Armut und Reichtum in Deutschland: Die da oben, wir hier unten
Die Zahl der Armen und Verschuldeten steigt weiter. Auch der Aufschwung am Arbeitsmarkt ändert daran nichts. Die Vermögenden werden derweil immer reicher.

Die Treppe wird länger, der Aufstieg ist kaum möglich. Bild: dpa
BERLIN afp | Die Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland wird immer größer: Die Armutsquote in Deutschland steigt ebenso wie die Zahl der privaten Schuldner, heißt es in dem am Donnerstag in Berlin veröffentlichten Jahresgutachten des Paritätischen Verbandes (PDF).
„Das soziale Bindegewebe, der Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält, bröckelt“, sagte der Verbandsvorsitzende Rolf Rosenbrock bei der Vorstellung der Studie.„ Diese Entwicklung gefährdet langfristig auch den Wirtschaftsstandort Deutschland.“
Die Armutsquote ist den Angaben zufolge von 14,0 Prozent in 2006 auf 15,2 Prozent im Jahr 2012 gestiegen. Von dieser Quote erfasst wird, wer unterhalb der Armutsgrenze lebt. Besonders armutsgefährdet sind demnach Erwerbslose und Alleinerziehende. Diese Entwicklung sei wegen der vergleichsweise positiven wirtschaftlichen Entwicklung und Arbeitsmarktzahlen erstaunlich, heißt es in dem Bericht. „Ganz offenbar ist eine große, wachsende Zahl von Menschen von der Wohlstandsentwicklung abgekoppelt.“
Zugleich stieg die Zahl der privaten Schuldner von 6,2 Millionen in 2009 auf knapp 6,6 Millionen im vergangenen Jahr. Jeder zehnte Erwachsene gelte mittlerweile als überschuldet und habe im Durchschnitt mehr als 30.000 Euro Schulden.
Andererseits habe es noch nie so viel privates Vermögen in Deutschland gegeben wie derzeit. Es beträgt den Angaben zufolge insgesamt 7,4 Billionen Euro, davon entfallen 5,1 Billionen überwiegend auf Grund- und Immobilienbesitz.
„Noch nie war im vereinigten Deutschland die Spanne zwischen Arm und Reich größer“, sagte Rosenbrock. Es habe noch nie so viele Erwerbstätige wie heute gegeben, aber auch noch nie mehr Mini-Jobs, nicht auskömmliche Teilzeitbeschäftigung und befristete Arbeitsverhältnisse. Die Qualität des Arbeitsmarktes habe in den vergangenen Jahren rapide abgenommen. „Gute Arbeit“ werde immer seltener.
Die Zahl der Arbeitslosen sei zwar gesunken, nach wie vor seien jedoch mehr als eine Million Menschen länger als ein Jahr arbeitslos, bemängelte der Paritätische Verband. „Die Langzeitarbeitslosigkeit stagniert damit auf einem ungebrochen hohen Niveau.“ Notwendig sei eine individuelle Beschäftigungsförderung, dazu würden neue Investitionen in Hilfe-, Qualifizierungs- und Beschäftigungsangebote benötigt.
Leser*innenkommentare
uwe
Das übliche Kuddelmuddel wie meist bei Armutsartikeln.
Einerseits geht es um Einommen. Die im Artikel falsch als Armutsquote bezeichnete Armutsgefährdungsquote bezieht sich auf das Einkommen und misst den Anteil Haushalte mit Einkommen von weniger als 60% des Einkommensmedians. Früher waren das mal 50%, aber da waren wir wohl nicht arm genug. Nun ja. Mit Armut hat das nichts zu tun. Jedenfalls nicht im Sinne von Befriedigung von Grundbedürfnissen. Vermögen wird dabei auch nicht berücksichtigt. Und beheben kann man die Quote auch nicht, da sie ja in Relation zum Median definiert ist. Verzeichung, nicht ganz richtig, man könnte alles Umverteilen, jeder bekommt das gleiche Einkommen, dann sind alle arm bzw. korrekt ware armutsgefährdet. Ups.
Übrigens ist DE laut Gini Faktor der Industriestaat unter den G10 mit der besten / gleichmäßigsten Einkommensverteilung.
Ganz anders sieht es beim Vermögen aus.
Das ist im Ersten Ansatz in DE sehr ungleich verteilt. Allerdings werden bei den üblichen Studien Äpfel mit Birnen verglichen. Zwar werden die Altersrücklagen der Unternehmer erfasst (Immobilien, Aktien etc - ooch, die sind ja reich), nicht aber die Pensionsansprüche unserer Beamten (z.B. was kostet eine Sofortrente ab 65 in Höhe einer üblichen Pension ... ooch sind die reich). Die deutlich mickrigeren Rentenansprüche werden auch vernachlässigt.
Und im Ländervergleich schlagen solche Ansprüche ganz unterschiedlich zu Buche. Deshalb sind z.B. die Italiener, Spanier etc. relativ reich (Immobilie ja, Rentenansprüche eher weniger als in DE).
Also liebe Redaktion, wenn Ihr auf Basis der Studie eines interessengeleiteten Wohlfahrtsindustriemitgliedes ein paar Zeilen schwärzt, dann wünsche ich mir etwas kritisches Hinterfragen. Das tut Ihr doch sonst auch.
sema
Lieber Uwe,
Sie haben's nicht bemerkt - es geht hier um eine Entwicklung. Die Armen werden immer ärmer, weil es immer weniger auskömmliche Arbeit gibt. Und selbst wenn, wie Sie sagen, in diesen Berechnungen die "Altersrücklagen der Unternehmer" erfasst werden - das ändert nichts daran, dass die Vermögen steigen, während die Löhne und Renten einer breiten Bevölkerungsschicht sinken. Übrigens wird in dem Artikel auch nicht behauptet, dass es den Spaniern oder Italienern besser geht als den Deutschen. Die feiern sich aber auf jeden Fall nicht selbst für ihre "stabile Wirtschaft".
aurorua
Gast
Wehrt Euch es gibt schon genug Rentner/innen, die zum Sozialamt müssen um Obdachlosigkeit zu vermeiden. Von wegen "Grundsicherung" reale Grundsicherung sollte in einem der reichsten Länder der Welt aber definitiv anders aussehen (Bsp. siehe Skandinavien, siehe Schweiz). Es gibt schon genug völlig isoliert und vereinsamte Rentner/innen aus wirtschaftlichen Gründen, es gibt schon genug die unmenschlich und entwürdigend Pfandflaschen sammeln, nach 45 Beitragsjahren, insbesondere Frauen. Würde man das Politiker und Beamtentum so abkanzeln wie den/die wirklich produktiven Rentner und Rentnerinnen, würde das Renten-und Pensionssystem über Nacht wirklich reformiert. Nehmt Euch ein wenig Zeit und prüft folgenden Link:
https://www.openpetition.de/petition/online/buergerversicherung-altersversorgung-solidarisch-und-gerecht