: Die Suche nach dem großen Geld
2001: Die Sozialpädagogin Rose Volz-Schmidt gründet einen Vorläufer der heutigen Firma wellcome. Ihre persönliche Erfahrung: Nach der Geburt ihrer Zwillinge hätte sie dringend Hilfe gebraucht, aber woher? Die Krankenkasse wollte ihr keine Haushaltshilfe finanzieren. Wellcome unterstützt Eltern direkt nach der Geburt ihrer Kinder. Gesellschafter der gemeinnützigen GmbH ist der evangelische Kirchenkreis Hamburg-Niendorf.
2007: Volz-Schmidt wird ausgezeichnet als „Sozialentrepreneurin des Jahres“. Soll heißen: Ihre Firma befriedigt ein neues soziales Bedürfnis – und sie verdient Geld damit. Das macht Bundeskanzlerin Angela Merkel hellhörig. Sie übernimmt die Schirmherrschaft für das Unternehmen.
2008: Im Januar reist Volz-Schmidt zum World Economic Forum (WEF) in den Schweizer Skiort Davos, um Kooperationspartner in der Wirtschaft zu finden. Sozial und Kapital sind kein Widerspruch, meint Volz-Schmidt. FOTO: OLAF BALLNUS
VON HANNES KOCH
Im Entrée wird Champagner gereicht. Die Gäste kennen sich vom altsprachlichen Gymnasium, aus dem Golfklub oder den Aufsichtsräten der großen Unternehmen. Bussi hier, Bussi da, „Wie schön, dass wir uns sehen! … Nimmst du Sonntag am Burda-Skirennen teil? …“ Die Begrüßungen fliegen hin und her. Rose Volz-Schmidt steht daneben. Zum Glück gibt es Tischkarten, man wird platziert. Ihr gegenüber sitzt ein weißhaariger Herr, Mitte 60, drahtig. Er stellt sich vor als Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft und fragt, was Volz-Schmidt denn in den noblen Schweizer Skiort Davos treibe.
Eine gute Frage, in der Welt des großen Geldes war Rose Volz-Schmidt bisher nicht zu Hause. Die 52-jährige Sozialpädagogin mit der Kurzhaarfrisur und dem dunkelblauen Angela-Merkel-Kostüm leitet eine gemeinnützige Firma. Ihr Arbeitgeber ist der evangelische Kirchenkreis Hamburg-Niendorf. Volz-Schmidts wellcome Gmbh schickt ehrenamtliche Helferinnen, meist erfahrene Mütter, zu Eltern, die nach der Geburt ihres Kindes überfordert sind. Eigentlich keine große Sache: Es geht um kleine Unterstützungen – Einkaufen, ein bisschen Spielen mit dem älteren Geschwisterkind, der jungen Mutter das Neugeborene abnehmen, damit sie mal verschnaufen kann, Zuhören und Ratgeben. „Selbst zwei Stunden pro Woche machen einen großen Unterschied“, sagt Volz-Schmidt. Die Idee von wellcome ist es, folgenschwere familiäre Krisen durch minimale Hilfe gar nicht erst entstehen zu lassen. Um ärmere Familien nicht auszuschließen, kostet eine Stunde Hilfe nur vier Euro.
Ein kleines, einfaches und doch erstaunliches Modell, finden auch die Vertreter des großen Geldes. Die Unternehmensberatung Boston Consulting Group, das Wirtschaftsmagazin Capital und die Schwab-Stiftung haben Volz-Schmidt unlängst als „Social Entrepreneur 2007“ gekürt. Klaus Schwab ist der Chef des World Economic Forum (WEF), das jedes Jahr in Davos stattfindet. Dem WEF gehören die 1.000 größten Konzerne der Welt an. Deren Geschäft rechnet sich nicht mehr nach Milliarden Euro, sondern nach Billionen.
So packt Volz-Schmidt Ende Januar ihre Winterschuhe ein und reist zum WEF in die Schweiz. Auf Einladung der Schwab-Stiftung wohnt sie dort 300 Meter oberhalb von Davos mit wunderbarem Blick auf die verschneiten Gipfel im Berghotel „Schatzalp“, das Thomas Mann im „Zauberberg“ beschreibt. Unten im Tal kann man Großbritanniens Expremier Tony Blair und US-Außenministerin Condoleezza Rice begegnen. Beim Empfang im Hotel Steigenberger-Belvedere hat Volz-Schmidt Gelegenheit, sich einen persönlichen Eindruck von Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, Porsche-Mitinhaber Ferdinand Piëch und diversen anderen Unternehmenslenkern zu verschaffen.
In dieser Welt erzählt Rose Volz-Schmidt von Hamburg-Niendorf von überforderten Müttern und von ihrer Geschäftsidee, ein wenig Zeit zu verkaufen. Doch diese Schilderungen stellen den drahtigen Aufsichtsrat, ihren Tischherrn in Davos, nicht zufrieden. Braucht man das, was wellcome tut? Existieren nicht genug Krabbelgruppen, Kitas, Tagesmütter, Großeltern, Freunde, Nachbarn? Volz-Schmidt argumentiert: Theoretisch ja, praktisch nein. Sie erzählt von der Chefarztgattin, Mutter von vier Kindern, die am Telefon weinend um Hilfe gebeten habe. Und von der Frau eines Managers, dessen Ehefrau wellcome ebenfalls in Anspruch nehme. „Wieso braucht eine Managerfamilie einen Sozialdienst?“, ereifert sich der Weißhaarige.
Volz-Schmidt reagiert mild. Ihr Ton ist warm, der Akzent ihrer Schwarzwälder Heimat weich. wellcome biete „punktuelle Hilfe, zugeschnitten auf die ganz individuelle Situation“, sagt sie. Diese kleine Form der Unterstützung sei im deutschen Sozialsystem sonst nicht vorgesehen – Tagesmütter beispielsweise würden nicht ein paar Stunden wöchentlich ins Haus kommen, sondern die Kinder halbe oder ganze Tage betreuen wollen. „Für unseren Nachwuchs haben wir früher eine Zugehfrau eingestellt“, setzt der Aufsichtsrat nach: „Wieso sponsern Sie Wohlhabende, indem Sie nur vier Euro pro Stunde verlangen?“ In solchen Fällen lege man den Kunden nahe, großzügig zu spenden, was auch funktioniere, antwortet Volz-Schmidt. Und weist daraufhin: „Die Unternehmensberatung McKinsey hat mich beraten.“ Ein schweres Geschütz, das Businessfrau Volz-Schmidt gezielt abfeuert. Der Treffer wirkt, der Weißhaarige ist erkennbar beeindruckt.
Es ist diese Mischung aus sozialem Anspruch, ökonomischer Kreativität und Durchsetzungskraft, die Volz-Schmidt nach Ansicht von Boston Consulting, Schwab-Stiftung und Capital unter 40 Mitbewerbern des Wettbewerbs „Social Entrepreneur 2007“ heraushob. In einem langen Porträt lobt die Zeitschrift die Sozialpädagogin als „Helferin mit Managementqualitäten“. Der Beweis: In Volz-Schmidt Acht-Quadratmeter-Büro im Haus der Kirche von Hamburg-Niendorf hängt eine Deutschlandkarte. „Wir machen es wie die Konzerne“, sagt sie mit Selbstironie, „wir expandieren“. Oben, wo Hamburg und Schleswig-Holstein liegen, stecken sehr viele grüne Fähnchen auf der Karte. Die dortigen wellcome-Ableger arbeiten bereits. Weiter nach Süden überwiegen die gelben Fähnchen (Gründung) und die roten Markierungen (Vorgespräche). 60 wellcome-Dependancen, die nach dem Franchise-Modell, einer Art Lizenzkonzept, funktionieren, gibt es bundesweit schon. Ende 2008 sollen es 100 sein.
Bei dieser Ausdehnung könnte ihr Davos helfen. Denn die Einladung der Stiftung beinhaltet das Versprechen des Zugangs zu reichen Menschen. Volz-Schmidt, die als Geschäftsführerin einer Kircheneinrichtung selbst etwa 2.000 Euro netto verdient, sagt: „Gerne nehme ich das große Geld.“ Das muss sie auch. Die Honorare, die die Ehrenamtlichen erwirtschaften, decken höchstens 30 Prozent des gegenwärtig etwa 500.000 Euro betragenden Umsatzes von wellcome ab. Der größere Teil sind Spenden und öffentliche Zuwendungen.
