: Deutscher Tabubruch
Bei einem Besuch in Srebrenica fordern deutsche Abgeordnete, das Dayton-Abkommen zu revidieren
SREBRENICA taz ■ Die Verfassung von Bosnien und Herzegowina, die auf dem Dayton-Friedensabkommen von 1995 basiert, sei undemokratisch und müsse verändert werden. Dies ist die Aussage einer Gruppe deutscher Parlamentarier unter Führung des FDP-Abgeordneten Rainer Stinner, die sich zu einem Besuch in der bosnischen Stadt Srebrenica aufhielt. Hier waren 1995 über 8.000 Menschen einem Genozid zum Opfer gefallen. „Das Abkommen von Dayton ist meiner Überzeugung nach nicht mit den Menschenrechten vereinbar und deshalb nicht mehr tragbar“, erklärte auch der CDU-Abgeordnete Michael Brand anlässlich einer Konferenz über das „Recht auf Zukunft“ in einer Stadt, die immer noch von Krieg und Vertreibung gezeichnet ist. Diese ungewöhnlich prägnante Position zur Lage in Bosnien und Herzegowina teilten der SPD-Abgeordnete Josip Juratovic sowie die Grünen-Abgeordnete Marieluise Beck, die wegen ihres humanitären Engagements während des Krieges 1992–95 von der Stadt Lukavac zur Ehrenbürgerin ernannt worden war. Damit haben Abgeordneten aus vier der im Bundestag vertretenen Parteien ein seit Jahren bestehendes Tabu innerhalb der internationalen Gemeinschaft gebrochen. Denn das Abkommen von Dayton und die damit einhergehende Teilung Bosniens und der Herzegowina in zwei ethnisch definierte Teilstaaten (Entitäten) stellt die Grundlage des Wirkens der Institutionen der internationalen Gemeinschaft dar.
Eingeladen zu dem Gespräch über das „Recht auf Zukunft“ hatten die deutschen Stiftungen Konrad Adenauer, Heinrich Böll und Friedrich Naumann im „Haus des Vertrauens“ in Srebrenica, das von der Arbeiterwohlfahrt aufgebaut wurde. An dem Gespräch nahmen auch Vertreterinnen der „Mütter von Srebrenica“, örtliche Honoratioren wie der Bürgermeister und der muslimische Imam, ein Vertreter der serbischen Bevölkerung sowie einige Hilfsorganisationen teil wie die Vertreterin der in Srebrenica sehr aktiven „Gesellschaft für bedrohte Völker“, Fadila Memisevic. ERICH RATHFELDER
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