piwik no script img

Arte-Dokumentation „Herzensbrecher“Heteronormative Heftromane

Arte hat den „Summer of Lovers“ ausgerufen und zeigt eine Doku über Liebesromane. Wir lernen: Romane ohne Homosexuelle verkaufen sich besser.

Halbnackte Männer sind okay in Groschenromanen, Sex aber nicht Foto: Anne-Marie/Sarosdy RB

„Liebe bedeutet, niemals um Verzeihung bitten zu müssen.“ Das ist natürlich grober Unfug und würde keinen Praxistest je bestehen und jeder weiß das. Es ist aber schöner, romantischer, nun ja: zu Herzen gehender Unfug, der aus einem Werk stammt, das es als Buch und Film gibt und das – wozu die Umstände – sein Autor kurzerhand „Love Story“ genannt hat. Die Liebesgeschichte des leichtlebigen Preps und der fleißigen Einwanderertochter, die gegen jede Wahrscheinlichkeit zusammenkommen, woraufhin sie glücklich und zufrieden … nein, eben nicht: woraufhin sie stirbt. Das ist auch der Grund, warum Erich Segals am Ende erfolgreichste Schmonzette aller Zeiten es nie ins Programm von deutschen Groschenroman-Verlagen wie Bastei Lübbe oder Cora geschafft hätte.

Für Heftroman-Reihen wie „Bianca“, „Julia“, „Romana“, „Silvia“, „Stella“ oder „Tiffany“ gelten nämlich ganz klare Regeln. Die Österreicherin Isabell May, die für „Das Berghotel“ und „Notärztin Andrea Bergen“ geschrieben hat, erklärt sie: „Ich hab mittlerweile ja 84 Heftromane geschrieben, und im Endeffekt laufen die immer relativ ähnlich ab. Also, das Pärchen lernt sich kennen, sie verlieben sich oder fühlen sich zu einander hingezogen, es gibt irgend einen Konflikt, irgendein Problem, das ihnen im Wege steht, 'n bisschen Drama, da fließen viele Tränen, und, ja, irgendwie müssen sie es dann am besten aus eigener Kraft schaffen, die Probleme zu überwinden, zu einander zu finden, und dann gibt’s das große, kitschige Happy End.“

Also eine Hochzeit, mindestens, und ganz bestimmt keinen Todesfall. Anne Basener, deren Fibel „Heftromane schreiben und veröffentlichen“ auch May studiert hat, ist da ganz bestimmt. Genauso wichtig wie die Dos sind nämlich die Don'ts: „Man darf auf keinen Fall wirklich zeigen, wie die Sex haben, also Hose runter und rein, raus. Man darf auf keinen Fall irgendwelche zu starken politischen Aussagen treffen. Keine Religion. Und keine Fremdwörter, keine Fremdsprachen.“ Und keine Homosexualität: „Heteronormativer Mainstream. Das verkauft sich besser.“

Jede fünfte Frau liest Cora-Romane

Und es verkauft sich gut. Jede fünfte Frau in Deutschland liest regelmäßig Cora-Romane, zwei Drittel aller Leserinnen von Heftromanen kaufen mehr als acht Hefte pro Monat – lernt der staunende Zuschauer in André Schäfers („Deutschboden“) Arte-Dokumentation, auf die er möglicherweise nicht gewartet hat. Aber Arte wäre ja nicht Arte (sondern ARD oder ZDF), wenn der Kultursender sich nicht gelegentlich auch den unerwarteten wie den scheinbar leichten Themen mit dem gebotenen Ernst widmen würde. So schließt „Herzensbrecher“ in diesem heißen Sommer, der bei Arte der „Summer of Lovers“ ist, beinahe nahtlos an „Lieben Sie Kitsch?“ (2009) an.

Schäfers Film handelt zwar vor allem von den Heftromanen und ihrer Entstehung – zum Beispiel davon, wie die Titelbilder fotografiert werden und warum das Dirndl als Kleidungsstück auf den Heftcovern und in den Heften so omnipräsent ist –, es geht aber auch um die feinen Unterschiede, die Hierarchien der Liebesliteratur.

"Herzensbrecher"

Fr., 27. Juli, 23 Uhr, Arte

Genau wie Michel Birbaek („Wenn das Leben ein Strand ist, sind Frauen das Mehr“) hat Judit Pinnow („Läuft das was?“) erst fünf Liebesromane geschrieben (und keine 84 wie May) – aber eben in Buch-, nicht in Heftlänge. Denn der Heftroman, meint sie, ist „so ein Anfänger-Porno für Frauen. Es geht ganz schnell zur Sache, das ganze Drumherum wird weggelassen, Gretchen sieht Frank und liebt Frank, aber sie kriegt ihn nicht, und dann geht’s drum, wie sie ihn kriegt, und auf Seite 30 hat sie ihn schon und, juhu, sie tun’s und so. Das ist, glaub ich, einfach so’n Quickie, Heftromane.“

Weil er seinen Film für Arte gedreht hat, macht Schäfer einen obligatorischen Abstecher nach Frankreich, wo die Dirndl-freie Entsprechung „roman à l’eau de rose“ heißt – Rosenwasserroman – und egalitäre 5,99 Euro kostet. Es geht kurz nach Irland, wo Cecelia Ahern („P.S. Ich liebe Dich“) – in rosa Rüschenbluse mit Herzchen drauf und Schleifchen in einem pinkfarbenen Sessel sitzend – ihren Buchcovern bemerkenswert ähnlich sieht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • „Heteronormativer Mainstream. Das verkauft sich besser.“

    Was für eine bahnbrechende Erkenntnis wenn man bedenkt, dass die Hefte hauptsächlich von heterosexuellen Frauen gekauft werden...

    • 9G
      96830 (Profil gelöscht)
      @warum_denkt_keiner_nach?:

      Da muss man noch hinzufügen, dass es auch einfach mehr heterosexuelle Frauen gibt.

      • @96830 (Profil gelöscht):

        Stimmt. Hatte ich dummer Weise als allgemein bekannte Tatsache vorausgesetzt...