Unter Weibern

Schon in den ersten drei Tagen hatte es mir die Brustwarzen blutig gesaugt, und selbst die routinierten Kinderschwestern mussten sich anstrengen, um dieses Baby niedlich zu finden. Das sah ich genau an ihren verspannten Gesichtern … Eine Erzählung

von SUSANNE FISCHER

Mein Unterleib war Gulasch, und ich schwitzte wie ein überforderter Oberkellner, obwohl der Oktober schon weit fortgeschritten war. Der Regen mischte sich auf meinem Gesicht mit den Schweißtropfen und den Tränen, die ich nicht zugeben wollte. An meinem Arm hing zentnerschwer ein Babytragesitz mit niedlichen blauen Teddys auf dem Bezug. Die konnte man aber nicht sehen, weil ein rotgesichtiges, unzufriedenes Wesen darauf lag, das unmöglich so schwer sei konnte, wie es sich anfühlte. Aber allein sein Kopf wog schon so viel, dass es ihn nicht allein tragen konnte. Das sollte ich von nun an übernehmen.

Das Wesen guckte wie ein müder alter Frosch. Einen Namen hatte es noch nicht, weil „müder alter Frosch“ in Deutschland kein zugelassener Mädchenname ist, und ein besserer fiel mir nicht ein. Zwei Wochen lassen sie einem Zeit, mit der Ungeheuerlichkeit fertig zu werden, einem gierigen Rieseninsekt einen Namen wie Nicole oder Annalena verpassen zu sollen. Oder waren es vier Wochen? Für jemanden, der Tag und Nacht nicht mehr auseinander halten kann, ist das ziemlich gleichgültig.

Vor mir stöckelte meine Mutter. Ungefähr zweihundert Meter vor mir, damit niemand sie mit uns in Verbindung bringen konnte. Einen eleganten Mantel über dem Arm, perfekt geschminkt und unwirklich frisch aussehend. Man hätte mich für ihre Mutter halten können, oder für ihre Magd mit Reisetasche und Babysitz und Extratüten und Warenproben für die Froschpflege, von denen ich zwar schon einen großen Teil im Krankenhaus weggeschmissen hatte, aber selbst der Rest nahm noch zwei große Plastikbeutel ein. Meine Mutter blieb unauffällig stehen und strich sich den perfekt gebügelten Kostümrock glatt. Annika, kommst du endlich? flüsterte sie zischend.

Annika! Das war vor der Nicole-Zeit so ziemlich das Hochgestochenste, was man sich ausdenken konnte. Recht geschah ihr, dass ich hinter ihr herschlurfte, pissgelb und kackbraun kariert die Hose, darüber ein schlabbriges blutfarbenes Mickymaus-Sweatshirt. Um mich zu demütigen, hatte meine Mutter mir einen Lederrock mit in die Klinik gebracht, der mir schon vor der Schwangerschaft nicht mehr passte, und den ich „zum Abholen“ anziehen sollte.

Das dicke, saugende Insekt war zwar aus meinem Körper heraus, aber drinnen musste noch irgendetwas anderes sein, schwer und umfangreich, ein großer Eimer Hass möglicherweise. Mein Leib war genau so klumpenhaft wie vor der Geburt. Der einzige Unterschied war, dass er mir jetzt mehr weh tat. Am allermeisten schmerzte die Strecke, die die Ärztin bewundernd „ihre beste Naht“ genannt hatte und auf der man mühelos einen Marathonlauf veranstalten konnte. Gerade als sie es sagte, pinkelte ich ihr auf den Untersuchungsstuhl. Sie hatten vergessen, meine Blase mit zuzunähen, und ich würde nie wieder richtig pinkeln können, sondern in einem fort auslaufen. Ja, meine Dammnaht reichte bis zum Hals. Ich war ein Fall für das Guinnessbuch der Rekorde. Leider würdigte das niemand, am wenigsten die greinende Trinkmaschine im Teddykörbchen.

