Argentiniens Zahlungsunfähigkeit: Alle Jahre wieder

Seit 1800 gab es weltweit 227 Staatsinsolvenzen, siebenmal in Deutschland. Meistens geht es für die Beteiligten besser aus als befürchtet.

Da half nicht mal der Staatsbankrott: Hundert-Billionen-Mark-Schein, ein Jahr nach der Pleite von 1923. Bild: dpa

HAMBURG taz | Staatspleiten kommen nie aus heiterem Himmel. Das gilt auch für Argentinien heute: Weltweite Aufmerksamkeit erregte zuletzt die Pfändung des Schulschiffs „Libertad“ der argentinischen Kriegsmarine 2012 im ghanaischen Hafen Tema. Die Maßnahme wurde von dem US-Hedgefonds-Konzern NML Capital betrieben, der jetzt wieder die Regierung von Präsidentin Cristina Kirchner mit einer 1,5-Milliarden-Dollar-Forderung in Aufregung versetzt.

Dabei zeigt ein Blick in die Geschichte, dass Staatspleiten am Ende meistens besser ausgingen als befürchtet. Schließlich hat ein Gläubiger wenig davon, wenn der Schuldner wirklich pleitegeht. So ging es auch Argentinien. Der letzte Bankrott liegt gerade mal 13 Jahre zurück. Damals retteten der Teilverzicht fast aller Gläubiger, auch Abertausender in Deutschland, sowie der plötzliche Nachfrageboom aus China nach Fleisch und Kupfer die Argentinier. Heute ist China deren wichtigster Handelspartner und scheint auch dieses Mal bereit, Buenos Aires aus der Patsche zu helfen. Staatspräsident Xi Jinping kündigte während seines Besuchs nach der WM eine Finanzspritze von 7,5 Milliarden Dollar für den Fußballvizeweltmeister an.

Dabei liegt die Betonung auf „Dollar“ – denn typisch für Staatsschuldenkrisen sind Miese im Ausland und in fremder Währung. Das war in der Eurokrise 2010 in Griechenland, Portugal und Irland so und war im bankrotten Deutschland nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg der Fall. Erst großzügige Schuldenstreichungen und Umschuldungen der Alliierten retten die Weimarer Republik und 1953 die junge Bundesrepublik vor dem Bankrott. An diesen Fällen gemessen, ist Japan heute megapleite: Der öffentliche Schuldenberg ist doppelt so hoch wie in Griechenland. Ohne dass es Probleme gibt, denn die Regierung in Tokio steht fast ausschließlich bei ihren Bürgern in den Schuld. Notfalls lässt sich dann die Notenpresse anwerfen.

Seit Nobelpreisträger Kenneth Rogoff mit Carmen Reinhart einmal alle Staatspleiten zusammengezählt hat, wissen wir: Argentinien ist überall. Auch in Europa. Seit dem Jahr 1800 gab es weltweit 227 Staatsinsolvenzen. Die Niederlande und Italien waren schon zahlungsunfähig, Polen mehrfach, Deutschland und Österreich sogar siebenmal.

Kein reguläres Vorgehen

Doch während in Industrieländern meist Diktatoren und Kriege unbezahlbare Schulden hinterließen, sind es in Entwicklungs- und Schwellenländern oft Fehlinvestitionen auf Pump, ein Verfall der Rohstoffpreise und/oder wilde Finanzspekulationen, die zum Verhängnis werden. So war es in der Schuldenkrise Lateinamerikas in den 80er Jahren, in der Asienkrise 1997/98 und in den Neunzigern in Russland.

Lösungsversuche, etwa für die höchstverschuldeten Länder, laufen mehr oder weniger informell im „Londoner“ oder „Pariser Klub“, wo sich Aberhunderte Banken und Fonds, westliche Regierungen und arme Sünderländer zusammensetzen. Ein reguläres Vorgehen bei Staatspleiten gibt es jedoch nicht.

Seit der Reorganisation der Weltwirtschaft in Bretton Woods wurde eine Vielzahl von Vorschlägen unterbreitet – aber alle scheiterten am Fehlen des politischen Willen. Mit Blick auf Argentinien weist erlassjahr.de auf eine Initiative von 78 prominenten Wissenschaftler(inne)n aus allen Kontinenten hin: Die Regierungen sollen einen verlässlichen und rechtsstaatlichen Mechanismus für Staateninsolvenzen unter einer unabhängigen Institution entwickeln.

Alternativökonom und Attac-Berater Rudolf Hickel ist das zu wenig. Zwar könne ein Schuldenschnitt „hilfreich sein“, und eine solche Möglichkeit würde Hedgefonds schon im Vorfeld „disziplinieren“, sagte er der taz. Aber die drohende Insolvenz eines Staates sollte vor allem „über eine Sanierungsstrategie aufgelöst werden“. Übrigens, Argentiniens Fregatte „Libertad“ fährt wieder auf offener See. Dafür sorgte der Internationale UN-Seegerichtshof in Hamburg mit einem Urteil. Beispielhaft.

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