piwik no script img

McCain verpasst Chance zum Aufholen

Auch nach der zweiten Fernsehdebatte zwischen John McCain und Barack Obama kann der demokratische Kandidat seine Führung in den Umfragen ausbauen. Vor allem bei Wirtschafts- und Finanzpolitik trauen die US-Amerikaner Obama mehr zu

AUS WASHINGTON ADRIENNE WOLTERSDORF

Auch nach der zweiten Fernsehdebatte zwischen Barack Obama und seinem republikanischen Konkurrenten John McCain ist der Trend ungebrochen: Obama baut seinen Vorsprung weiter aus. Bei der als „Bürgerforum“ ausgerichteten Debatte am späten Dienstagabend in Nashville (Tennessee) saßen Obama und McCain auf Barhockern in der Mitte einer kleinen Arena, um sie herum einige Zuschauertribünen, von denen aus handverlesene Wähler ihre Fragen stellen durften.

Obgleich seit dem Wochenende die „heiße Phase“ des Wahlkampfgetöses mit gegenseitigen Attacken in Funk und Fernsehen begonnen hat, blieb der Luftraum zwischen den beiden debattierenden Konkurrenten merkwürdig leer. Beide sprachen stets zum Publikum statt zu ihrem Gegner – und vermieden direkte Vorwürfe.

Kurz zuvor hatte die republikanische Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin Obama Kontakte zu Terroristen vorgeworfen. Sie sprach damit Obamas Kontakte zu einem ehemals führenden Mitglied des „Weather Underground“ an, einer zu Zeiten des Vietnamkriegs Anschläge ausführenden Protestgruppe. Obama bezichtigte das McCain-Lager der Lüge und warf seinem Gegner vor, eine Schmierenkampagne zu organisieren, anstatt sich um die Finanzkrise zu kümmern.

Die Wirtschaft war es dann auch wieder einmal, die den 72-jährigen McCain neben seinem 47-jährigen Konkurrenten in der ersten Hälfte der 90-minütigen Debatte blass aussehen ließ. Obama sprach von der „schwersten Finanzkrise seit der Weltwirtschaftkrise“ und erklärte: „Dies ist das endgültige Urteil über die gescheiterte Wirtschaftspolitik der vergangenen acht Jahre.“ Die Regierung habe unter Präsident George W. Bush weitgehend auf Eingriffe im Finanzsektor verzichtet und sei davon ausgegangen, dass „der Wohlstand auf uns alle herabregnen wird. Das ist nicht passiert“, sagte Obama.

McCain versuchte in der Wirtschaftsfrage zu punkten, indem er erneut die Steuerpolitik seines Rivalen angriff – statt selbst überzeugend zu erklären, was er zu tun gedenke. Der Senator aus Arizona schlug überraschend ein zusätzliches, 300 Milliarden US-Dollar teures Paket zum Aufkauf von von Zwangsvollstreckung bedrohten Wohnhäusern vor, ohne zu sagen, woher das Geld kommen solle – und wie das auf die Staatsverschuldung wirken werde.

Die schwierige Wirtschaftslage mache eine Kürzung von Sozialleistungen notwendig, erklärte McCain. Beide Kandidaten waren sich darin einig, dass das Sozial- und Gesundheitssystem reformiert werden müsse. Auf Fragen, wen sie im Fall eines Wahlsiegs als Finanzminister berufen würden, erwähnten beide den Milliardär Warren Buffett als Kandidaten, lehnten aber eine Festlegung ab.

Insgesamt brachte die Diskussion rund vier Wochen vor der Präsidentenwahl keine Wende. Laut Blitzumfragen mehrerer US-TV-Sender schnitt Obama auch bei der zweiten TV-Debatte besser ab. In einer CNN-Auswertung stimmten 54 zu 36 Prozent der Befragten für Obama als Debattensieger. Vor allem bei wirtschaftspolitischen Fragen habe Obama deutlich mehr Zustimmung erhalten, so der Sender kurz nach dem Ende der Debatte. Bei den Themen Außen- und Sicherheitspolitik hätten beide Politiker jedoch gleich gut abgeschnitten.

Im Durchschnitt der Meinungsumfragen führt Obama seit Ausbruch der Finanzkrise vor knapp drei Wochen deutlich. Gegenwärtig liegt er landesweit mit 49 zu 44 Prozentpunkten vor John McCain und auch in den wichtigen umkämpften Staaten wie Florida, Ohio und Pennsylvania klar in Führung. Verantwortlich für diesen Bodenverlust des McCains sei seine wirre Lösungsstrategie für die Finanzkrise, so Wahlbeobachter. Sie hatten das TV-Duell daher als eine der möglicherweise letzten Chancen McCains gesehen, den Abwärtstrend zu stoppen. Es scheint, als habe der Senator sie verpasst.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen