: Der Hahn ist zu
Russlands Gaskonflikt mit der Ukraine führt zu Lieferausfällen in Europa
AUS MOSKAU EDUARD STEINER
Sechs Tage nach Beginn des Gasstreits zwischen Russland und der Ukraine ist die Situation am Dienstag vollends eskaliert. Nachdem Russlands Ministerpräsident Wladimir Putin dem halbstaatlichen Gasmonopolisten Gazprom am Vorabend die Drosselung der Lieferungen um 65,3 Millionen Kubikmeter erlaubt hatte, vermeldeten am Dienstag eine ganze Reihe europäischer Staaten einen Rückgang der russischen Gaslieferungen.
Die EU, die 80 Prozent ihres Gasimports aus Russland über den ukrainischen Transit bezieht, verurteilte die drastische Drosselung als „inakzeptabel“. Nach den Worten von Tschechiens Regierungschef und EU-Ratspräsident Mirek Topolánek werde mit der EU-Kommission bereits über die Einberufung eines Krisengipfels nachgedacht. Die EU forderte eine sofortige Wiederaufnahme der Gaslieferungen. Immerhin werden die mit Jahresende abgebrochenen Verhandlungen zwischen Gazprom und der staatlichen ukrainischen Gasgesellschaft Naftogaz Ukrainy am Donnerstag wieder aufgenommen.
Russland begründet die Drosselung der Lieferung im Ausmaß von 65,3 Millionen Kubikmetern damit, dass die Ukraine genau diese Menge, die etwa einem Fünftel des täglich durch die Ukraine nach Europa exportierten Gases entspreche, seit Neujahr aus den Transitleitungen illegal abgezapft habe. Zum 1. Januar nämlich hatte Russland die Lieferungen für den ukrainischen Markt selbst eingestellt, nachdem die Ukraine ihre Gasschulden aus dem Vorjahr nicht zur Gänze beglichen hatte und damit der neue Liefervertrag für 2009 nicht zustande gekommen war. Bereits am Wochenende berichteten einzelne osteuropäische Staaten von einem Rückgang der Lieferungen. Eine Lösung zwischen den beiden Konfliktparteien zeichnete sich auch am Dienstag nicht ab.
Stattdessen ist man bemüht, einander die Verantwortung für die Misere anzulasten. Die russischen Erdgaslieferungen nach Europa über die Ukraine sanken auf ein Siebtel des üblichen Volumens, hieß es bei Gazprom.
Walentin Semljanski, Sprecher des ukrainischen Gasunternehmens Naftogaz Ukrainy, konterte und erklärte, Russland selbst habe seine Erdgaslieferungen nach Europa um ganze zwei Drittel auf 92 Millionen Kubikmeter gekürzt, während am Montag noch 221 Millionen Kubikmeter und an den Vortagen 300 Millionen Kubikmeter geliefert worden waren.
Die gegenwärtige Eskalation ist der Gipfel eines mehrjährigen Tauziehens um die Neuregelung der Gasverträge auf postsowjetischem Raum. Bis 2005 hatte Gazprom die GUS-Staaten mit billigem Gas versorgt. Die Erhöhung der Gaspreise für die Ukraine Anfang 2006 wurde in der Ukraine selbst und im Westen als politisch motivierte Rache für die orange Revolution gedeutet. Weil sich die Ukraine der neuen Preisformel anfänglich widersetzt hatte, hat Gazprom im Januar 2006 erstmals den Gashahn abgedreht und damit sein Image als jahrzehntelang zuverlässiger Gaslieferant ramponiert. Die EU begann folglich die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen zu hinterfragen und ist seither auf der Suche nach alternativen Quellen.
Gazprom seinerseits, das sich des Imageschadens bewusst geworden ist und daher Ende des Vorjahres bereits seine Vertreter zur Aufklärung über die Umstände nach Europa sandte, drängt mehr denn je auf den Bau alternativer Exportpipelines in Umgehung der bisherigen Transitstaaten Ukraine und Weißrussland.
Während westeuropäische Abnehmer um die 450 Dollar je 1.000 Kubikmeter für russisches Gas zahlen, hat die Ukraine zuletzt 179,5 Dollar gezahlt. Für 2009 droht Gazprom mit der Anhebung auf europäisches Niveau, bot aber als Vorzugspreis 250 Dollar. Wie aus der ukrainischen Präsidentschaftskanzlei verlautete, sei dieser Preis nur akzeptabel, wenn auch die bis 2010 ausgehandelten Transitgebühren von derzeit 1,6 Dollar je 1.000 Kubikmeter und 100 Kilometer durch die Ukraine angehoben würden. Ein Kiewer Wirtschaftsgericht hat am Montag verfügt, dass Naftogaz Ukrainy den Transit nicht mehr zu diesem Preis durchführen darf. Gazprom seinerseits will gegen Naftogaz Ukrainy vor dem internationalen Schiedsgericht in Stockholm klagen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen