Armut im Fernsehen: Hartz und hässlich

Das Privat-TV zeigt Armut als aneinandergereihte Hartz-IV-Klischees. Das bemängelt eine Analyse der Otto-Brenner-Stiftung.

Essenszubereitung an einer Tafel mit Lebensmittelkisten

Schon eher ein Bild für die Realität von Armut: Die Berliner Tafel (hier im März) Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

Nathalie ist 22 und bekommt Hartz IV, ihr Ex-Freund, der wohnungslose Marcel, bemüht sich gar nicht erst um Hilfe vom Staat, der Papierkram sei ihm zu anstrengend. Ihnen wurde ihr Kind weggenommen. Nathalies Wohnung ist verdreckt, Marcel hat Aggressionsprobleme und beide nehmen Drogen. In der RTL2-Sendung „Armes Deutschland – Abstempeln oder Abrackern“, sehen Empfänger:innen von staatlicher Unterstützung oft so aus: arbeitscheu, verwahrlost, kettenrauchend.

Selbstverständlich ist dieses Bild nicht repräsentativ. Weder für die 3,9 Millionen Hartz-IV-Beziehenden in Deutschland noch für die Porträtierten selbst. Dennoch, das beklagt Medienwissenschaftler Bernd Gäbler in einem aktuellen Positionspapier, stellten solche Sendungen „die dominante Form dar, in der aktuell im privaten Fernsehen über Armut berichtet wird“. Das Papier mit dem Titel „Armutszeugnis – wie das Fernsehen die Unterschichten vorführt“, ist am Dienstag bei der Otto-Brenner-Stiftung, einer Einrichtung der IG Metall, erschienen.

In der Studie betrachtet Gäbler verschiedene TV-Sendungen, die sich mit Menschen in prekären Lagen befassen. Er konzentriert sich dabei auf den Umgang mit den Protagonist:innen. Sozialreportagen wie „Armes Deutschland“ und „Hartz aber herzlich“ kritisiert er deutlich: „Die Berichte [über die Unterschicht] sind einseitig und klischeehaft, manipulativ und diffamierend.“ ARD und ZDF stehen allerdings ebenfalls in seiner Kritik: Sie machten Armut zum Nischenthema.

Reportagen aus sozialen Brennpunkten und prekären Haushalten gehören schon lange zum Kernrepertoire privater Fernsehsender, insbesondere der RTL-Gruppe. 2004 war es die „Super Nanny“ Katharina Saalfrank, die auf RTL vermeintliche Problemkinder auf die Schweigetreppe setzte, wenig später half Peter Zwegat ökonomisch schwachen Familien „Raus aus den Schulden“. Heute fasst RTL2 Sendungen in diesem Stil unter dem Label „Trotz dem Leben“. Der Titel stehe „für die große Herausforderung, selbstbestimmt und mit Würde zu leben, auch wenn man nur wenig Geld hat“, preist der Sender sein neues Etikett an. „Für die meisten der in den Dokumentationen gezeigten Menschen ist trotz Armut kein Platz für Resignation. Man hält zusammen und blickt so positiv wie möglich in die Zukunft.“ Klingt nach empowernder Armutsberichterstattung.

Gegeneinander ausgespielt

Seit knapp vier Jahren läuft innerhalb dieser „Trotz dem Leben“-Sektion die Show „Armes Deutschland“ (RTL2/TVNow). Darin sind die Prot­ago­nis­t:in­nen vor allem eines: arm. Viel mehr zeichnet die Familien und alleinerziehenden Mütter in der Show nicht aus – höchstens noch, dass sie entweder stinkfaul sind oder hart arbeitende Menschen, die trotz mehrerer Jobs unter der Armutsgrenze leben. Eins von beiden. Das Leben der vermeintlichen Rabenmutter Nathalie und des aggressiven Marcel kontrastiert die Sendung mit dem von Tina und ihrem Mann Heiko, der neben der Stütze minijobbt, um den drei Kindern etwas bieten zu können („Leuten, die Hartz IV beziehen und nicht arbeiten wollen, denen würde ich sagen, euch sollte man das Geld streichen, weil ihr seid’s nicht wert!“). So spielt „Armes Deutschland“ seine Protagonist:innen gegeneinander aus.

Wie manipulativ die Darstellung der Betroffenen ist, zeigt sich auch am Schnitt. Auf Nathalies Aussage, dass ihre Wohnung jetzt so sauber sei, dass man dort vom Boden essen könne, zeigt eine Kamerafahrt Kot im Badezimmer, eine komplett verdreckte Küche und Tabakreste auf dem Couchtisch.

„Hartz und herzlich“, ebenfalls Teil der „Trotz dem Leben“-Reihe, orientiert sich an der britischen Sendung „Benefits Street“ des Privatsenders Channel 4. In der von 2014 bis 2015 laufenden Pseudodokumentation wurden die Schicksale einer besonders von Armut betroffenen Straße in einem Arbeiterviertel von Birmingham gezeigt. Die Sendung führte in England zu einer breiten gesellschaftlichen Debatte, an der selbst der damalige Premierminister David Cameron im Unterhaus Stellung bezog, wie Gäbler in seiner Studie erzählt.

