: Ein zu normaler Teenager
Morgen beginnt der Prozess um den so genannten Ehrenmord an Morsal Obeidi. Angeklagt ist ihr 24-jähriger Bruder. Trotz Gewalt sagte sich die 16-Jährige nicht von ihrer Familie los
Die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes nimmt den Prozess zum Anlass, morgen ab 10.30 Uhr vor dem Gericht zu demonstrieren. „Die Morde sind nur die Spitze eines Eisberges der Gewalt, die viele Mädchen und Frauen täglich aufgrund der Familienehre erleben“, sagt Sprecherin Christa Stolle. „Wir müssen aufhören nur darüber zu reden, wir brauchen mehr Geld für eine qualifizierte Unterstützung.“ KVA
VON KAI VON APPEN
Morsal Obeidi war – wenn sie nicht gerade wieder Streit mit ihrer Familie hatte – ein ganz normaler Teenager. 16 Jahre jung, lange schwarze Haare, modern. Und wenn sie abends ausging, legte sie auch schon mal wie ihre Mitschülerinnen Schminke auf oder holte den kurzen Rock aus dem Schrank – das alles passte der streng konservativen Familie aus Afghanistan überhaupt nicht, die mit Morsal vor 13 Jahren nach Deutschland gekommen war. Doch Morsal Obeidi war im Westen aufgewachsen.
Am Abend des 15. Mai dieses Jahres bestellte sie ein Cousin aus dem Mädchenasyl Feuerbergstraße, wo sie Zuflucht gesucht hatte, zum S-Bahnhof Berliner Tor. Es sollte zu einer Aussprache mit ihrem 24-jährigen Bruder Ahmad kommen. Als sie in Jeans-Shorts erschien, kam es zum Streit. Ahmad O. stach seine Schwester mit 23 Messerstichen nieder. Zur Rettung der Familienehre, wie er der Polizei gegenüber aussagte.
Ab Dienstag muss sich Ahmad O. vor dem Landgericht wegen Mordes verantworten. „Heimtücke und niedere Beweggründe“, wirft ihm die Staatsanwaltschaft laut Sprecher Wilhelm Möllers vor. „Wir gehen davon aus, dass er das Treffen zielgerichtet arrangierte, um sie zu töten“, sagt Möllers. Mehrmals habe der als aggressiv geltende Bruder Morsal zusammengeschlagen. Der 24-Jährige, der selbst Bordelle besuchte und die westliche Freizügigkeiten genoss, soll nach den Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft direkt nach der Tat dem Taxifahrer, in dessen Wagen er vom Tatort flüchtete, gesagt haben, dass Morsal einen „völlig falschen Umgang“ gehabt habe. Er hoffe, dass sie tot sei. Der Wunsch erfüllte sich, denn Morsal Obeidi verblutete an den 23 Messerstichen trotz schneller medizinischer Hilfe durch Notärzte.
Der renommierte Anwalt Thomas Bliwier wird die Verteidigungsstrategie auf die psychologische Ebene verlegen. Mit dem Berliner Fall, wo die Deutsch-Kurdin Hatun Sürücü im Auftrag der Familie von ihren Brüdern durch Kopfschüsse hingerichtet worden war, habe der Fall Morsal Obeidi nichts zu tun. „So war es mit Sicherheit nicht. Die Dinge sind einfach komplizierter“, sagt Bliwier. „Das wird der Prozess zutage fördern“.
So sollen Gutachten seinem Mandanten attestieren, dass er wegen seiner Kleinwüchsigkeit seit der Kindheit traumatisiert worden und psychisch krank sei. Zudem könne er seine Gewaltausbrüche nicht steuern und keinen Widerspruch dulden. Bliwier: „Es muss ein impulshaftes Tatgeschehen gewesen sein“, so der Anwalt, der daher von einem Totschlag ausgeht.
Eine These, die schwer zu untermauern sein dürfte. Denn Ahmad ist mehrfach brutal gegen seine jüngere Schwester vorgegangen. Und auch in der Familie hatte die 16-Jährige keine Unterstützung gefunden. Im Gegenteil: Obwohl sie bereits bei staatlichen Jugendhilfe-Institutionen um Hilfe gebeten und einen deutschen Freund hatte, war das Mädchen noch im Sommer 2007 nach Afghanistan gebracht worden, um sie dort zwangsweise zu verheiraten.
Doch trotz aller Gewalt konnte sie der Familie nicht nachhaltig den Rücken kehren. „Ein häufiges Phänomen gerade bei jungen Mädchen, und noch häufiger mit solchem kulturellen Hintergrund als bei deutschen Mädchen“, sagt die Familien- und Frauenhaus-Anwältin Mechthild Garweg.
Ehrenmorde sind jedoch für die Frauenrechts-Organisation Terre des Femmes kein religiösen Phänomen. „Es ist vor allem ein patriarchalischer Exzess“, sagt Heidemarie Grobe von der Hamburger Sektion. Die Soziologin befasst sich seit Jahrzehnten mit Ehrenmorden in muslimischen und christlichen Ländern. „Es geht immer um die Unberührtheit der Frau“, erläutert sie. Der Mann betrachte sie als Eigentum, dass er beherrschen wolle.
„Wenn junge Frauen mit Migrationshintergrund hier leben wollen wie die Tischnachbarin in der Schule, kann das schon lebensgefährlich sein“, berichtet Grobe. „Dazu kommen die vielen Frauen, die durch Säure entstellt wurden, weil sie ihr Kopftuch nicht ordentlich ins Gesicht gezogen haben“.
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