: Reform-Motor – aber wie?
Die Grünen dürfen ihr Profil nicht an der Seite der SPD suchen, sagt der Politologe Helmut Wiesenthal
Es gibt kein „Modell Deutschland“ mehr, die rot-grüne Koalition droht mit ihrem Reformkurs stecken zu bleiben und insbesondere auch an dem Arbeitsplatz-Versprechen zu scheitern. Warum? Was tun? Helmut Wiesenthal, Politikwissenschaftler aus Berlin, früher Professor an der Humboldt-Universität und ganz früher auch einmal Mitglied im grünen Bundesvorstand, will darüber am Sonntag auf Einladung der grünen Bürgerschaftsfraktion in Bremen diskutieren. (29.2., von 11 bis 15 Uhr, Presseclub, Schnoor 27)
taz: Die Reformpolitik der rotgrünen Bundesregierung bleibt stecken. Kann die grüne Partei vermeiden, in den Sog gezogen zu werden?Helmut Wiesenthal: Es gibt einen nachhaltigen Reformbedarf in Deutschland, der diese rot-grüne Bundesregierung heillos überfordert.
Was muss denn radikaler reformiert werden als es die rot-grüne Koalition derzeit wagt?Zwölf Jahre lang wurde mit der deutschen Einheit ein Experiment gemacht: Wenn nur hinreichend Kaufkraft gesponsert wird, dann kommt der wirtschaftliche Aufschwung von selbst. Diese Theorie ist falsch. In Zeiten der globalen Produktion streut sich der wirtschaftliche Effekt des Konsum international sehr breit. Diese Erkenntnis hat weit reichende Folgen.
Nämlich? Das deutsche Institutionen-System ist den Anforderungen globaler Märkte nicht gewachsen. Deutschland ist kein Modell für andere Länder. Genauso wenig wie die Staatswirtschaften in Korea und Japan.
Die Steuerreform lebt von der Idee, dass man nur die Abgabenlast senken muss, um Arbeitslosigkeit zu mindern.Arbeitsplätze lassen sich nicht durch makroökonomische Instrumente vermehren. Tatsächlich sind mikroökonomische Freiheiten viel wichtiger. Man muss die Bedingungen dafür verbessern, dass Leute sagen: Ich will selbstständig etwas schaffen und bin zu einem gewissen Risiko bereit. Die Nachfragepolitik funktioniert nicht, wenn Konsumenten mehr Freiheit zugestanden wird als Unternehmern.
Welche Freiheiten brauchen Unternehmer?Das betrifft vor allem die Bedingungen, unter denen Arbeitskräfte angestellt und auch wieder entlassen werden können. Nach 25 Jahren Massenarbeitslosigkeit muss man ja fragen, welche Verantwortung die Gewerkschaften und das Tabu der überbetrieblichen Tarifverträge daran haben. Die Gewerkschaften sind Mitverursacher der strukturellen Beschäftigungskrise.
Sollen die Löhne den betrieblichen Bedingungen mehr angepasst werden?Ja. Die Lohnspreizung ist hier sehr gering, das führt zu hoher Arbeitslosigkeit bei unqualifizierten Arbeitskräften. Es geht darum, dass Personen die Chance bekommen, anstatt ein Sozialeinkommen zu beziehen, ihre Fähigkeiten in Arbeitsverhältnissen zu entfalten. Erst dann gibt es den Anreiz, sich im Wege individueller Mobilität zu verbessern.
Mit der CDU könnten die Grünen so etwas eher umsetzen als mit der SPD.Die CDU hat da die gleichen Probleme wie die SPD. Die Grünen hätten mit der CDU noch mehr Probleme. Aber klar ist: Die SPD würde für institutionelle Reformen noch stärker bestraft werden. Da stellt sich die Frage: Sollen die Grünen darauf verzichten, den fälligen Reformkurs in Deutschland mit zu gestalten? Die Grünen müssten ihre eigenen Akzente in die Politik mit einbringen. Fragen: kawe
Wiesenthals Aufsatz: „Nach der Agenda 2010“ steht unter www.mehr-dazu.de
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