Das RTL2-Pendant „Hartz und herzlich“, in denen Menschen aus deutschen Arbeitervierteln porträtiert werden, führte ebenfalls zu Kontroversen. Die Ein­woh­ne­r:innen des Viertels fühlten sich falsch dargestellt, die SPD-Politikerin Bärbel Bas sprach von einer einseitigen und klischeehaften Darstellung. Der Leiter der RTL2-„Docutainment“-Abteilung verteidigte damals das Konzept in einem Blogpost: „Kein intellektueller Überbau und auch keine journalistische Betroffenheit. Wir wollten die Realität abbilden – echt, pur und fernab jeglicher Zuspitzung.“

Bernd Gäbler, Medienwissenschaftler

„Vorgeführt wird ein Extremismus des Elends“

Medienwissenschaftler Bernd Gäbler schreibt in seiner Studie, es werde bewusst ausgewählt. „Vorgeführt wird ein Extremismus des Elends, gecastet werden krasse Charaktere, suggeriert wird aber: So sind sie, die ‚Unterschichten‘.“ Anstatt Menschen verschiedener sozialer Hintergründe darzustellen, werde nur das Stereotyp des armen, faulen und verwahrlosten Hartzers bedient. Die Lebensrealität der Figuren werde der Dramaturgie angepasst, wodurch die Protagonist:innen zu Abziehbildern würden. Das Interviewangebot der taz zu den Sendungen „Hartz und herzlich“ und „Armes Deutschland“ schlugen RTL2 sowie der Privatsender-Verband Vaunet übrigens aus.

Gäblers Kritik richtet sich aber nicht nur gegen RTL und Private. Bei den öffentlich-rechtlichen Sendern finde das Thema Armut in Deutschland abseits der tagesaktuellen Berichterstattung kaum statt. Höchstens in einzelnen Reportagen oder Berichten. Längere Dokumentationen oder fiktionale Formate finde man dagegen „allenfalls sporadisch“.

Wenn ARD und ZDF ihrem Auftrag, alle Bevölkerungsschichten angemessen zu repräsentieren, gerecht werden wollen, bräuchte es eine Programmstrategie, die sei aber nicht zu erkennen. Armut zur besten Sendezeit gebe es selten und dann meist bei Frank Plasberg, Maybrit Illner und Konsorten. So verschenken die Öffentlich-Rechtlichen gleichzeitig eine wichtige Zielgruppe – in Deutschland sind knapp 13 Millionen Menschen armutsgefährdet, wenn man die Definition zugrunde legt, bei der alle mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens in diese Gruppe fallen.

Doch auch der Mittelstand schaut Sozialreportagen à la „Hartz aber herzlich“. Unter diesen Zuschauer:innen befinden sich „Armutsvoyeure, wie ich Menschen nennen möchte, die sich am Elend ihrer Mitbürger ergötzen“, glaubt Politikwissenschaftler und Armutsforscher Christoph Butterwegge. Sie befänden sich in der Mitte der Gesellschaft, seien aber entweder gefährdet, gesellschaftlich abzusteigen, oder beobachteten das Prekariat mit einer Mischung aus Abstiegsangst und Faszination. „Sie wollen ihre Vorurteile bestätigt sehen, dass die Armen arbeitsscheu und faul sind, im Jogginganzug vor dem Fernseher sitzen, dabei massenhaft Chips essen und literweise Bier trinken“, sagt Butterwegge.

Es geht auch anders

So reproduziere sich das Bild vom armen Versager. Dieses Zerrbild müsse dringend gerade gerückt werden, sagt Butterwegge. Das gehe aber nur, wenn von Armut Betroffene in den Medien „nicht als exotische Wesen erscheinen, die in einer anderen Welt leben und in ihrer Wohnung verwahrlosen, sondern als Menschen wie du und ich“.

Das wäre denkbar einfach. Schon vor Jahren veröffentlichte die Wiener Armutskonferenz, ein Zusammenschluss aus österreichischen Hilfsorganisationen, ihren „Leitfaden zur Armutsberichterstattung“. Der liest sich wie das kleine Einmaleins des sensiblen Fernsehjournalisten. Begegne Prot­ago­nis­t:in­nen auf Augenhöhe! Zeige sie aktiv statt passiv! Vermeide Klischee-Bilder wie Kippe im Mund und Bier auf dem Fliesentisch!

Und, ganz wichtig: Prot­ago­nis­t:innen sollen über die Folgen ihrer Aussagen aufgeklärt werden, wenn nötig. Gleichzeitig mahnen die Verfasser:innen zur Sprachkritik. Begriffe wie „die Armen“, „sozial schwach“ oder „arbeitsscheu“ seien zu vermeiden, sie reduzierten Menschen auf ihre Armut oder suggerierten, sie seien selbst schuld. Gleichzeitig solle der Kontext vermittelt werden, in dem Betroffene sich befänden. Schuld an ihrer Lage seien nicht notwendigerweise sie selbst, sondern vor allem strukturelle Probleme. In weiten Teilen lesen sich solche Empfehlungen wie das genaue Kontrastprogramm zu einer Folge „Armes Deutschland“.

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