Armutsbericht der Bundesregierung: Kritik an neuer Messung
Der neue Armutsbericht misst Wohlstand in der Bevölkerung erstmals mehrdimensional. Doch „Armut“ wird dadurch nur noch sehr eng gefasst.
Doch an dem Bericht gibt es Kritik. Der Paritätische Wohlfahrtsverband bemängelt eine „größtenteils willkürliche“ Einteilung der Kategorien im Teil zu den Lebenslagen. So werde die Kategorie der „Armut“ zu eng verstanden. Und das mache sich auch in den Ergebnissen bemerkbar, kritisiert der Paritätische. Die Forscher*innen im Armutsbericht kommen auf 11 Prozent „Armut“ in dem Zeitraum von 2013 bis 2017. Die übliche Messung über die Armutsquote ergebe dagegen für denselben Zeitraum durchschnittlich 15,6 Prozent.
Beschönigt der Armutsbericht also die soziale Lage in Deutschland? Es ist etwas komplizierter: Der neue Bericht führt erstmals die sogenannten Lebenslagen-Untersuchung ein. Die Forscher*innen messen Armut nicht mehr alleine über das Einkommen. Stattdessen werden Vermögen, Wohnungsgröße und Erwerbsstatus berücksichtigt. Diese Faktoren können Einkommensarmut- oder -reichtum abmildern – oder noch verstärken. Gerade dieser Vielschichtige Zugang zu Armut wurde lange von Verbänden gefordert. Zudem zeichnet die Untersuchung (eventuelle) Auf- und Abstiege der Personen über Jahre nach.
Ausgehend von den Daten arbeiteten die Forscher*innen acht „Lebenslagen“ heraus – darunter die Lage „Armut“ am unteren und „Wohlhabenheit“ am oberen Ende. Neben Armut führt die Untersuchung zudem noch die Kategorie „Prekarität“ für die unteren Lagen sowie die Zwischenkategorie „Armut Mitte“ auf.
Schulden nicht komplett erfasst
Diese Einteilung erfordert jedoch gewisse Wertungen, beispielsweise wie einzelne Indikatoren gewichtet oder die Lagen eingeteilt werden. Der Paritätische kritisiert: „Wird in diesem Kontext ein alternatives statistisches Verfahren zur Konstruktion der Lagen und der Berechnung ihrer Anteilswerte eingesetzt“, fielen die Werte in den unteren Lagen wie „Armut“ deutlich höher aus.
Der Paritätische hält daher „einer stärkere Kontextualisierung der Ergebnisse der Bremer Forschungsgruppe für nötig“, schreibt er in seiner Stellungnahme. Das sei vor dem Hintergrund, wichtig, da der Bericht „von einem breiten Leser*innenkreis rezipiert“ werde und die „darin berichteten Ergebnisse eine prominente Stellung im medialen und politischen Diskurs einnehmen.“
Und was sagen die Autor:innen des Reichtumsberichts zu dieser Kritik? Zwar räumt Studienmitautor Olaf Groh-Samberg von der Universität Bremen ein, dass die Kategorie Armut tatsächlich verhältnismäßig eng gefasst sei. „Aber wir wollten auch, dass die Abgrenzung zu anderen Lagen genauer wird.“
Rund 70 Prozent der Armen bleiben Arm
Das Ergebnis: „Jetzt haben wir ein sehr klares und definiertes Bild von Menschen am ganz unteren Ende der Verteilungsskala, das eindrücklich zeigt, wie sehr ein nicht zu vernachlässigender Teil in Deutschland dauerhaft erheblich arm ist“, sagt Groh-Samberg. Dazu sei „Armut“ nicht die alleinige Kategorie für die unteren Lagen.
„Aber unabhängig davon, ob wir jetzt die Kategorien etwas weiter gefasst hätten, oder nicht. Was bleibt ist die Feststellung, dass die Gruppe der Armen in den letzten Jahren gewachsen ist und sich verfestigt. Das ist auch die zentrale Botschaft des Berichts“, sagte Groh-Samberg der „taz“.
Konkret heißt das: Aus der „Armut“ heraus gelingt es im Untersuchungszeitraum nur in geringem Umfang in die „Untere Mitte“ oder gar in Lagen darüber hinaus aufzusteigen, so die Studie. Rund 70 Prozent der Armen bleiben arm. Ähnlich wenig Mobilität gibt es auch am oberen Ende der Verteilung, wo ebenfalls zwei Drittel ihre Position beibehielten.
Bei einem weiteren Punkt teilt der Forscher die Ansicht des Paritätischen. Das genaue Ausmaß der Armut sei in der Untersuchung wohl untererfasst. Denn für die Untersuchung wurden Personen zwar zu ihrem Vermögen befragt, nicht aber durchgängig zu Schulden. Außerdem sind ganze Gruppen potenziell Armer – etwa Wohnungslose – nicht oder erheblich zu wenig berücksichtigt.
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