        Es kostet eben nicht. Reis, Gemüse, Teigwaren, Früchte: Damit ernährt man sich kostengünstig, appetitlich & gesund. Da kann man sich ab und zu sogar Fisch leisten.

        • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

          Im Grunde genommen kostet das Müll-Fleisch sogar jeden von uns etwas, da diese Art der "intensiven" Landwirtschaft sprich Massenproduktion mit viel Geld subventioniert wird. Eben darum ist es noch wichtiger, dass nicht nur schön rumgelabert wird, sondern eben staatliche Institutionen, die große Mengen abnehmen, mal Ernst machen. Sowohl mit dem Thema Fleisch, als auch mit sozial verträglich hergestellten Textilien.

  • Was für ein Appell !

    Und doch verlogen !

     

    Ich kenne zahlreiche Befürworter der artgerechten Tierhaltung, welche Hunde und Katzen in ihrem eigenen Zuhause auf Teppichware 'halten'.

    In einem Wohnzimmer-Gefängnis.

     

    Und spricht man sie an, wird verteidigt was das zeug hält. Der Liebling fühle sich pudelwohl.

    Wie ?

    Hat er ihnen das persönlich gesagt, oder schriftlich bestätigt 'bei Einzug' ?.

     

    Einerseits selbst ausschließlich Eier von freilaufenden Hühnern auf dem Frühstückstisch haben wollen, andererseits Tiere in seiner Wohnung einsperren.

    Ich halte dies für äusserst doppelbödig.

  • Mir ist ja üblicherweise der Inhalt wichtiger als die Form. Aber wenn in einem einzigen Artikel gefühlte 400 Kommata an völlig unnützen Stellen auftauchen und dadurch unverständliche Halbsätze erzeugen dann stört mich das doch ein wenig.

     

    Wäre es nicht vielleicht möglich das auch auf der Online-Plattform Artikel durch geübte Redakteure gegengelesen werden, bevor sie in die Öffentlichkeit entlassen werden?

    • @ShieTar:

      Alle Kommas sind korrekt gesetzt.

    • @ShieTar:

      "...vielleicht möglich, daSS..."

       

      Wenn schon, denn schon.

    • @ShieTar:

      Ich habe stichprobenartig einige Absätze überflogen, da waren die Kommata jeweils erforderlich, und ich habe spontan keine Möglichkeit gesehen, die jeweiligen Sätze, die zugegebenermaßen kompliziert zu lesen sind, in ihrer Komplexität zu reduzieren.

       

      (Ich habe aber, und das muß ich zugeben, im obigen Satz eine Formulierung gewählt, die den Einsatz von mehr Kommata ermöglicht.)