piwik no script img

Das Kopftuch vor Gericht

Darf eine muslimische Lehrerin in der Schule Kopftuch tragen? Nein, befanden drei Verwaltungsgerichte; sie sahen die „Neutralität des Staates“ verletzt. Nun entscheidet Karlsruhe. Der Richterspruch hat Bedeutung auch über die Schulen hinaus

aus Freiburg CHRISTIAN RATH

Der Kulturkampf hat Karlsruhe erreicht. Heute verhandelt das Bundesverfassungsgericht darüber, ob eine muslimische Lehrerin im Unterricht ein Kopftuch tragen darf. Geklagt hatte die 31-jährige Fereshta Ludin, die das Land Baden-Württemberg nicht einstellen will.

Bisher unterlag Ludin vor den Verwaltungsgerichten in allen drei Instanzen. Die „Pflicht zu strikter Neutralität im Bereich der staatlichen Schule“ werde verletzt, argumentierte zuletzt das Bundesverwaltungsgericht, wenn eine Lehrerin im Klassenzimmer ein „deutlich wahrnehmbares Symbol einer bestimmten Religion“ trägt.

Neben der in Afghanistan geborenen und 1995 eingebürgerten Ludin hat bisher noch ein Fall aus Niedersachsen die Gerichte beschäftigt. Iyman Alzayed, eine gebürtige Deutsche, die erst 1990 vom evangelischen zum islamischen Bekenntnis konvertierte, wurde ebenfalls nicht eingestellt. Auch sie hatte vor Gericht keinen Erfolg.

Doch es handelt sich nicht nur um zwei symbolisch aufgeladene Einzelfälle. „Derzeit sind einige Musliminnen in der Lehrerausbildung“, weiß Ludins Anwalt Hansjörg Melchinger, „bei deren Einstellung die Kopftuchfrage eine Rolle spielen wird.“ Außerdem wandten sich manche Lehrerinnen erst im Staatsdienst dem Islam zu. Allein in Nordrhein-Westfalen unterrichten derzeit rund 15 Lehrerinnen mit Kopftuch, erklärt das Schulministerium in Düsseldorf.

Im Schulalltag gebe es zwar keine Probleme mit Eltern und Schülern, doch die betroffenen Lehrerinnen wollen „auf keinen Fall“ an die Öffentlichkeit gehen, sagte eine von ihnen zur taz. Sie alle kennen die Geschichte von Doris G., einer Stuttgarter Lehrerin, die bereits fünf Jahre im Unterricht ein Kopftuch trug, ohne dass es jemand störte. Erst als Anwalt Melchinger das vermeintlich positive Beispiel vor Gericht präsentierte, reagierte die Schulaufsicht und schickte Frau G. eine Verbotsverfügung.

Der Kopftuchstreit strahlt auch auf andere Bereich des öffentlichen Dienstes aus. Was für Lehrerinnen gilt, dürfte auch auf Richterinnen oder Polizistinnen anwendbar sein. In Bergkamen (Nordrhein-Westfalen) wurde voriges Jahr bereits eine kopftuchtragende Erzieherin entlassen, weil die „weltanschauliche Neutralität des Kindergartens“ gefährdet sei. Das Arbeitsgericht Dortmund hob die Kündigung im Januar wieder auf.

Für die Privatwirtschaft gab das Bundesarbeitsgericht im letzten Oktober eine liberale Linie vor. Dort hatte eine kopftuchtragende Kaufhausangestellte aus Schlüchtern (Hessen) gegen ihre Entlassung geklagt. Die Richter entschieden, dass der Arbeitgeber den Glauben seiner Angestellten hinnehmen muss – jedenfalls solange die Umsätze nicht merklich zurückgehen.

Ob die Kunden ein Kopftuch bei Angestellten akzeptieren, hängt aber vermutlich stark vom Spruch des Bundesverfassungsgerichts ab. Lässt Karlsruhe das Kopftuch bei Lehrerinnen zu, wird es wohl auch im sonstigen Alltag eher als normal empfunden. Schülerinnen mit Kopftuch werden in Deutschland schon immer akzeptiert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen