Wohnraum für Geflüchtete: Für immer im Heim?

Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg fordert vom Senat, statt Flüchtlingsheimen Sozialwohnungen zu bauen. Doch der sieht sich weiter im Krisenmodus.

blick aus einem Fenster auf eine flüchtlingsunterkunft

Eine Modulare Flüchtlingsunterkunft, kurz MUF, hier in Marzahn-Hellersdorf Foto: Imago

Auf den ersten Blick geht es nur um einen Einwohnerantrag auf Bezirksebene – auf den zweiten jedoch um eine Frage für die ganze Stadt: Wo und wie schaffen wir mehr Wohnraum für Geflüchtete und andere Wohnungslose?

Am Mittwochabend hat die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Friedrichshain-Kreuzberg einem EinwohnerInnenantrag zugestimmt, der den Bezirk auffordert, sich das Bauvorhaben für die geplante Modulare Flüchtlingsunterkunft (MUF) in der Kreuzberger Ratiborstraße vom Senat zurückzuholen. Das Land will dort nach dem Sonderbaurecht des Bundes für Flüchtlingsunterkünfte ein Heim für 250 Menschen bauen – die BürgerInnen wollen eine kleinere Lösung, die die Interessen der bisherigen NutzerInnen und Nachbarn, aber auch der neuen Bewohner*innen stärker berücksichtigt. Und sie wollen bei der Planung mitreden.

So weit, so lokal. Darüber hin­aus fordern die EinwohnerInnen und BezirkspolitikerInnen vom Senat aber auch, seine Flüchtlingspolitik „grundsätzlich“ zu ändern: „Statt neuer Gemeinschaftsunterkünfte sollen Sozialwohnungen mit einem festgelegten Kontingent für Flüchtlinge gebaut werden.“

Dass Flüchtlinge vorrangig in Wohnungen untergebracht werden sollen, steht eigentlich auch im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag. Allerdings befindet sich der Senat, seit ab 2015 unerwartet viele Geflüchtete in die Stadt kamen, im Dauerkrisenmodus. Zwar gibt es keine Notunterkünfte in Turnhallen oder Hangars mehr, doch viele Heime – etwa die Containerdörfer – sind nur temporär nutzbar. Andere sollen wegen ihres schlechten Zustands geschlossen werden. Zudem kommen weiter monatlich 500 bis 700 Asylbewerber nach Berlin.

Allerdings sind mittlerweile fast die Hälfte der 19.000 BewohnerInnen von Flüchtlingsheimen sogenannte „Fehlbeleger“: Ihr Asylverfahren ist abgeschlossen, sie könnten eigene Wohnungen mieten – wenn es denn welche gäbe. „Wenn man weiter nur Heime baut statt Wohnungen, verstetigt man damit diese Unterbringungssituation“, sagt Beate Selders von der Nachbarschaftsinitiative Ratibor 14, die den EinwohnerInnenantrag initiiert hat.

Der Senat dagegen sieht sogar einen steigenden Bedarf an Unterkünften, vulgo Heimen. Der „Gesamtunterbringungsbedarf“ werde bis Ende 2021 auf rund 38.000 Menschen steigen, erklärte Staatssekretär Daniel Tietze (Linke) kürzlich in der Antwort auf eine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Bettina Jarasch. Der Grund für diese hohe Zahl: In diese Berechnung sind erstmals nicht nur Geflüchtete, sondern alle Wohnungslosen der Stadt eingeflossen, wie die Sprecherin von Integrationssenatorin Elke Breitenbach (Linke) auf Nachfrage erklärt.

Der Senat setzt auf MUFs

Und die Lösung des Senats lautet: mehr MUFs. Schon die Vorgängerregierung hatte den Bau von 28 dieser Fertighäuser in Schnellbauweise beschlossen, R2G plant weitere 25. Aktuell sind laut Integrationsverwaltung 16 MUF mit 6.095 Plätzen in Betrieb, drei Heime mit 1.163 Plätzen gerade im Bau. Und weil das Sonderbaurecht des Bundes zum Jahresende ausläuft, wurden im Herbst noch schnell Bauanträge für vier weitere MUFs gestellt. Zudem hoffe man, so Breitenbachs Sprecherin, dass das Sonderbaurecht vom Bund verlängert werde.

Kritiker fürchten, dass mit den Billigbauten eine neue Art von „Armenhäusern“ entsteht

Kritikern ist das Sonderbaurecht allerdings ein Dorn im Auge: Zum einen, weil in den danach gebauten Heimen drei Jahre lang ausschließlich Geflüchtete wohnen dürfen, zum zweiten, weil die sonst bei Planungsverfahren übliche BürgerInnenbeteiligung wegfällt.

Für die Zukunft befürchten sie überdies, dass mit den Billigbauten eine neue Art von „Armenhäusern“ entsteht. Denn die MUFs der neueren Generation, etwa in der Ratiborstraße, werden zwar bereits als Wohnungen gebaut – weil sie ja später, wie der Senat betont, auch anderen bedürftigen Bevölkerungsgruppen zur Verfügung stehen sollen. Sie werden zunächst aber als Heime verwaltet.

Das bedeutet: Die Zimmer werden doppelt belegt, es ­gelten Heimordnungen und strenge Besucherregelungen, die BewohnerInnen können vom LAF jederzeit verlegt werden. Auch das kritisiert Beate Selders von der Ratibor-Initiative: „So kann Integration nicht funktionieren.“

Georg Classen vom Flüchtlingsrat beobachtet ebenfalls „mit Sorge, wie sich der rot-rot-grüne Senat auf den Ausbau der Sammelunterkünfte konzentriert.“ R2G müsse endlich für alle wohnungslosen Geflüchteten den Wohnberechtigungsschein und damit den Zugang zu Sozialwohnungen und zu landeseigenen Wohnungen in gleicher Weise wie für Deutsche ermöglichen, fordert er. „Der Senat müsste zudem in den Stadtteilen Spezialberatungsangebote für wohnungssuchende Geflüchtete schaffen und nicht nur für Geflüchtete, sondern für alle BerlinerInnen sehr viel mehr Sozialwohnungen bauen lassen.“

Genau daran hapert es: Die Gesamtzahl der 2019/20 geförderten mietpreis- und belegungsgebundenen Wohnungen beläuft sich laut Senatsverwaltung für Stadtentwicklung auf gerade einmal 8.500 – als Ziel. Und weil es nicht genügend bezahlbaren Wohnraum gibt, so die Integrationsverwaltung, brauche man eben weiterhin die MUFs.

So ganz überzeugt das auch Bettina Jarasch von den Grünen nicht: „Die Zeit der Notlösungen ist vorbei“, sagt sie. Das Sonderbaurecht verhindere gemischtes Wohnen von Geflüchteten und Nichtgeflüchteten, was deren Ankommen erschwere. Das Beispiel Ratiborstraße zeige, dass es auch anders gehen könnte: Bezirksbaustadtrat Florian Schmidt (Grüne) hat dem Senat inzwischen sieben Standorte für gemischte Wohnprojekte angeboten. Jarasch hofft, dass das Folgen hat: „Wenn ein Bezirk mehrere Standorte für kleinere Unterkünfte anbietet, erwarte ich Offenheit dafür vom Senat, denn wir planen hier für die nächsten Jahrzehnte.“

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