Auch auf dem Bauch hatte mein Baby einen rosa Teddy appliziert, ein Niedlichkeitszeichen, das über seine angeborene Fiesheit hinwegtäuschen sollte. Hätte es schon Zähne gehabt, es hätte jeden gebissen. Es brüllte und brüllte, bis es nur noch wie ein müder alter Frosch aussehen konnte. Danach schlief es für kurze Zeit erschöpft ein, um mit neuer Kraft loszulegen. Es war auf die Welt gekommen, um darin herumzuschreien. Das war die einzige Eigenschaft, die es von einem saugenden Insekt unterschied. Schon in den ersten drei Tagen hatte es mir die Brustwarzen blutig gesaugt, und selbst die routinierten Kinderschwestern mussten sich anstrengen, um dieses Baby niedlich zu finden. Das sah ich genau an ihren verspannten Gesichtern. Wenn es mir zu viel wurde, schob ich nämlich das Baby ins Babyzimmer und ging in den Teil des Krankenhausgartens, in dem man mich nicht finden konnte. Dort rauchte ich im Stehen eine Zigarette und heulte so lange, bis ich auch aussah wie ein müder alter Frosch.

Dann schleppte ich mich zurück in mein Zimmer und machte die demütigenden Verrenkungen, die nötig waren, bis ich auf einer Art Schwimmring saß. Ohne Schwimmring konnte ich überhaupt nicht mehr sitzen, und ich konnte mir auch nicht vorstellen, je wieder sitzen zu können. Der Gedanke an Sex trieb den Schmerz aus meinem Unterleib in einer heißen Welle bis zum Hals. Nie wieder wollte ich Sex. Es war unmöglich mit diesem umgepflügten, geschwollenen, geflickten Unterleib. Es würde nie wieder gut werden.

Nie zuvor wollte ich so viel Sex wie in der Schwangerschaft. Es war unglaublich, und ich schämte mich beinahe vor dem Baby. Da wusste ich ja noch nicht, was für ein fieses Ding aus mir herausglitschen würde, ein Klumpen verschmiertes Fleisch, vor dem man sich überhaupt nicht schämen muss. Es sollte sich selbst schämen, so auf die Welt zu kommen! Das tat es aber nicht und tut es bis heute nicht.

Paul wollte keinen Sex mit einer Schwangeren. Nur am Anfang, als man es am Bauch noch nicht sah. Da fand er meinen Riesenbusen geil. Meinen Riesenhintern mochte er dann nicht so gern. Irgendwann schmiss er mich raus und meinte, das Baby sei wahrscheinlich sowieso nicht von ihm. Ich sagte, ja, das glaube ich auch, Gott sei Dank ist es nicht von dir. Von so einem Heini will ich gar kein Kind haben, der sich wegen meinem Hintern so anstellt. Aber vor der Tür musste ich dann eine Zigarette rauchen und so lange weinen, bis ich grau aussah. Ich hätte in der Mauer verschwinden können, ohne aufzufallen. Ich wäre sogar gern darin verschwunden, dann hätte ich nicht zu meiner Mutter zurück gehen müssen und zu Tante Melanie.

Mit allem hätte ich meiner Mutter kommen können, aber nicht damit, das wusste ich genau. Meine eigene Geburt hatte ihr das Leben total versaut, und wenn sie etwas nicht werden wollte, dann Oma. Meine Mutter lebte in dem Wahn, noch voll dabei zu sein mit ihren fünfundvierzig Jahren. Mit Paul hatte sie so oft geflirtet, dass ich ihr am liebsten eine gescheuert hätte. Eigentlich flirtet sie mit jedem, weil mein Vater abgehauen ist. Das war zwar schon vor meiner Geburt, aber ich war trotzdem schuld daran, wie man sich ja denken kann. Vielleicht hätte ich meiner Mutter einmal im Leben eine scheuern sollen, der lackierten Ziege. Am liebsten würde ich mir selbst eine scheuern, weil ich so bescheuert war, mir von dem bescheuerten Paul ein Kind machen zu lassen. Es ist natürlich nämlich doch von Paul, mit einem anderen hatte ich nie was. Ich hatte nur so getan, um erfahrener zu wirken und nicht wie eine Jungfrau. Männer mögen keine Jungfrauen, das hatte ich oft in Zeitschriften gelesen. Außer denen, die Jungfrauen sammeln wie Jäger Hirschgeweihe, aber die hauen dann gleich wieder ab, und das wollte ich auch nicht. Obwohl Paul dann ja auch gleich wieder abgehauen ist. Pauls Mutter ist Lehrerin, und sein Vater macht in München irgendwas mit Immobilien. Die Mutter konnte mich nicht leiden, und den Vater habe ich sowieso nie kennen gelernt, nur seinen BMW, den er Paul mal geliehen hatte. Den BMW habe ich sogar ziemlich gut kennen gelernt, an dem Abend, an dem ich auch Paul kennen lernte.

