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Areal Ratiborstraße 14 droht das AusSenat verkauft die Fläche

Eigentlich sollte ein Vorzeigeprojekt für gemischtes Wohnen von Geflüchteten, Anwohner*innen, eine Kita und lokales Handwerk entstehen.

Knifflige Aufgabe auf dem Ratiborgelände: Ob man die Bruchstellen zwischen Nachbar-Ini, Bezirk und Senat wieder reparieren kann? Foto: Wolfgang Borrs

Berlin taz | Frieder Rock wirkt nicht ganz überzeugt, als er die gemeinschaftlich erstellte Machbarkeitsstudie für die zukünftige Entwicklung des Areals an der Ratiborstraße 14 vorstellt. „Die ganze Situation hat sich bereits ein Stück verändert“, erklärt der Handwerker vom Quartierhandwerk vorab am Mittwochabend vor dem Ausschuss für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen im Kreuzberger Rathaus.

Das drei Hektar Große Gelände in Kreuzberg hatte bis vor kurzem gute Aussichten zu einem Vorzeigeprojekt für die Unterbringung von Geflüchteten zu werden. Doch nun kündigte die Senatsverwaltung für Finanzen überraschend an, dass die gesamte Fläche an die Berlinovo Grundstücksentwicklungs GmbH (BGG) gehen soll.

Vor allem Nutzer*innen und Aktivist*innen sehen durch den Verkauf die Zukunft des Modellprojekts gefährdet. „Wir können uns nicht vorstellen, dass eine gemeinwohlorientierte Nutzung mit der BGG funktioniert“, befürchtet Moritz Metz von der Nutzer*innen-Initiative Ratibor 14. Berlinovo sei zwar ein landeseigenes Unternehmen, arbeite aber vor allem profitorientiert. Daher zweifelt Metz daran, dass Berlinovo das Gelände zu langfristig günstigen Konditionen vermieten könne, die für den Erhalt der ansässigen Handwerksbetriebe nötig wären – „wir müssen sehen, dass wir am Ende nicht weggentrifiziert werden“.

Zudem ist die BGG, die das Gelände nach dem Willen der Senatsverwaltung für Finanzen übernehmen soll, bisher ausschließlich für den Bau von Wohnheimen für Geflüchtete und Studierende verantwortlich. Vermietung von Gewerbeflächen und Grünanlagen gehörten bisher nicht dazu. „Dass wirft eine ganze Reihe von Fragen auf“, so Rock, „ob die BGG überhaupt in der Lage ist, so eine Fläche zu verwalten“.

Protest gegen zentrale Unterbringung Geflüchteter

Dabei schien eine Lösung für den fast seit einem Jahr andauernden Streit über die Zukunft der Freifläche greifbar. Anfang vergangenen Jahres schockierte die Ankündigung des Bezirks die Nutzer*innen – vor allem Handwerksbetriebe, aber auch eine Kita und einen Wagenplatz – auf dem Gelände eine Modulare Flüchtlings Unterkunft (MUF) mit 500 Plätzen errichten zu wollen. Kritik kam nicht nur von den Handwerksbetrieben, für die es im gentrifizierten Kreuzberg keine Ausweichflächen mehr gibt, sondern auch von der Nachbarschaft. Nicht, weil die geflüchteten Menschen unerwünscht seien, sondern weil eine zu große MUF mit 500 Plätzen eine Integration in den Kiez unmöglich mache.

Bye-bye, Ratibor?

Staatlicher Immobilien-Fonds Berlinovo wurde im Jahr 2012 gegründet. Vorläufer war die Berliner Immobilien-Holding (BIH). Anders als die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften Berlins wurde der Immobi­liendienstleister 2012 mit dem Ziel gegründet, Geld zu verdienen. Er sollte die Schulden des Berliner Bankenskandals von 2001 abbauen und die daraus übernommenen Fonds managen. Die Berlinovo ist nicht in die Mietenpolitik des Landes eingebunden.

