Armut und Wachstum: Ökonomen streiten über Vermögen
Wirtschaftswissenschaftler streiten sich, ob Ungleichheit das Wachstum bremst. Dahinter steckt ein ideologischer Disput.
Schwachsinn, erklärten am Montag unisono gleich mehrere Großökonomen. „Wir haben es hier mit einer eher willkürlichen Messmethode des OECD zu tun“, sagte Michael Hüther, Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW). Keine eindeutige Korrelation zwischen Ungleichheit und Wachstum stellt das IW per Studie fest. „Für einen ausgereiften Wohlfahrtsstaat wie unserem mit einem unterdurchschnittlichen Ungleichheitsniveau ist – wenn überhaupt – von einem positiven Effekt der Einkommensungleichheit auf das Wachstum auszugehen“, sagte Hüther. Eine „Dramatisierung der Verteilungssituation“ sei „wenig zielführend“.
Über „alarmistische Appelle und abenteuerliche Thesen“ ärgerten sich quasi zeitgleich Christoph Schmidt, Chef der Wirtschaftsweisen und Präsident des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung, und Amtskollege Clemens Fuest vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in einem Namensbeitrag für das Handelsblatt. Tenor: Die Ökonomie könne keinen „robusten Zusammenhang“ zwischen Ungleichheit und Wachstum nachweisen.
Natürlich steckt dahinter ein ideologischer Streit: Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, betont in einem eben erschienenen Buch, dass wegen stagnierender Reallöhne zwischen 1992 und 2014 rund die Hälfte der Arbeitnehmer Kaufkraft verloren haben. Vielerorts fehle Geld, um in den eigenen und in den Aufstieg der Kinder zu investieren – schlecht für das Wachstum. Fratzscher: „In kaum einem Industrieland der Welt sind vor allem Chancen, aber auch zunehmend Vermögen und Einkommen ungleicher verteilt als in Deutschland.“
Die Bundesbank unterlegte diese These am Montag sogar mit ihrem Vermögensbericht. Geld sei in Deutschland sehr ungleich verteilt. So besaß 2014 die untere Hälfte der Haushalte lediglich 2,5 Prozent des gesamten Nettovermögens. Den obersten zehn Prozent der Haushalte gehörten hingegen 59,8 Prozent des Vermögens. Im Jahr 2010 waren es noch 59,2 Prozent.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“