Tante Melanie ist ganz anders als meine Mutter, aber deswegen noch lange nicht leichter zu ertragen. Dutzidutzidutzi! rief sie, als wir mit dem schreienden Baby ankamen, wie heißt denn meine kleine Süße? Frosch, sagte ich, und: Lasst mich bloß in Ruhe!, sagte ich sicherheitshalber auch noch gleich hinterher, ehe ich in meinem alten Kinderzimmer verschwand. Den Frosch hatte ich im Teddysitz auf dem Küchentisch stehen lassen, begriff aber schon nach einer halben Zigarette, dass es so nicht geht. Ich lüftete und holte den Frosch. Tante Melanie heulte. Sie heult andauernd, noch häufiger beinahe als der Frosch. Meine Mutter habe ich nie heulen sehen, sie presst bloß die Lippen zusammen. Ich kann beides, heulen und zusammenpressen, aber ich habe nicht den Eindruck, dass es mich bisher großartig weitergebracht hätte.

Gräh! Gräh! machte der Frosch, und Sabber lief ihr auf den Teddy. Tränen kamen nicht, das habe ich genau gesehen. Ganz dicht habe ich mein Gesicht vor ihres gehalten und Sei still! gezischt. Aber sie hat nur wieder Gräh! Gräh! gemacht. Ihre Nase ist schief, die beiden Löcher sind unsymmetrisch. Das sieht schon bescheuert aus, und niemand in meiner Familie hat so was. Vielleicht hat Pauls Maklervater eine schiefe Nase, aber dann hat er sie bestimmt operieren lassen.

Mein altes Kinderzimmer ist klein. Nachdem ich die Bravo-Poster von den Wänden gerissen hatte, hatte ich einen Augenblick lang das Gefühl, es wäre größer und ich könnte darin atmen, ohne mit meinem dicken Bauch anzustoßen. Aber da war mir eingefallen, dass ich ja die Poster für mein Kind aufheben könnte, und ich musste gleich wieder heulen bis zum Grauwerden.

Jetzt quetschte ich mich am Schrank vorbei zum Wickeltisch, auf dem ein rosafarbener Teddy saß (Geschenk von Tante Melanie). Der Teddy war größer als der Frosch. Überhaupt hätte man ihr einen Frosch schenken sollen, vielleicht hätte sie sich dann zu Hause gefühlt. Ich jedenfalls fühlte mich wie ausgesetzt in diesem Zimmer mit der gelb überstrichenen Blümchentapete. Die Blümchen waren durch die Farbe noch zu erkennen, weil ich die Tapete selbst übergestrichen hatte, obwohl ich sie lieber abgerissen hätte. Aber der Anfang, vor dem jetzt der Schrank stand, war schon so schwierig gewesen, dass ich den Mut verloren hatte. Es blieb ja sowieso dasselbe alte Zimmer, warum sollte man sich Mühe geben? Und es blieb ja auch dasselbe alte Leben, wenn auch außerdem alles ganz anders war.

Gräh!, grähte der Frosch, und ich legte sie, so vorsichtig ich konnte, auf den Wickeltisch. Ich fummelte die Schleife vom Bindpullover auf, und mir brach der Schweiß aus. Ich probierte, ihren Arm aus dem Ärmel zu winden, ohne etwas kaputt zu machen. Genauso gut hätte ich versuchen können, eine Computerplatine zu löten. Ich wusste einfach nicht, wie es ging, und ich würde es auch niemals wissen. Die Kinderschwestern im Krankenhaus hatten es mir zeigen wollen, aber ich hatte sie weggeekelt.

Der Frosch konnte den Pullover auch anbehalten. Die Windel musste irgendwie herunter. Eine gelbliche Masse quoll schon an den Beinen hervor, in den Strampelanzug und auf die Wickelunterlage. Gräh! Gräh!, machte der Frosch. Gräh!, machte ich. Warte, bis sie das erste Mal lächelt!, hatte meine Mutter schon im Krankenhaus gesagt, aber ich hatte gelesen, dass es sechs Wochen dauert, bis ein Kind das erste Mal lächelt, und so lange konnte ich unmöglich mit dem Wickeln warten. Ich schwitzte noch etwas, dann fiel ich um.