Unterbringung Geflüchteter Modulare Unterkünfte für Flüchtlinge (MUF) sind nach Sonderbaurecht und in Schnellbauweise errichtete Unterkünfte, die vom Senat eigens zur kurzfristigen Unterbringung von Geflüchteten errichtet werden. (jw)

Es folgten Runde Tische und Verhandlungen zwischen der Senatsverwaltung für Integration und Soziales, Bezirk, Nutzer*innen- und Nachbarschaftsinitiativen. Dabei zeichnete sich ein Konsens ab, auf dem Gelände nur die Hälfte der Geflüchteten unterzubringen und für die fehlenden Plätze mehrere Ausweichflächen im Bezirk zu nutzen. Die Handwerksbetriebe sollten bleiben können und gleichzeitig zur Integration der Geflüchteten beitragen. Ergebnis war auch die im Juli in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie. „Bisher schien das alles ganz gut“, so Metz.

Dass die Senatsverwaltung für Finanzen nun das gesamte Gelände im Alleingang an die BGG veräußern will, überrascht auch den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. „Dafür gab es kein Konsens im Senat“, sagte Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) während der Ausschusssitzung und fügte hinzu: „einem kompletten Ankauf durch die Berlinovo werde ich mich entgegenstellen“.

Die am Mittwoche vorgestellte Planung sah verschiedene Varianten vor, wie das bisher bundeseigene Gelände zwischen Land und Bezirk aufzuteilen wäre. Die Senatsverwaltung für Finanzen äußerte dagegen auf taz-Anfrage: „Ziel ist es, zunächst das gesamte Areal zu erwerben, um möglichst kurzfristig dem Bedarf an MUF gerecht zu werden.“ Eine weitere Teilung des Grundstücks sei nicht im Sinne des Prozesses.

Initiative fordert ein Umdenken

Auch die Befürchtungen hinsichtlich einer Verdrängung scheinen nicht ganz unberechtigt: Gemischte Nutzung ist zwar laut Senatsverwaltung durchaus „möglich und gewünscht“, jedoch „unterliegen Kauf und die Entwicklung wirtschaftlichen Kriterien. Mieten müssen grundsätzlich den Kaufpreis rechtfertigen.“

Ein weitere Kritikpunkt bleibt das MUF-Konzept des Senats, dass eine Doppelbelegung von Zimmern vorsieht. Über Jahre hinweg bedeute der fehlende Rückzugsraum eine enorme psychische Belastung für die Geflüchteten, erklärt Franziska Ebeler von der Nachbarschaftsinitiative. Der Wohnungsmarkt ließe keine kurzfristige Unterbringung zu, stattdessen sollte Menschen dort längerfristig unter guten Bedingungen wohnen können. „Wir haben einen Dissens darüber, was menschenwürdiges Wohnen bedeutet“, so Ebeler.

Ihre Initiative fordert ein Umdenken hin zu dezentralen, langfristigen und integrativen Konzepten zur Unterbringung von Geflüchteten. Die Hoffnung bleibt, dass die Ratiborstraße 14 Teil davon wird.

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3 Kommentare

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  • Nach den bisherigen Debatten über die Berliner Wohnungspolitik hier habe ich nicht den Eindruck, dass es sinnvoll wäre, noch mehr Gewerbe dort anzusiedeln, sondern zuerst einmal ausschließlich Wohnraum und das Gewerbe eher stadtnah und gut erreichbar woanders anzusiedeln.

    Aber ich lebe nicht in Berlin und kenne mich nicht mit allen Details dort aus. Letztendlich sollte die Entscheidung bei den Menschen liegen, die dort leben. Und zwar möglichst dicht bei denen.

  • "Berlinovo sei zwar ein landeseigenes Unternehmen, arbeite aber vor allem profitorientiert."

    Was soll diese Unterstellung? Das landeseigene Unternehmen hat zu tun, was das Land ihm sagt!

  • Bei jedem Verkauf von einer Gebietskörperschaft zur nächsten (z.B. Bund an Land) muss der Kaufpreis letztlich von den Nutzer*innen bezahlt werden - es wird also für Land bezahlt, das der Bevölkerung sowieso auch schon vorher gehört hat und über dessen Nutzung demokratisch entschieden werden kann. Was wäre eigentlich, wenn die Bundesrepublik Deutschland in noch mehr Gebietskörperschaften hierarchisch gegliedert wäre? Wäre das nicht ein super Geschäftsmodell für den Staat? Grundstücke werden von einer Gebietskörperschaft zur anderen und wieder zurück weitergereicht und jedesmal werden die Nutzer*innen zur Kasse gebeten? Könnte der Rüstungsetat schön erhöht werden, oder die Subventionen für die Immobilienwirtschaft ...