Die Schwab-Stiftung stellt Kontakte zu sogenannten Providern her. Das sind Leute, die Anlagemöglichkeiten für große Summen auskundschaften – zum Beispiel eine Mitarbeiterin der Schweizer Bank Credit Suisse. Denn nicht nur Volz-Schmidt sucht Zugang. Andersherum ist es ähnlich. Viele Kunden von Credit Suisse haben in ihrem Leben alles erreicht. Nun soll ihr Geld noch etwas Sinnvolles leisten. Indem Unternehmen und reiche Privatleute an Firmen wie wellcome spenden, kaufen sie Sozialaktien, Anteile am Guten, eine gewisse Menge Reputation.
Damit dieser alte Zusammenhang modern kommunizierbar wird, müssen auch neue Worte her. Deshalb der Begriff „Sozialentrepreneur“. Er soll sagen: Leute wie Rose Volz-Schmidt helfen nicht nur anderen Menschen, sondern haben damit gleichzeitig ökonomischen Erfolg.
Freilich wird so auch Ideologie transportiert. Angeblich existieren zwei Arten von Sozialarbeit: dort eine alte, lahme und staatsfixierte, hier eine neue, effektive und marktgerechte. „Ich hasse diese Alternativen“, sagt Volz-Schmidt, „ich will keine Gegenwelt zum Sozialstaat aufbauen.“ Ende der 1970er-Jahre begann sie Sozialpädagogik zu studieren, um die Welt zu verbessern. „Ich hätte auch was anderes machen können mit meinem Abitur.“ Heute gehen ihr die schwerfälligen Jugend- und Sozialämter zwar oft auf die Nerven, aber insgesamt will sie die deutsche Sozialbürokratie verändern, nicht abschaffen. Das unterscheidet sie von den liberalen Heißspornen in Stiftungen und Unternehmensberatungen.
Wird aber das Gute schlecht, wenn es sich auf die Logik des großen Geldes einlässt? Jedenfalls schwebt es in Gefahr. Das weiß Volz-Schmidt spätestens seit ihren Verhandlungen mit einem Pharmakonzern. Einmal im Monat besuchen die Vertreter des Unternehmens jeden Kinderarzt, um Medikamente zu verkaufen. Künftig werden sie dabei Infobroschüren auslegen, die für wellcome werben. Umgekehrt darf sich der Pharmakonzern mit dem Image der Sozialfirma schmücken.
Deswegen hängt der gute Ruf von wellcome fortan auch vom Wohlverhalten des Pharmariesen ab. Das kann gutgehen, muss aber nicht. Bayer beispielsweise erlitt ein Imagedesaster, weil sein Cholesterinmedikament Lipoby für zahlreiche Todesfälle verantwortlich gemacht wurde. Bei wellcome diskutierte man heftig hin und her: Was ist der Nutzen der Kooperation, welcher Schaden kann auftreten? Volz-Schmidt fragt: „Soll ich die Edelfrau mimen?“ Und sie antwortet: „Nein, die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft muss möglich sein. Es kommt es auf das jeweilige Unternehmen an.“
Seit dem 17. Dezember 2007, einem Montagnachmittag, weiß Rose Volz-Schmidt, wie Angela Merkels Büro im siebten Stock des Bundeskanzleramts von innen aussieht. Die Kanzlerin hatte sie nach Berlin eingeladen. Es sind die Tage der öffentlichen Debatte über Kindesmisshandlungen und die Hilflosigkeit der Ämter.
Das Gespräch dauert 30 Minuten, dann nimmt Merkel ihren Gast mit zur Pressekonferenz. Ob die Kanzlerin dafür eintrete, die Rechte der Kinder in der Verfassung zu verankern, will ein Journalist wissen. Auf diese Frage ist Merkel bestens vorbereitet. „Das sei nicht notwendig“, antwortet die Kanzlerin, stattdessen brauche das Land „eine Kultur des Hinschauens“, wie sie etwa von wellcome praktiziert werde. Deshalb werde sie, erklärt Merkel, die Schirmherrschaft über die Firma übernehmen. „Ein Kabinettstückchen“, sagt Volz-Schmidt.
Für ihre politische Aussage zur rechten Zeit hat Merkel sich die Glaubwürdigkeit von wellcome geliehen. Umgekehrt hofft aber auch Rose Volz-Schmidt auf einen Vorteil: Sie wird versuchen, das Image ihrer Schirmherrin zu Geld machen.
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