Als ich wieder aufwachte, war es schon dunkel, und mein Busen spannte. Ich lag in meinem Jugendzimmerbett mit dem Gesicht zur Wand. Es fing wieder an zu grähen. Ich heulte. Aus meiner Brust lief die Milch, durch die Stilleinlagen und den Elefanten-BH und das fürchterliche Mickymaus-Sweatshirt in das Bett. Jemand hatte den Frosch gewickelt, wahrscheinlich Tante Melanie. Ich hasste sie deswegen, und hasste sie noch mehr, weil ich ihr dankbar dafür war. Vielleicht war es aber doch meine Mutter gewesen, nachdem sie meine Ohnmacht überprüft hatte und zu dem Ergebnis gekommen war, dass ich sie auf keinen Fall bei dieser würdelosen Tätigkeit beobachten konnte.

Ich schnappte mir den Frosch und hielt sein gieriges Maul an meine tropfende Brust. Sie zog daran, bis neue Tränen über meine alten liefen. Dann kam die Milch richtig, und die Schmerzen ließen nach. Kaum hatte der Frosch ein bisschen getrunken, schlief sie auch schon ein. Das machte sie, damit sie nach einer halben Stunde wieder wach werden konnte und aufs Neue schreien. Hätte sie mehr getrunken, hätte es sicherlich für ein paar Stunden gereicht, so stand es jedenfalls in den Büchern. Aber der Frosch kannte die Bücher nicht, der Frosch trank wenig und schrie dazu.

Vorsichtig schob ich sie beiseite. Ich musste aufs Klo, der klumpige Verband, den ich an Stelle einer Unterhose trug, war schon ganz durchgeweicht. Ich brauchte nur ans Klo zu denken, und schon lief es mir warm die Beine herunter. Im Krankenhaus hatte ich nur in der Dusche gepinkelt, weil ich mich mit der Naht unmöglich aufs Klo setzen konnte. Aber meine Mutter hatte keine Dusche, sondern bloß eine Badewanne. Niemals würde ich es über den Rand schaffen, ganz bestimmt nicht, bevor der Ozean aus mir hinausgelaufen war.

Ich sackte wimmernd auf die Klobrille, während ich aus meinem Zimmer schon das Grähen wieder hörte. Der Frosch wollte seinen Halbstundenrhythmus offenbar auf zehn Minuten verkürzen. Wahrscheinlich gefiel ihr die neue Umgebung nicht, und ich konnte es ihr nicht einmal verdenken. Ein Klumpen geronnenes Blut rutschte aus mir heraus ins Klo. Ich konnte nicht glauben, dass irgend etwas in mir noch heil war.

Ich heulte auf dem Klo vor mich hin, bis ich die Zigarettenschachtel meiner Mutter auf der Waschmaschine liegen sah. Kim! Meine Mutter raucht Kim. Niemand sonst raucht so eine bescheuerte Marke, früher hatte sie sogar Eve geraucht, die mit den Blümchen drumrum. Aber Kim ist besser als nichts und ich steckte mir eine an. Seit dem Morgen hatte ich nichts mehr gegessen, das merkte ich, als mir schwindelig wurde, aber es war mir egal. Ich konnte gar nichts essen, nur einen mörderischen Durst hatte ich. So qualmte ich auf dem Klo vor mich hin, ließ Blutklumpen fallen und trank Wasser aus einem Zahnputzbecher dazu. Immer wieder heulte ich ein bisschen und hörte wieder auf, dachte: Jetzt ist es aber gut, und heulte wieder neu los. Die ganze Zeit grähte der Frosch, und meine Mutter rief nach mir, trommelte schließlich an die Badezimmertür und brüllte, ob ich Hilfe brauche und nicht verdammt noch mal endlich zu dem Kind gehen wollte, es sei schließlich meines. Meine Mutter kann ihre damenhaften Attitüden relativ schnell vergessen, wenn man sie reizt, und meistens reizte sie bereits mein Anblick.

