: „Es gibt kein Zuwanderungsgesetz ohne grünen TÜV“
Der grüne Parteichef Reinhard Bütikofer über Stärken und Schwächen des Einwanderungskompromisses, die besondere Autorität des Kanzlers und Lenin’sche Kontrolle
taz: Herr Bütikofer, vor drei Wochen haben Sie gesagt: „Das Spiel ist aus.“ Plötzlich ging das Spiel ums Zuwanderungsgesetz weiter, die Grünen mussten erneut bittere Pillen schlucken. Hat Ihre Partei das Spiel verloren?
Reinhard Bütikofer: Unser Vorgehen der letzten Wochen war konsequent und erfolgreich. Die jetzige Verinbarung gibt es nur, weil erst die Grünen und dann die Koalition gemeinsam klar gemacht haben, dass wir im Notfall auch allein handeln könnten. Die Verlierer sind die Hardliner in der Union. Von den achtzehn zusätzlichen Forderungen, mit denen CDU und CSU die Verhandlungen im Mai belastet haben – von der Sicherungshaft über Einreiseverschärfungen bis hin zu Änderungen der rot-grünen Staatsangehörigkeitsreform – ist so gut wie nichts übrig geblieben.
Ist das überhaupt noch ein Zuwanderungsgesetz? Stoiber feiert es als Zuwanderungsbegrenzungsgesetz.
Wir haben an einer zentralen grünen Überzeugung festgehalten: Es gibt kein Zuwanderungsgesetz ohne Zuwanderung. Gleichzeitig wissen wir: Wenn wir Zuwanderung ermöglichen wollen, müssen wir diese auch in einer vernünftigen Weise begrenzen. Doch trotz aller Schwächen – dieses Gesetz ist auch ein grüner Erfolg. Wir haben in humanitären Fragen, etwa der Anerkennung nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung, bei der Härtefallregelung, der Integration und Arbeitsmigration wichtige Fortschritte erzielt.
Der jetzige Kompromiss widerspricht in einem Punkt dem Beschluss des grünen Länderrates. Warum hat Ihre Partei der Regelanfrage beim Verfassungsschutz bei der Niederlassungserlaubnis zugestimmt?
Das ist in der Tat ein schmerzhafter Punkt. Aber es überwog das Interesse, uns mit der SPD auf eine gemeinsame Position gegenüber der Union zu einigen. Der wichtigste Punkt für uns war, die geltende Gesetzesregelung für die Zwangsausweisung von Ausländern ab einer Haftstrafe von drei Jahren nicht zu verschärfen. Und auch da haben wir uns gegen die Union durchgesetzt.
Das Gesetz ist dennoch von einem Generalverdacht gegen Ausländer durchzogen. Es wird viel mit Sanktionen und Ausweisungen gedroht.
Tatsächlich ist die Aufbruchsstimmung in Sachen Zuwanderungsgesetz, die wir vor drei Jahren hatten, längst abgebrochen. Das ist jedoch keine Erfahrung von heute oder gestern. Das hat etwas mit dem internationalen Terrorismus und der Debatte über Massenarbeitslosigkeit zu tun. Dieses Zuwanderungsgesetz bleibt – insbesondere bei der Einwanderung von qualifizierten Arbeitskräften – hinter dem zurück, was unsere Gesellschaft braucht. Aber noch einmal: Gegen diese Ausländer-bleib-mir-fern-Ideologie von Stoiber und Co. haben wir uns durchgesetzt.
Der Kanzler hat sich durchgesetzt. Warum geht es nicht ohne ihn?
Schröder hat mit der Autorität des Bundeskanzlers CDU-Chefin Angela Merkel in die Position gezwungen, jetzt endlich Farbe bekennen zu müssen. Sie war in den letzten Monaten sichtbar unsichtbar und hat erst so das durchtriebene Spiel der Union ermöglicht. Aber nicht zu vergessen, der Kanzler war nur deswegen in der starken Position, weil es eine gemeinsame rot-grüne Verabredung gab.
Schröder dankt Ihnen das auf seine Weise. Bei der konkreten Formulierung des Gesetzes hat er die Grünen ausgebootet. Das erledigt jetzt die große Koalition Schily, Müller, Beckstein.
Die taz hat sich noch nie vor der großen Konkurrenz gefürchtet. Genauso wenig fürchten wir uns vor den großen Parteien. Es gibt die klare Verabredung mit dem Kanzler, dass der grüne Verhandlungsführer Volker Beck die einzelnen Gesetzesformulierungen mit Otto Schily vor- und nacharbeitet.
Oh, woher so plötzlich das Vertrauen in Otto Schily?
Es gibt einen bekannten Spruch von Lenin: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Das muss man, wie es früher hieß, kreativ anwenden.Gehen Sie davon aus: Es wird kein Zuwanderungsgesetz geben, das den grünen TÜV nicht besteht.
INTERVIEW: JENS KÖNIG, LUKAS WALLRAFF
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