: Männer als Mangelware
LEHRERNACHWUCHS An einer Hamburger Grundschule arbeiten fast ebenso viele männliche wie weibliche Lehrkräfte. Das ist höchst selten. Die Hochschulen im Norden kämpfen seit Jahren gegen diese Schieflage
VON BIRK GRÜLING
Die Carl-Cohn-Schule in Hamburg ist eine Grundschule wie viele andere – ein Schulhof mit Klettergerüsten, Klassenzimmer mit bunten Plakaten an den Wänden und Garderoben voll mit Jacken auf den Fluren. Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied. Das Kollegium besteht aus zehn männlichen Lehrern und fast genauso vielen Lehrerinnen. Das ist eine absolute Seltenheit: Der durchschnittliche Männeranteil an deutschen Grundschulen liegt bei gerade einmal 14 Prozent.
Verantwortlich für die ausgeglichene Quote an diesem Hamburger Beispiel ist Schulleiter Frank Beuster. Als er vor vier Jahren an die Grundschule kam, war das Kollegium noch deutlich weiblicher. „Wir waren damals zwei Männer an der Schule. Deshalb habe ich gezielt Lehrer eingestellt“, sagt er. Das Schulklima habe sich durch mehr Heterogenität noch verbessert.
Das bestätigen auch die Kolleginnen. Dem Hamburger Vorbild würden sicher gern mehr Grundschulen im Norden folgen, doch es gibt ein entscheidendes Problem. An eine berufliche Zukunft in der Grundschule denken nur wenige männliche Schulabgänger. An den Hochschulen im Norden liegt die Studentinnenquote in diesen Lehramtsfächern bei weit über 80 Prozent.
Mögliche Gründe dafür gibt es viele. Die Karrierechancen an den Grundschulen sind begrenzt, auch Schulleiterposten sind eher undankbar. Und im Vergleich zu ihren Kollegen aus den Gymnasien sind Grundschullehrer schlechter bezahlt – in manchen Bundesländern liegt der monatliche Verdienstunterschied bei fast 400 Euro.
Bei vielen Männern gilt der Unterricht an den Grundschulen außerdem als fachlich eher anspruchslos und der Umgang mit den Kindern als zu schwierig. „Diese Vorstellungen sind falsch. Tatsächlich ist die Arbeit in der Grundschule pädagogisch und inhaltlich anspruchsvoll und der Umgang mit den Kindern eine sehr befriedigende Aufgabe“, sagt Hannelore Faulstich-Wieland.
Die Bildungsforscherin der Universität Hamburg geht davon aus, dass es einige junge Männer gibt, die sich nicht für das Lehramt entscheiden, weil sie falsche Vorstellungen von der Arbeit in der Grundschule haben.
Dagegen will man an der Uni Hamburg etwas tun und entwickelt gerade ein Programm zur Werbung von mehr männlichen Lehramtsstudenten. Eine Idee sind dabei Praktika schon während der Schulzeit. So bekommen Interessierte früh Einblicke in den Lehreralltag. Im Moment laufen erste Gespräche mit Gymnasien und Grundschulen.
Andere Bundesländer sind da schon weiter. In den letzten Jahren entstanden zahlreiche vergleichbare Werbeprogramme an norddeutschen Hochschulen. An der Universität Hildesheim zeigen Lehramtsstudenten interessierten Abiturienten den Grundschulalltag und werben aktiv auf Hochschulmessen. Die Oberstufenschüler bekommen sogar die Chance, eigene Unterrichtsstunden zu entwickeln.
Aus Bremen kommt das Projekt „Rent a teacherman“. Dabei unterrichten Studenten an Grundschulen oder begleiten Klassenfahrten, um Erfahrungen zu sammeln und dort den männlichen Anteil zu erhöhen. Doch ob die aufwendigen Werbungsprogramme wirklich für mehr männliche Grundschullehrer sorgen, darüber ist bisher nur wenig bekannt.
In Hildesheim, dem Pionier in Sachen Grundschullehrer-Werbung, hat sich die Quote der männlichen Erstsemester im Lehramt für Grundschulen immerhin von zehn auf fast 15 Prozent erhöht. Ob es an der Werbung liegt, ist nicht ganz klar. An der Uni Bremen gibt es noch keine Zahlen, man ist aber mit der Resonanz der beteiligten Studenten und Grundschulen sehr zufrieden.
Doch die Vielzahl der Projekte ist immerhin ein Indiz für den Paradigmenwechsel in den Grundschulen. Lange war die Primarstufe als Frauendomäne gesellschaftlich akzeptiert. Erst die Bildungsdebatten der 2000er holten den Männermangel auf die Agenda. Eine zentrale Frage dabei: Wirkt sich das Fehlen von männlichen Lehrern auf die schulische Bildung und Sozialisierung der Kinder aus? Zeitweise stand dabei eine schulische Benachteiligung von Jungen durch zu viele Lehrerinnen im Raum. Eine steile These, die nie wissenschaftlich nachgewiesen wurde, aber zum Glück aus den Debatten auch fast verschwunden ist.
Die Argumente für mehr Männer sind andere. So braucht es für eine immer heterogenere Schülerschaft in den Grundschulen möglichst viele verschiedene Bezugspersonen. Faulstich-Wieland sieht auch noch eine ganz andere Notwendigkeit. „Es geht weniger um Benachteiligung als um eine Verfestigung von Klischees“, sagt sie. Mehr männliche Grundschullehrer könnten helfen, die alten Rollenbilder aufzubrechen, nach denen hauptsächlich Frauen für die Erziehung und die Kinderbetreuung zuständig sind.
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