Fünfzehn Jahre in der Edeka-Verpackungsfabrik können jeder die Dame austreiben, da war ich mir ziemlich sicher, aber ich ließ trotzdem keine mildernden Umstände für sie gelten, schon weil sie mich ebenfalls in die Edeka gesteckt hat. Sie packte Rosinentüten in Schachteln und Ingwerkonfekt vom Fließband in die Tüte. Manchmal hatte sie aufgeschnittene Hände von den Pappkartons, und oft brachte sie Rosinen mit, obwohl es verboten war und es immer wieder Taschenkontrollen am Tor gab. Mich schickten sie in die Honigabteilung. Dort war es heiß und klebrig, und die Paletten mit den Gläsern waren mir zu schwer. Deswegen durfte ich zu den Gewürzen. Da roch ich komisch und bekam Ausschlag. Zur Vorarbeiterin habe ich zum Abschied: Halt’s Maul, Fotze gesagt, das musste ich mir tagelang vornehmen, aber dann kam es doch beinahe wie von selbst heraus. Und das kann mir meine Mutter nicht verzeihen. Und den Frosch natürlich auch nicht.

Iss ja schon gut! Rief ich durch die Tür, und versuchte aufzustehen, ohne schlimmere Schmerzen zu bekommen. Das war nicht möglich, aber irgendwann stand ich doch und schlurfte zurück in mein Zimmer. Der Frosch war blau im Gesicht vor Anstrengung. Das bisschen Milch von eben hatte sie bestimmt beim Schreien schon wieder verbraucht. Ich hielt ihr meine wunde Brustwarze hin, aber sie hatte sich nun schon grundsätzlich aufs Schreien verlegt; sie nahm keine Milch mehr. Irgendwie glaubte ich, sie wollte, dass ich sie k.o. schlug, damit sie ihre Ruhe hätte, aber noch ehe ich darüber nachdenken konnte, ob das uns beiden weiterhelfen würde, stand Tante Melanie in meinem Zimmer. Tante Melanie steht immer da wie hingehaucht, und das passte überhaupt nicht zum Gebrüll vom Frosch und zu meiner Wut. Vielleicht könnte ich Tante Melanie k.o. schlagen, aber als ich sie wütend ansah, war sie schon beinahe wieder durch die Tür gerutscht. Besuch, flüsterte sie, Kinderchen, ihr habt Besuch. Und trotz meiner Wut lächelte sie schelmisch über ihren Plural, so als sei sie froh, dass noch jemand außer mir Besuch bekäme. Unnötig zu sagen, dass ich keinen Besuch wollte. Und der Frosch wollte ja sowieso überhaupt nix.

Pauls Mutter steckte ihren schlecht frisierten Kopf durch die Tür. Auf ihre Bildung hielt sie ziemlich viel, aber rumlaufen tat sie, als ob es keine Frauenzeitschriften mit Typberatung und allem drum und dran geben würde. Lehrer glauben wohl, wenn man bloß mit Kindern zu tun hat, käme es nicht so darauf an. Sie merken gar nicht, wie ihre Schüler sie wegen ihrer zerknautschten Klamotten verachten. Sie versuchte zu lächeln, wie man eben lächelt, wenn man jemanden nicht leiden kann, aber nett zu ihm sein will. Ich wollte doch mal mein, sagte sie, ich meine: dein Kind sehen. Da, sagte ich, und zeigte mit dem Finger auf den grähenden Frosch, da ist mein Kind. Und schönen Gruß an Paul.

Danach musste ich mich sehr konzentrieren, um nicht schon wieder loszuheulen. Aber Pauls Mutter ging nicht weg. Wie soll denn die Kleine heißen, fragte sie, vielleicht Paula? Die hatte wirklich Nerven. Bei den Indianern würde mein Kind Ihr-Vater-findet-den-Hintern-ihrer-Mutter-zu-dick heißen. Das sagte ich aber nicht. Kim, sagte ich. Wie hübsch, antwortete Pauls Mutter unüberzeugt. Kim! Zischte meine Mutter aus dem Hintergrund, was soll denn das für ein Name sein! Sie müssen schon entschuldigen, Frau Bauer.

Kim Eve, sagte ich gehässig. Das wusste ich schon die ganze Zeit. Ich wollte es euch nur noch nicht sagen. Und ich nahm den grähenden Frosch in meine Arme, als ob ich sie sehr lieb hätte, obwohl sie ihren ganzen Körper steif machte, als ob sie mich nicht leiden könnte.

