: „Noch nie so lernwillige Kinder erlebt“
Der Verein Kindernöte e.V. bereitet Roma-Kinder aus Merkenich auf die Schule vor und integriert auch „Problemfälle“. Die Grünen wollen das Konzept für die ganze Stadt. Doch wichtiger wäre die allgemeine Schulpflicht für Flüchtlinge
KÖLN taz ■ Normalerweise gehen Kinder in die Schule. Aber was passiert mit denen, die dies nicht tun? Wenn sie Flüchtlingskinder sind, ist das den Behörden ziemlich egal, denn für sie besteht in NRW keine Schulpflicht. Die Folge: Viele dieser Kinder „hängen rum“, machen Unsinn – im Einzelfall werden sie auch schon mal straffällig. Diese Erfahrung machten die Bewohner und Nachbarn der Clausemannstraße in Merkenich, nachdem dort in einem Übergangswohnheim zahlreiche Flüchtlingsfamilien untergebracht worden waren.
„Da es für diese Kinder keine Schulpflicht gibt, ist es kein Wunder, wenn sie verwahrlosen“, kritisiert Ulrich Nolden von der Familienberatung Chorweiler die Gesetzeslage des Landes. Er ist einer der Vorständler des Vereins Kindernöte e.V., der sich auf Anfrage des Jugendamts Chorweiler der Kinder aus der Clausemannstraße angenommen hat. Dreißig Stunden in der Woche „spielen“ rund 12 Kinder im Grundschulalter und noch einmal so viele in der Vorschul-Gruppe „Roma-Schule“.
Seit Anfang 2003 läuft das von Heil- und Sozialpädagogen betreute Projekt – offenbar zur Zufriedenheit aller Beteiligten. „Ich habe noch nie so wissbegierige und lernwillige Kinder erlebt“, sagt Nolden. An drei Tagen in der Woche würden ihnen „grundlegende Kulturtechniken“, aber auch „richtiges Deutsch“ und die Anfänge des Lesens und Schreibens beigebracht – und damit der spätere Besuch einer Grundschule ermöglicht. Mit ersten Erfolgen: Ein Kind gehe bereits in eine Regelschule, zwei weitere seien bald so weit. Die benachbarte Grundschule Sproekelhof hat versprochen, sie aufzunehmen; die Schule hat auch Mobiliar und Schulmaterial gespendet.
Sorgenkinder werden brav
Begeistert von dem Projekt ist auch der Leiter des Chorweiler Jugendamts, Rolf Kremers: „Sogar unsere Sorgenkinder gehen regelmäßig in die Roma-Schule.“ Mit einem Jungen etwa, einem so genannten „Klau-Kid“, habe man einen „Schulbesuchsvertrag“ abgeschlossen, den auch die Eltern unterschrieben hätten. Seitdem habe er auch nicht mehr geklaut.
Rund 1.600 Euro zahlt das Bezirksjugendamt dem Verein pro Woche für die „Schule“, und zumindest für dieses Jahr sei das Geld gesichert, erklärt Kremers. Trotzdem steht ein Teil des Projekt finanziell am Abgrund. Für die Vorschule, die der Verein bislang selbst von Beiträgen und Spendengeldern bezahlt, geht schon im Frühjahr das Geld aus. Und die Hoffnung, dass der Bezirk diese Kosten übernimmt, hat sich zerschlagen. Die Bezirksversammlung lehnte dies in der vergangenen Woche ab.
Jetzt setzt Ulrich Nolden seine Hoffnungen auf die Stadt. Dort firmieren die Überlegungen, Integration von Flüchtlingskindern durch Projekte wie die „Roma-Schule“ zu verbessern, unter dem Stichwort „Schaworalle-Modell“ – benannt nach einem Frankfurter Verein, der ähnlich wie Kindernöte arbeitet. Ob die Verfechter dieses Modells, zu denen die grüne Ratsfraktion gehört, sich am Ende durchsetzen gegenüber den CDU-„Ordnungspolitikern“, die eher auf Strafen und Heimeinweisung setzen, ist jedoch noch völlig offen. Derzeit arbeitet die Verwaltung noch an einem entsprechenden Konzept.
Eine Kombination aus beidem will jedenfalls die Kölner SPD, die am Mittwoch ein „Pilotprojekt“ für Köln vorstellte. Dazu gehört unter anderem die zusätzliche Bereitstellung von Lehrerstellen, die das Land NRW bezahlen will (taz berichtete).
Keine Schule, keine Arbeit
Das grundsätzliche Problem freilich würde damit nicht gelöst, kritisiert Ossi Helling, sozialpolitischer Sprecher der grünen Ratsfraktion, auch wenn jede Maßnahme zu begrüßen sei, die die Lebensumstände von Flüchtlingen verbessert. „Aber warum weigert sich die Landes-SPD weiter, die Schulpflicht für geduldete Flüchtlinge einzuführen, wie es in 80 Prozent aller Bundesländer der Fall ist?“ Dies sei der entscheidende Punkt, mit dem viele Probleme der Flüchtlingskinder gelöst werden könnten.
Ulrich Nolden von Kindernöte geht mit seiner Kritik noch einen Schritt weiter: Die Roma-Familien, die teilweise schon über zehn Jahre hier seien, würden nicht integriert, „auch weil die Erwachsenen keine Arbeitserlaubnis bekommen“. Daher sei die Behandlung der Schulfrage eigentlich nur „konsequent“: „Warum soll man sich um die Schulbildung der Kinder kümmern, wenn sie als Erwachsene sowieso nicht Arbeiten dürfen?“Susanne Gannott
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