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„Es fehlt an hinreichenden Indizien“

Hanseatisches Oberlandesgericht setzt Haftbefehl gegen Mounir el Motassadeq aus. Der Marokkaner kann sich auf freiem Fuß auf die Revionsverhandlung vorbereiten. Innensenator Nagel bereitet für den Fall des Freispruchs die Abschiebung vor

VON KAI VON APPEN

Der als „Terrorhelfer“ zu 15 Jahren Haft verurteilte Mounir el Motassadeq konnte gestern sichtbar erleichtert in Begleitung seines Verteidigers Josef Gräßle-Münscher nach zwei Jahren und vier Monaten das Hamburger Untersuchungsgefängnis verlassen. Er wurde von Freunden mit dem Auto abgeholt und zu seiner Familie nach Harburg gefahren. Das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) hatte zuvor den Haftbefehl gegen den Marokkaner unter der Auflage, Hamburg nicht zu verlassen, außer Vollzug gesetzt. Motassadeq steht laut OLG nicht mehr unter dringendem Tatverdacht, Beihilfe zu den Anschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001 mit über 3.000 Toten geleistet zu haben.

Das Gericht möchte indes zum jetzigen Zeitpunkt – anders als der 3. OLG-Senat bei seinem Freispruch von Abdelghani Mzoudi – noch nicht ausschließen, dass sich die Harburger Gruppe 1999 zu einer „terroristischen Vereinigung“ entwickelt hat. „Es fehlt aber an hinreichenden Indizien dafür“, so das OLG, dass Motassadeq an der „Konkretisierung der Attentatspläne“ eines Teils der Gruppe „eingebunden gewesen ist“.

Der 4. OLG-Strafsenat unter Vorsitz von Ernst-Rainer Schudt, der erst seit gut einem Monat nach der Aufhebung des Urteils durch den Bundesgerichtshof mit dem „Komplex 9-11“ befasst ist, hat sich die Entscheidung offensichtlich nicht leicht gemacht – hat sie sogar mehrfach vertagt. Denn dem Gericht war klar, dass es mit der Haftentlassung bereits eine wesentliche Vorentscheidung für das Revionsverfahren im Juni treffen würde.

Ein Hauptfaktor für die letztendliche Freilassung dürfte wohl das Verhalten der Bundesanwaltschaft (BAW) beim Haftprüfungstermin gewesen sein. Unmittelbar vor Schluss der Sitzung rückte Bundesanwalt Walter Hemberger zwei entlastende Beweismittel heraus, welche die BAW zuvor unterdrückt hatte. Bei dem einen Schriftstück handelt es sich um die Kopie eines abgefangenen Briefes vom 26. April 2002 des international gesuchten Said Bahaji an seinen Vater in Marokko, in dem er seine Unschuld beteuert und auch Motassadeq entlastet.

Das zweite Indiz ist ein Wortprotokoll eines abgehörten Telefonats Bahajis, gleichen Inhalts, mit seiner in Deutschland lebenden Frau. Zumindest bei diesem entlastenden Telefonat gehen alle Prozessbeteiligten von einem hohen Wahrheitsgehalt aus, da Bahaji sich eigentlich sicher sein konnte, dass das Gespräch nicht abgehört würde.

Mit diesem Beschluss versucht das Gericht offenbar einen Mittelweg zu gehen, einerseits dem „Mzoudi-Freispruch“ und andererseits einer Entscheidung eines „Tatgerichts“ Rechnung zu tragen, das vor etwas mehr als einem Jahr zu einem Schuldspruch gekommen war. „Mit dem Beschluss können wir leben“, sagte Verteidiger Gräßler-Münscher der taz. „Den Rest wird das neue Verfahren klären.“

Die BAW kritisierte die OLG-Entscheidung, wird aber laut Sprecher Hartmut Schneider „keine Beschwerde einlegen“. Die Bundesregierung gab sich indes zurückhaltend: „Die Entscheidung eines unabhängigen Gerichts gilt es selbstverständlich zu respektieren“, sagte eine Sprecherin des Innenministeriums. Ob nun die gesperrten Aussagen des mutmaßlichen Chef-Planers der Attentate, Ramzi Binalshibh, veröffentlicht werden, ließ sie offen: „Es gilt jetzt, die Verhandlungen abzuwarten, möglicherweise wird sich danach eine andere Lage ergeben.“

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