Ich hab auch was für sie! Pauls Mutter fummelte ein Päckchen aus ihrer riesigen Umhängetasche. Auf dem blauen Geschenkpapier tanzten rote Teddys mit weißen Störchen einen Ringelreihen. An der weißen Schleife hing ein kleiner Anhänger in Storchenform, auf den in Goldschrift „Für das Baby“ geprägt war. Erst wollte ich das Geschenk beiseite legen, aber da versuchte Tante Melanie, es aufzureißen, und ich nahm es ihr schnell weg. Vielen Dank, sagte ich lahm, nachdem ich einen hellblauen kleinen Pullover ausgepackt hatte. Am Bündchen hatte er eine Teddy-Applikation, die Tante Melanie sofort sehr niedlich fand. Heutzutage dürfen auch Mädchen Blau tragen, verteidigte sich Pauls Mutter, obwohl niemand etwas gesagt hatte. Der Frosch grähte weiter.

Vielleicht hat sie Hunger? Sagten meine Mutter und Pauls Mutter beinahe zur gleichen Zeit. Dann lachten sie verlegen. Ich wollte den Frosch nicht stillen, nicht vor Pauls Mutter. Sie sollte nicht sehen, dass ich noch nicht einmal meinen Frosch stillen konnte, aber sobald ich daran dachte, spürte ich, wie die Milch wieder durch mein Hemd sickerte. Mir schossen die Tränen in die Augen, und ich wandte mich ab, zog meine riesige rechte Brust aus meiner Bluse und hielt sie dem Frosch hin wie einen Punchingball.

Schnapp! Machte der Frosch und war wenigstens still. Ich heulte weiter, aber man sah ja nur meinen Rücken. Darf ich mal gucken, fragte Pauls Mutter und glotzte mir schon über die Schulter, ehe ich nein sagen konnte. Sie starrte und starrte den Frosch an. Da merkte ich erst, dass sie auch weinte, die blöde Kuh. Mein Gott!, schluchzte sie schließlich, sie sieht ja aus wie Paul! Diese Nase, guck doch, Annika! Das ist Pauls Nase. Wie süß!, jubilierte sie, und auch Tante Melanie und meine Mutter fanden das unglaublich süß, dass ein Frosch mit Pauls Nase in der Welt war. In meiner Welt. Raus!, brüllte ich, jetzt aber alle sofort raus! Alle zuckten zusammen, sogar der Frosch – der Frosch allerdings mit Verspätung, was besonders albern aussah.

Und dann waren wir alleine, der Frosch und ich. Ich heulte noch ein bisschen, nur so, zum Zeitvertreib. Und der Frosch trank und trank. Froschkönigin! Flüsterte ich, Froschkönigin Kim Eve. Wir schaffen das schon. Und damit du es nur weißt, du siehst nicht aus wie Paul. Du siehst aus wie ein Frosch. Und das ist ganz richtig so. So redete ich immer weiter, dummes Zeug, Unfug, Quatsch mit Soße, aber Kim Eve schlief dabei ein. Ihr angespannter Körper wurde ganz locker. Da nahm ich sie schließlich mit in mein Bett.

SUSANNE FISCHER, geboren 1960 in Hamburg, dort auch aufgewachsen, verheiratet, ein Kind, lebt in einem kleinen Dorf bei Celle. Sie „liest gern Zeitung und sieht gern fern, meist beides auf einmal, spielt Tennis und E-Bass, aber nicht beides auf einmal“ „Unter Weibern“ ist ein Vorabdruck aus Susanne Fischers gleichnamigem Erzählungsband, der im März als Suhrkamp Taschenbuch erscheint (137 Seiten, 7 Euro). Sie veröffentlichte die Kolumnenbände „Kauft keine Frauen aus Bodenhaltung“ (1995) und „Versuch über die Sahnetorte“ (1998, beide vergriffen) sowie „Stadt Land Mord“ (zusammen mit Fanny Müller, 1996). Zuletzt erschien ihre Erzählung „Anderswo“ (Frankfurt am Main 2002, Suhrkamp, 156 Seiten, 7 Euro). Am 26. März liest sie im Literarischen Salon Berlin