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der homosexuelle mann … von ELMAR KRAUSHAAR

… hat einen geschulten Sinn für geheime Zeichen, für ein differenziertes System mehrdeutiger Symbole und sprachlicher Besonderheiten, um sich zu erkennen – auf den ersten Blick und beim ersten Ton, ohne eine womöglich feindlich gesinnte Umgebung daran teilhaben zu lassen.

So erfordert beispielsweise eine Nacht an den Spielorten des einen oder anderen Fetischfreundes ein kleines Dechiffrierbuch als Begleiter, um die besondere Größe oder Farbe oder Platzierung eines Tuches richtig zu deuten, oder bei einem ganz speziellen Schuhwerk zu erkennen, dass jetzt das eine möglich ist, das andere aber auf gar keinen Fall.

Eine besondere Fertigkeit entwickelten homosexuelle Männer im Laufe der Jahrzehnte in der Namensgebung für die Örtlichkeiten ihrer Rendezvous und Stelldicheins. Dem Szenegänger musste ein Kneipenname auf den ersten Blick signalisieren: Hier bist du richtig! Dabei durfte der Name wiederum kein Interesse wecken bei einem arglosen Passanten.

Bei den Schwulenlokalen im Berlin der Zwanzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts gab es kein Vertun bei zwei Reizworten, die immer wieder auftauchten: „Diele“ oder „Kasino“. Da gab es die „Rosenhain-“, „Adonis-“, „Schnurrbart-“, „Pan-“ oder „Eldorado-Diele“, das „Bürger-“, „Bülow-“, „Conti-“ oder „Kurfürsten-Kasino“, und zwischendrin ein paar exotische Namenstupfer für den besonderen Geschmack: „Hollandais“, „DéDé“, „Del Monico“, „Monbijou“ oder „Voo Doo“. Das französisierte elegant oder verwies assoziativ in südlichere Gefilde, wo es keine Paragraphen gab und immer nur die Sonne schien.

Und dann verschwanden die Namen, die Gäste blieben aus, die Kneipen wurden geschlossen. Selbst dem bekanntesten Berliner Schwulenlokal, dem „Eldorado“, half es 1933 nichts, die Hakenkreuzfahne über dem Eingang zu drapieren.

Nach dem Krieg ging es zaghaft weiter, wieder ein „Kasino“ hier und da, aber ansonsten Namen, die nichts verraten sollten, gar nichts: „Artistenklause“, „Opern-Keller“, „Weinstuben“, „Bei Willy“. Bis die „Bars“ kamen: „Robby-Bar“, „Bohème-Bar“, „Inkognito-Bar“ oder „Bart – die Herrenbar“. Und dann wurde es wieder international, französisch zunächst mit „Moulin Rouge“, „Frou-Frou“, „Chez nous“, „Mon chèr“ und „Pourquoi pas?“, bis sich das Amerikanische durchsetzte, schließlich kam doch alles Neue, alles Moderne von drüben. „Gay“ hieß jetzt das Zauberwort, das US-Kürzel wurde zum Stempel für alles – alles war plötzlich „gay“, die Kneipen, Bars und Saunen, die Bücher, Magazine und Menschen.

Und heute? „Ficken 3000“, „Stahlrohr“, „Pick ab!“, „Greifbar“, „Scheune“, „Triebwerk“ und „Prinzknecht“ – das hat Biss, hier wird zugepackt, mann-männlich und ohne Zögern. Da versteckt sich nichts mehr und niemand, der Name weist eindeutig den Weg, und keiner kann mehr behaupten, er habe von nichts gewusst.

Aber für alle, die noch an Wunder glauben, gibt es weiter die geheimen Zeichen, wie „Heile Welt“ oder „Himmelreich“, „Goldrausch“ oder „Mondschein“ – ganz mehrdeutig und gut für das Herzklopfen und für ganz Verirrte auf der Suche nach einem Weg.

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